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Test & Technik: Tiefergelegt

19.08.2020 15:00 Uhr | Lesezeit: 6 min
Test & Technik: Tiefergelegt
Nur in einzelne Teile zerlegt passt der Lkw in den Förderkorb des Bergwerks
© Foto: Michael Bader

Für den Einsatz in der Grube Teutschenthal musste ein Lkw auseinandergenommen und in Einzelteilen 714 Meter unter die Erde transportiert werden. Eine herausfordernde Aufgabe.

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Wenn Matthias Wenzel zu seinem Arbeitsplatz fährt, ist es eine Reise in das Innere der Erde: 714 Meter unter Tage arbeitet er seit drei Jahren als Großgerätefahrer. Früher war der 49-Jährige als Trucker auf den Autobahnen und Landstraßen Europas unterwegs. Nun ist sein Fahrrevier ein dunkles Streckensystem, das sich 14 Quadratkilometer weit unter der Erde erstreckt. 125 Bergleute sowie 70 Bergbaugroßgeräte und Fahrzeuge sind in der GTS Grube Teutschenthal (60 Kilometer nordwestlich von Leipzig) unter und über Tage im Einsatz.

Matthias Wenzel ist mit seinem MAN TGS mit HydroDrive mit höchsterlaubtem Tempo 30 in der unterirdischen Landschaft unterwegs – manche Passagen sind gefühlt so eng, dass Wenzel den Gebirgsstoß mit aus dem Fenster gestrecktem Arm berühren könnte. Im sogenannten Kippkeller stoppt er. Von oben prasselt Schüttgut in die Mulde. „Bald wird der Lkw nicht mehr glänzen wie neu“, sagt Matthias Wenzel schmunzelnd. „Aber hier unten wird mir wegen Dreck oder Kratzern im Lack auch nicht direkt der Kopf abgerissen.“ Nach 20-minütiger Fahrt steuert der Truck eine Kippstelle an. Mit dem automatischen Schiebeschild schiebt Wenzel seine Ladung aus der Mulde in einen Hohlraum. Dann macht er sich auf den Rückweg – zur nächsten Runde.

Das Versatzbergwerk wird mit mineralischen Abfällen aufgefüllt, beim Verladen kommt der MAN TGS zum Einsatz
© Foto: Michael Bader

Sicherung gegen die gefährlichen Gebirgsschläge

75 Jahre lang haben Bergleute hier Steinsalz und Kalisalz gewonnen – wertvolle Bodenschätze, zum Beispiel für die Produktion von Speisesalz und Dünger. Seit Anfang der 1990er-Jahre sichert das Unternehmen GTS Grube Teutschenthal Sicherungs GmbH die Hohlräume mit geeigneten mineralischen Abfällen aus der Industrie, dem sogenannten Versatz. Auf diese Weise wird die Grube gegen gefährliche Gebirgsschläge geschützt, die es in ihrer Geschichte schon drei Mal gab.

Aufgabe von Matthias Wenzel ist es, den Versatz vom Schacht an den notwendigen Versatzort zu transportieren und dort abzuladen. Fünf Mal pro Schicht fährt er die Strecke, hin und zurück 18 Kilometer. Sein Lkw wurde für den Grubeneinsatz speziell umgerüstet. Doch bevor sich der Fahrer zum ersten Mal hinter das Steuer des TGS setzen konnte, musste eine logistische Glanzleistung absolviert werden: der Transport des Lasters nach unter Tage.

Rund fünf Wochen lang tüftelt das Team von Gress & Zapp Nutzfahrzeugservice aus Bernburg an dieser Aufgabe. Werkstattmonteure zerlegen Fahrerhaus, Fahrgestell und Aufbau des eigentlich schon fahrbereiten Lkw in mehrere Teile und fixieren sie auf Stahlplatten.

Fahrerhaus, Fahrgestell und Aufbau des Trucks werden in mehrere Teile zerlegt
© Foto: Michael Bader

Das Fahrzeug wird in seine Einzelteile zerlegt

Auf dem Betriebsgelände der GTS Grube Teutschenthal über Tage dirigiert Uwe Müller, Betriebsleiter von Gress & Zapp, die entscheidenden Schritte: Nacheinander hievt ein Kran die Teile des Lkw-Bausatzes in die Höhe. Behutsam setzt er sie hochkant auf Stahlplatten ab. Für ein paar Minuten fliegen die Funken: Ein Schweißer brennt die Tragekonstruktionen auf den Platten fest. Ein Gabelstapler schiebt sie in den Förderkorb. Abfahrt in die Tiefe. Unter Tage in der Grube zieht ein zweiter Kran die Teile des Trucks vorsichtig aus dem Förderkorb heraus. „Hier kam es auf wirklich jeden Zentimeter an“, sagt Betriebsleiter Uwe Müller hinterher erleichtert.

Behutsam werden die Teile aus dem Förderkorb gezogen ...
© Foto: Michael Bader

Dann wird der Truck unter Tage wieder aufgebaut und vom TÜV abgenommen.  Der ganze Prozess des Umbaus, Abbaus, Transports und Wiederaufbaus hat fünf Wochen beansprucht. Dann kann Lkw-Fahrer Matthias Wenzel die erste Runde mit dem TGS drehen. Ein serienmäßiges Fahrzeug ist dies allerdings nicht: Das Son­derfahrzeugbau-Unternehmen Toni Maurer hat den ursprünglichen 360-PS-Dreiachser mit einer zusätzlichen liftbaren und lenkbaren Hinterachse ausgestattet. „Der Truck ist dadurch wendiger als ein konventioneller Vierachser. So kann er in den engen Strecken besser manövrieren. Außerdem darf er nun mit einem höheren zulässigen Gesamtgewicht von 35 Tonnen fahren“, erläutert Geschäftsführer Karl Maurer den Sinn des Umbaus. Denn im Bergwerk fährt der Truck stets mit voller Beladung zum Zielort, an dem der Versatz abgeladen wird.

... und in der Grube wiederaufgebaut. Fünf Wochen dauerte der gesamte Prozess
© Foto: Michael Bader

Der HydroDrive-Antrieb, mit dem der Lkw bereits ab Werk ausgestattet wurde, war ein weiteres Kriterium, warum die Bergleute aus Teutschenthal sich genau dieses Fahrzeug angeschafft haben. Denn der Zusatzantrieb an der Vorderachse verleiht dem Truck entscheidende Vorzüge, die den Einsatz unter Tage überhaupt erst möglich machen. Mit seiner Höhe von 3,05 Metern ist der TGS nämlich niedrig genug, um die teilweise nur 3,60 Meter hohen Bergwerksstrecken zu passieren. Und im Gegensatz zu herkömmlichen Allradantrieben benötigt der Lkw keine zusätzliche Bodenfreiheit. Darüber hinaus wiegt er weniger, bietet mehr Nutzlast und verbraucht laut Hersteller weniger Kraftstoff als ein Allrad-Lkw. Dennoch hat das Fahrzeug genug Traktion, um mit schwierigen Fahrbahnen in der Grube fertigzuwerden. Fahrer Matthias Wenzel bestätigt: „Manche Strecken haben starke Steigungen und Gefälle. Bei hoher Luftfeuchtigkeit wird die Fahrbahn sehr rutschig. Ohne den HydroDrive käme ich hier nicht durch.“

Wenzel freut sich übrigens über ein weiteres Umbaudetail: Die Kabine wurde mit Silikon abgedichtet und erhielt eine Luftfilteranlage. So ist der Fahrer zum Beispiel gegen Staubemissionen geschützt.

Am Grubeneingang der deutsche Bergmannsgruß
© Foto: Michael Bader

Zehn Jahre Schwerstarbeit muss jeder Truck hier leisten

Für Thomas von Kalnassy, der als technischer Leiter Wartung/Instandhaltung den Fuhr- und Maschinenpark der GTS Grube Teutschenthal verantwortet, lohnt sich die Anschaffung. „Dies ist der zweite MAN in unserer Flotte. Für die Transportaufgaben unter Tage sind die HydroDrive-Lkw effizienter als herkömmliche Bergwerksfahrzeuge“, sagt er.

Rund zehn Jahre Nutzungsdauer unter Tage hat Thomas von Kalnassy kalkuliert. Der Truck leistet an fast 250 Tagen im Jahr Schwerstarbeit. Täglich legt er rund 200 Kilometer mit durchschnittlich 25 Tonnen Beladung zurück – unter Fahrbedingungen im Bergwerk, die wesentlich härter sind als im normalen Straßeneinsatz. Noch etwa zehn Jahre lang läuft in Teutschenthal der Versatzbergbau weiter, bis die ehemaligen Abbaukammern wieder vollständig verfüllt sind. Für Matthias Wenzel und seinen TGS gibt es also noch viel zu tun. Nach seiner Acht-Stunden-Schicht wird der Fahrer von einem Kollegen abgelöst und der TGS dreht weiter seine Runden in der Dunkelheit des Versatzbergwerks.

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