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Test & Technik: Tatütata …

19.06.2020 15:00 Uhr | Lesezeit: 6 min
Test & Technik: Tatütata …
Mit 370 PS ist das feuerrote Spielmobil von Scania üppig motorisiert
© Foto: G. Grünig/TRUCKER

Feuerwehrautos gehören nicht unbedingt zur Kernkompetenz des TRUCKER. Aber wer träumt nicht davon, in so einem roten Flitzer mit Blaulicht und Sirene über die rote Ampel zu fahren? Und ein Erlebnis ist das 370 PS starke Einsatzfahrzeug von Scania allemal.

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Zugegeben, ich war nie bei der freiwilligen Feuerwehr – statt zehn Jahre Dienst an der Spritze zu leisten, bin ich lieber ein paar Monate in Oliv herumgelaufen. Aber bei diversen Tagen der offenen Tür hatte man doch mal Gelegenheit, die Einsatzfahrzeuge näher unter die Lupe zu nehmen. Meist waren das damals noch heulende, weil luftgekühlte Magirus, bockbeinige MAN oder rusti­kale Mercedes. All diese Attribute sind dem Testfahrzeug völlig fremd – ja, ich weiß, auch MAN und Co. bauen heute komfortable Feuerwehrautos ...

Der rote Renner aus Schweden präsentiert sich vollluftgefedert und schwebt deshalb selbst über schlechteste Straßen, zumal ein Radstand von 4550 Millimetern per se schon hohen Fahrkomfort garantiert. Und wenn man tatsächlich mal über Kopfsteinpflaster brettern muss, filtert die luftgefederte und elektrisch kippbare Doppelkabine auch die letzten Stöße aus.

Der drehmomentstarke D13 dreht auf, wenn's brennt

Scania-typisch zeigt sich der P 370 selbst bei vollem Leistungseinsatz überaus leise. Mussten sich Feuerwehrmänner im 20. Jahrhundert oft mit rachitischen Gurken mit viel zu wenig Pferdestärken herum­plagen, schöpft das „TLF“ (Tanklöschfahrzeug) aus dem Vollen. Seine Erbauer haben ihm den großen Sechszylinder spendiert. Trotz 13 Liter Hubraum steht zwar „nur“ eine 370 an der Frontmaske. Aber für maximal 19 Tonnen Gesamtgewicht ist das mehr als ausreichend. Zumal der DC13 in dieser Leistungseinstellung auf üppige 1900 Newtonmeter Dreh­moment kommt und damit über eine der drehmomentstärksten Maschinen dieser Leistungsklasse verfügt.

Zahlen zur Performance gefällig? Wer das Gaspedal des Feuerwehr-Scania ans Bodenblech nagelt und das Spurtvermögen der neuen Allison-Automatik samt Drehmomenterhöhung der Wandlerkupplung ausnutzt, sprintet in 5,3 (!) Sekunden auf 60 km/h. In 8,3 Sekunden fällt die 80, und bis zur Abregelgeschwindigkeit vergehen kaum mehr als die magischen zehn Sekunden. Das reicht übrigens, um die jeweils niedrigsten Leistungseinstellungen eines VW T6 oder Ford Tourneo Custom zu vernaschen. Und die lebende Mumie Lada Niva ist kein Gegner, sondern Opfer.

Dass der große Scania-Sechszylinder was kann, ist bekannt. Eine echte Überraschung ist allerdings der Allison-Automat. Viele Jahre als recht lethargisch bekannt und gesegnet mit ziemlich starken Schaltrucken, haben die Amerikaner richtig was weiterentwickelt. Durch die Wandlerschaltkupplung samt systembedingter Anhebung des ohnehin hohen Drehmoments setzt sich der P 370 vehement in Bewegung. Kurz vorm roten Bereich wechselt der Automat ruckfrei die Schaltstufe, es geht zügig weiter nach vorne. Sechs Schaltstufen bietet das überarbeitete Getriebe. Zudem stellt es sich schnell auf aktuelle Bedürfnisse ein. Wenn’s brennt – im Wortsinn –, lässt der Automat den Motor bis zur Nenndrehzahl ausdrehen, schaltet also leistungsbetont.

Scania-typisch glänzt der Arbeitsplatz des Fahrers durch perfekte Ergonomie. Nur auf einen Tempomat müssen die Floriansjünger verzichten
© Foto: G. Grünig/TRUCKER

Das Getriebe lässt den Motor schnurren wie ein Kätzchen

Nach dem Einsatz, wenn man das Gaspedal nur noch streichelt, macht Allison einen auf Schmusekätzchen, schaltet frühzeitig hoch, lässt den Motor nur schnurren und senkt so den Kraftstoffverbrauch. Bei aller Begeisterung für die aktuelle Version, eine Macke hat sie dann doch: Geht der Fahrer

vom Gas, schaltet sie meist sofort einen Gang zurück. Das ist in vielen Situationen ziemlich lästig, weil man nicht vernünftig ausrollen kann. Der an Fernverkehrs-Lkw gewöhnte Tester sieht das aber etwas enger als der Feuerwehrmann, der sonst hinter dem Lenkrad Platz nimmt.

Beide freuen sich über die sehr gelungene Lenkung. Trotz ihrer Leichtgängigkeit – man fühlt sich fast an alte Amis mit „Ein-Finger-Steuerung“ erinnert, vermittelt sie präzises Lenkverhalten. Dabei verzichtet Scania bislang auf eine elektrische Überlagerungslenkung. Kleines Geheimnis am Rande: Die Schweden kommen demnächst ebenfalls mit Lenkkraftunterstützung. Mal sehen, wie gut die dann ist …

Die Armaturen für den Tankaufbau in der Mitte finden sich im Heck
© Foto: G. Grünig/TRUCKER

Zum Thema Arbeitsplatz muss man bei einem Scania nicht viele Worte verlieren. Die Armaturen zeigen sich sehr übersichtlich und gut ablesbar. Alle Schalter sind so ergonomisch platziert, dass sie der Fahrer mit traumwandlerischer Sicherheit findet. Das gilt allerdings nicht für die Knopf-Klaviatur unter dem Dach, mit der sich unter anderem Blaulicht und die – leider deaktivierten – Signalhörner einschalten lassen. Wer bei der vorliegenden Lenkradverstellung Probleme hat, eine passende Position zu finden, ist wohl auch häufiger Kunde beim Orthopäden. Die Sitze sind bequem und mannigfaltig verstellbar. Nicht ganz unwichtig bei einem Feuerwehrauto: die Rundumsicht fällt vorbildlich aus.

In der Doppelkabine haben hinten drei Feuerwehrmänner üppig Platz. Eine spezielle Sitzkonstruktion erlaubt es, die eventuell getragenen Atemschutzausrüstungen während der Fahrt nicht nur im getragenen Zustand sicher zu verstauen, sondern sie auch gleich zu sichern. Klappstufen am hinteren Einstieg erleichtern das Einsteigen, sobald die Fond-Portale geöffnet werden. Das wäre doch auch mal eine schöne Lösung für die Fernverkehrsautos – zumal Scania so etwas eine Zeit lang schon mal hatte … Sieht nicht nur gut aus, hilft auch der Aerodynamik und verhindert, dass der Truck unfreiwillig „geentert“ wird.

Die Erklärung zu den vier Seitenairbags, über die sich der Tester dann doch wundert, folgt sofort: Haben Sie gewusst, dass die häufigste Unfallursache im Einsatz das Umkippen ist? Die oft unerfahrenen Lenker wollen einfach nicht akzeptieren, dass ESP nur im Rahmen physikalischer Grenzen wirken kann. Liegt man auf der Seite, helfen die Luftkissen wenigstens, Verletzungen abzumildern. Übrigens müssen die Floriansjünger auf viele Assistenzsysteme verzichten, die in Fernverkehrsautos obligat sind. Aber gut, wer braucht einen Abstandstempomat, wenn er vor allem innerstädtisch löscht.

Die seitlichen Staufächer verfügen über leicht zu öffnende Rollos aus Aluminium
© Foto: G. Grünig/TRUCKER

Wer flott beschleunigt, will auch vernünftig bremsen: Auch diese Disziplin beherrscht der Schwede. Scheibenbremsen an allen Rädern sind obligat und selbstverständlich lassen die sich gut bedienen. Die Verzögerung steigt leicht überproportional mit dem Pedaldruck. Zudem arbeiten die Stopper nicht nur vehement, sondern sprechen auch feinfühlig an. Ist man anfangs enttäuscht, dass es keinen raffinierten Retarder gibt, stattdessen „nur“ eine zweistufige Motorbremse, relativiert sich diese vermeintlich Pleite beim ersten Verzögern. Im Zusammenspiel mit dem Wandler und entsprechend flotten Rückschaltungen – sobald der Fahrer den Hebel zieht – bedarf es bei normalem Verzögerungswunsch meist keines Betriebsbremse­einsatzes. Ganz im Gegenteil ist in vielen Fällen Stufe zwei schon zu viel, etwa wenn man an Kreisverkehr heranfährt und nur etwas bremsen möchte.

Alles in allem ist die Fahrt im feuerroten P 370 also wirklich die Erfüllung eines Kindheitstraums. Obgleich die stumme Sirene ein klein wenig enttäuschend war. Als „Fernverkehrs-Mann“ steht man aber vor dem TLF und grübelt: Die Kabinenlänge wäre optimal für lange Touren. Das Haus ein klein wenig höher gesetzt, ein ebener Boden rein und vielleicht noch ein Topline-Hochdach drauf ... Weil man ja meist alleine ist, reicht doch eine Tür vorne links und hinten rechts – würde ja auch Geld sparen. Mit derart Platz ließe sich ein Bett in Traummaßen realisieren, viel Stauraum gäb’s obendrein. In dem Moment rüttelt mich der Scania-Werksfahrer wieder wach: Was denn noch, wir haben dir doch gerade einen Traum erfüllt …


Motor

Sechszylinder-Reihenmotor (Scania DC 13), Turbolader (FGT, fixe Geometrie), Ladeluftkühlung, Common-Rail-Einspritzung, Hubraum: 12,7 l (Bohrung x Hub: 130 x 160 mm), Leistung: 370 PS (272 kW) bei 1800/min, max. Drehmoment: 1900 Nm bei 900–1340/min, max. Motorbremsleistung: 242 kW bei 2400/min; Euro 6d mit SCR-only-Technologie; bis zu 4 Nebenabtriebe möglich

Kraftübertragung und Fahrwerk

Allison Automatikgetriebe (GA866) mit sechs Vorwärts- und einem Rückwärtsgang, Wandler-Überbrückungskupplung; Hinterradantrieb (HA: Scania R660), iHA=4,88; Vollluftfederung; Scheibenbremsen

Maße und Gewichte

Fahrerhaus: CP28L (Doppelkabine, niedrig); Radstand: 4550 mm, L x B x H: 8340 x 2550 x 3008 mm; Gesamtgewicht (techn.): 19.000 kg; Bereifung: 315/80 R22.5; Wasserkapazität: 3000 l; Schaumtank: 200+100 l; Wasserpumpe: 3000 l/min (bei 10 bar)



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