Einen solch‘ bunten Strauß an Neuheiten sieht die Lkw-Branche wohl eher selten: Kaum hat MAN seine neuen Lastwagen präsentiert (TRUCKER 4/2020), da zündet schon Volvo Trucks die nächste Stufe.
Ähnlich wie der Wettbewerber aus München, renoviert der schwedische Hersteller mit FM, FMX, FH und FH 16 auf einen Schlag fast seine gesamte Modellpalette. Vor allem die beiden erstgenannten Modelle haben mit ihren Vorgängern – Volvo Trucks nennt diese ab sofort die „Classic“-Ausführungen – kaum noch etwas gemein. Vielmehr eifert der neue FM auffallend dem FH nach und wirkt optisch wie eine zu heiß gewaschene Ausgabe des großen Bruders.
Kein Wunder, denn der „Baby-FH“ – Volvo Trucks möge uns diesen Ausdruck verzeihen – übernimmt in weiten Teilen das FH-Fahrerhaus. Das ist bei der Mittelklassen-Baureihe aber tiefer montiert und weist deshalb wie gehabt einen hohen Motortunnel im Innenraum auf.
Das FM-Fahrerhaus bietet ab sofort mehr Platz
Auf der anderen Seite gelingt so aber der Einstieg bequemer, weil niedriger – für das vorrangige Einsatzszenario des FM im schweren Verteilerverkehr dürfte dies für viele der Fahrer klar ein gewichtiges Argument sein.
Bezogen aufs Vorgängermodell, verfügt die neue Kabine über höher gezogene A-Säulen, was laut Hersteller schon allein einen Kubikmeter mehr Platz im Innenraum schafft. Zusätzlich lässt sich nach oben per Globetrotter-Hochdach erweitern (eine Globetrotter-XL-Kabine wird es auch für den neuen FM nicht geben), womit sich Volvos neue Mittelklasse etwas mehr für den (nationalen) Fernverkehr qualifiziert wie der „Classic“.
Grundlegend überarbeitet hat Volvo Trucks den Armaturenträger und verlieh ihm eine zeitgemäße Digitalisierung. Dafür wich die bisherige analoge Geschwindigkeitsanzeige mit integriertem Drehzahlmesser einem zwölf Zoll großen Bildschirm, auf dem sich die Instrumente aber in ähnlicher Form anzeigen lassen wie beim Vorgängermodell. Oder man wählt ganz nach eigenem Geschmack eine andere Form der Darstellung aus den insgesamt vier zur Verfügung stehenden Möglichkeiten.
Rechts daneben thront optional ein neun Zoll großes Display, über das sich beispielsweise Infotainment, Navigation, Transportinformationen und Kameraüberwachung bedienen oder anzeigen lassen. Was uns gut gefällt: Auch wenn der optionale Bildschirm verbaut ist, verschwinden nicht alle Bedienelemente im Gewirr eines Touchscreens. Oft genutzte Funktionen wie Heizung, Lüftung, Klimaanlage, Licht oder die Assistenzsysteme werden weiterhin über ähnliche Dreh- oder Druckschalter bedient wie beim Vorgängermodell.
Zudem kann die Bedienung über die Lenkradtasten erfolgen, welche die Schweden nun übersichtlicher gestaltet haben. Oder man nutzt alternativ die Sprachfunktion, die laut Hersteller auch bei laufendem Motor Kommandos versteht. Vielleicht ein Verdienst der nochmals verbesserten Geräuschkulisse, im FM und auch im Baustellenbruder FMX soll es innen nämlich nun um bis zu zwei dB(A) leiser zugehen. Auch die Isolierung gegen Kälte und Hitze soll im Neuen besser sein.
Was erfahrene FM-Lenker ebenfalls erfreut zur Kenntnis nehmen: Der Wählhebel fürs I-Shift-Getriebe ist nun schlanker und ergonomischer geformt, wodurch der Durchstieg vom Sitz zum Bett einfacher gelingt. Wir hätten uns trotzdem eine gänzliche Abkehr von der Position am Fahrersitz gewünscht – zugunsten einer Lösung im rechten Lenkstockhebel, wie es eben alle anderen Hersteller machen.
Für grobe Anwendungen bleibt der ebenfalls komplett erneuerte Bauableger FMX erste Wahl im Programm. Interieur und Bedienung fallen hier ähnlich wie im FM aus, zudem verbesserten sich laut Werksangabe auch hier Raumangebot, Stauvolumen und dank abgesenkter Türlinie und neuen Rückspiegeln die Sichtverhältnisse. Zusätzlich kann nun auch für FMX (und FM) die bisher dem FH vorbehaltende Zweigelenkwellenverstellung des Lenkrads geordert werden. Neues bietet der FMX auch auf der Technik-Seite: Eine neue Traktionssteuerung soll auf schwierigem Untergrund besseren Vortrieb gewährleisten. Durch einfaches Drehen des Bedienknopfes werden die Differenzialsperren aktiviert und der Traktionsstatus im Instrumentencluster angezeigt.
Weniger für den deutschen als für Märkte mit deutlich höheren zulässigen Gesamtgewichten interessant ist das neue 38-Tonnen-Doppelachsaggregat, welches Gesamtzuggewichte von bis zu 150 Tonnen ermöglicht. Gut dazu passt die überarbeitete Luftfederung der Vorderachse, die jetzt Achslasten bis zu zehn Tonnen verkraftet. Im Falle von zwei gelenkten Achsen sind vorne nun also maximal 20 Tonnen drin. Den Wendekreis verkleinern die einsatzspezifisch aus dem Programm wählbaren Vor- und Nachlaufachsen, denen die Schweden einen größeren Lenkwinkel verpassten. Vom Vorgänger übernahm man außerdem die bauspezifischen Softwarepakete für das I-Shift-Getriebe sowie die Version mit zwei zusätzlichen Crawlern.
Optisch dezent überarbeitet hat Volvo seine großen Fernverkehrsbaureihen FH und FH 16, die innen in ähnlicher Form digitalisiert wurden wie ihre kleineren Brüder. Was sofort ins Auge sticht: Der FH 16 darf sich äußerlich nun deutlicher vom FH absetzen, wofür der Frontgrill des Topmodells eine ausschließlich senkrechte Maserung – Volvo Trucks nennt es blumig „Wasserfallmotiv“ – in silberner Farbe trägt. Bezogen auf ihre Vorgänger, fallen sowohl bei FH als auch bei FH 16 die nun in die Tür integrierten seitlichen Blinkleuchten auf, was vor allem aerodynamische Vorteile bringen soll. Auch die V-förmigen Scheinwerfer sind neu und wurden weiter nach außen versetzt. Serienmäßig erstrahlt die Frontbeleuchtung in Halogen-H7-Technik, optional ist das Abblend- und Fernlicht aber auch in sicher deutlich hellerer LED-Ausführung zu haben.
Zusätzlicher Aufpreis wird für das adaptive Fernlicht fällig. Das von Oberklasse-Pkw bekannte, in der Lkw-Branche aber ein Novum darstellende System arbeitet intelligenter als herkömmliche Assistenten, die lediglich zwischen Abblend- und Fernlicht umschalten. Die adaptive Lösung regelt die Lichtverteilung so, wie es die Verkehrssituation erlaubt. Heißt: Erkennt das System entgegenkommende oder vorausfahrende Fahrzeuge, passt es die Leuchtweite kontinuierlich dem Abstand an. So ist stets die optimale Lichtausbeute gewährleistet, ohne dass andere Verkehrsteilnehmer geblendet werden.
Weitere Verbesserungen in Sachen aktive Sicherheit sind der verbesserte Abstandstempomat (ACC), der jetzt bis zum Stillstand des Fahrzeugs agieren kann, und die optionale Seitenkamera, die auf dem rechten Zusatz-Display eine ergänzende Seitenansicht des Fahrzeugs darstellt. Im Instrumentencluster meldet sich dagegen das Verkehrsschild-Erkennungssystem, das auf Überholbeschränkungen, Straßenart und Geschwindigkeitsbegrenzungen programmiert ist. Nicht ganz nachvollziehen können wir die Notwendigkeit eines ebenfalls neuen Schalters im Armaturenbrett, über den sich der Bremstempomat bei Bergabfahrten alternativ aktivieren lässt.
In Sachen Antriebsstrang übernehmen alle neuen Volvo die Euro-6d-sauberen Motoren ihrer Vorgänger mit allen bisherigen Leistungseinstellungen. Und natürlich sind weiterhin die sanft, aber schnell und souverän schaltenden I-Shift-Getriebe für die Kraftverteilung verantwortlich. Als Sparsamkeitsmeister bei gleichzeitig überdurchschnittlichen Fahrleistungen preisen die Schweden weiter die I-Save-Modelle der FH-Baureihe mit 460 oder 500 Pferdestärken an. Die sollen unter anderem durch verbesserte Aerodynamik und neue Software nun nochmals zwei Prozent sparsamer sein – was zu beweisen bleibt.
Oder man greift bei FM und FH zu den weiter erhältlichen LNG-Erdgas-Varianten des D13-Sechszylinders mit 420 oder 460 PS, die – das passende Einsatzszenario natürlich vorausgesetzt – CO2-Emissionen und Betriebskosten senken können. Daneben forscht man in Göteborg intensiv an der Zukunftsantriebsquelle Wasserstoff. Bis hier aber eine praxisgerechte und vor allem bezahlbare Serienlösung vorliegt, wird es laut Volvo Trucks noch mindestens zehn Jahre dauern.
Stetige Überwachung, längere Serviceintervalle
Apropos Kosten: Die sollen die Kunden schon heute auf der Serviceseite sparen können, wofür der Hersteller „Real-time-Monitoring“ nachlegt. Dahinter steckt die Echtzeitüberwachung wichtiger Komponenten durch die Volvo-Zentrale. Erkennen die dortigen Spezialisten ein sich anbahnendes Problem, beordern sie den FM, FMX, FH oder FH 16 in Absprache mit dem Kunden in die Werkstatt, bevor ein Totalausfall während der Tour droht.
Auch den Zustand des Motoröls behält das System im Auge, was bis zu 50.000 Kilometer längere Wechselintervalle zur Folge haben kann – womit Volvo Trucks hier wieder auf Augenhöhe zum Wettbewerb läge. Keinen Pitstop müssen die neuen Volvos außerdem für Software-Updates mehr einlegen, die ab sofort drahtlos im laufenden Betrieb aufgespielt werden. Vor allem für Transportunternehmen mit saisonal abhängigem Geschäft interessant sein kann zudem der neue „Flexi-Gold“-Servicevertrag, der flexible Anpassungen an sich wandelnde Geschäftsbedingungen bietet. Je nachdem, ob sich die Auftragslage aktuell mau oder besonders gut darstellt, kann der Chef die monatlichen Gebühren hier in einer Spanne von plus/minus 20 Prozent anpassen.
Und wann wird man die ersten neuen Volvo auf deutschen Straßen erspähen? Ein paar Monate wird es noch dauern: Zwar sind die neuen FM, FMX, FH und FH 16 ab sofort bestellbar, die Auslieferung startet nach Aussage des Herstellers aber nicht vor September.