Vertreter der EU-Staaten haben heute, am 4. Oktober, über die Einführung von teils hohen Ausgleichszöllen auf Elektroautos aus China abgestimmt. Hintergrund ist, dass Peking in der Volksrepublik hergestellte Autos aus Brüsseler Sicht mit wettbewerbsverzerrend hohen Subventionen fördert.
Die Sorge: Europäische Hersteller und Zulieferer könnten unter die Räder geraten, doch gerade deutsche Autobauer und Zulieferer sehen das Vorhaben kritisch. Ein Überblick:
Die EU kann Zusatzzölle auf Elektroautos aus China erheben. Es hat sich keine ausreichende Mehrheit der EU-Staaten gegen das Vorhaben ausgesprochen, wie mehrere EU-Diplomaten der Deutschen Presse-Agentur bestätigten.
Deutschland konnte sich nicht mit seiner Position durchsetzen. Das bevölkerungsreichste EU-Land stimmte in Brüssel zwar gegen die Zölle: Um diese verhindern zu können, hätte sich aber eine Mehrheit der EU-Staaten gegen das Vorhaben aussprechen müssen, die zusammen mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU ausmachen.
Nach Angaben aus Diplomatenkreisen stimmten am Ende zehn EU-Staaten für die Maßnahme und zwölf enthielten sich. Lediglich fünf sprachen sich demnach offen gegen die Zölle aus. Dabei repräsentieren die Gegner der Abgaben den Angaben zufolge gut 20 Prozent der EU-Bevölkerung. Damit kann die EU-Kommission entscheiden, die Abgaben in Höhe von bis zu 35,3 Prozent einzuführen.
Die EU-Kommission wirft China vor, die gesamte Wertschöpfungskette für Elektroautos stark zu subventionieren und den Markt so zu verzerren. Deshalb will die Behörde Zusatzzölle einführen. Bei der Entscheidung darüber haben jedoch die 27 EU-Staaten ein Wort mitzureden.
Kernfrage der heutigen Abstimmung war: Werden Hersteller, die in China produzieren und von dort in die EU exportieren, ab Anfang November mit Zusatzzöllen bestraft? Konkret geht es um Zölle von 7,8 Prozent für Tesla und 35,3 Prozent für Unternehmen, die nicht mit der EU-Kommission bei der Untersuchung kooperiert haben.
Die Höhe richtet sich unter anderem danach, wie viele Subventionen ein Hersteller bekommt. Sie würden auf einen ohnehin schon bestehenden Zoll von zehn Prozent aufgeschlagen. Ob oder in welchem Umfang die Zölle an Kunden weitergegeben würden, ist noch unklar.
Neben chinesischen Herstellern wie BYD und Geely würden auch deutsche Hersteller getroffen. Die deutschen Platzhirsche VW, Mercedes und BMW produzieren auch in China für den Export und müssten entsprechend einen Aufschlag zahlen. Anfragen, inwiefern Renault aus Frankreich oder Fiat aus Italien von den Zöllen betroffen wären, ließen die beiden großen europäischen Hersteller unbeantwortet.
„Deutsche und europäische Hersteller, die aus China heraus in die EU exportieren, werden mit höheren Zöllen belastet als einzelne Wettbewerber aus China und den USA. Das ist schlichtweg unverständlich und wenig zielführend“, kritisiert die Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA) Hildegard Müller.
Die EU-Kommission macht sich für die Zölle stark, weil sie im Verhalten Chinas eine Bedrohung für europäische Firmen sieht. Die Grundidee ist vereinfacht gesagt: Jeder Euro, den ein E-Auto aus China aufgrund von Subventionen günstiger wird, soll durch die Zölle aufgefangen werden, damit diese Fahrzeuge keinen unfairen Wettbewerbsvorteil haben.
Derzeit haben chinesische Hersteller nach Branchenangaben einen Marktanteil von rund einem Prozent in Deutschland. Durch einen Vorsprung in der Elektromobilität gewinnen Firmen aus Fernost aber an Boden und können etwa durch günstige Elektroautos überzeugen, die deutsche Marken schlicht nicht im Angebot haben.
Aus der deutschen Automobilbranche heißt es hingegen, die Zölle beseitigten keine strukturellen Nachteile, die in der EU bestünden. So sind der Autoindustrie etwa hohe Strompreise und Bürokratie durch gesetzliche Vorgaben ein Dorn im Auge.
Zudem werden Gegenmaßnahmen befürchtet, und hier sind deutsche Hersteller im Vergleich zu anderen europäischen Firmen gefährdeter. Während andere europäische Hersteller keinen relevanten Marktanteil in China haben, sind es bei deutschen Herstellern laut VDA um die 20 Prozent. „Jedes in China verkaufte Auto finanziert die Wende zu einer klimafreundlichen Mobilität mit“, sagt Verbandspräsidentin Müller.
Mit der ausreichenden Mehrheit für die Zölle werden diese nicht automatisch ab Anfang November erhoben. Wenn Brüssel mit China am Verhandlungstisch noch eine Lösung erreicht, können die Zölle von der EU-Kommission wieder gestoppt werden, auch wenn eine Mehrheit der EU-Staaten vorher für das Vorhaben ausgesprochen hat.
Die Bundesregierung hat sich gegen die Zölle ausgesprochen. Aus grünen Regierungskreisen hieß es, Kanzler Olaf Scholz habe beschlossen, dass die Bundesregierung gegen die Zölle stimmen werde. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) habe dies akzeptiert. Damit nimmt Scholz angesichts von Differenzen der Koalitionspartner das letzte Wort für sich in Anspruch.
In der Ampel-Koalition drangen die FDP-geführten Ministerien für Finanzen und für Verkehr auf ein deutsches Nein in Brüssel. Auch Scholz äußerte sich kritisch zu möglichen Strafzöllen. Die grün geführten Wirtschafts- und Außenministerien hatten dafür plädiert, sich bei der Abstimmung zu enthalten, um weiter nach einer Verhandlungslösung mit China zu suchen.
Die grünen Ministerien akzeptierten die nun gefallene Entscheidung für ein deutsches Nein, hieß es am Donnerstagabend, den 3. Oktober.
Zwar hieß es aus dem Bundeswirtschaftsministerium, man wolle einen fairen Wettbewerb, aber keinen Handelskrieg mit Zöllen. Europa dürfe gegenüber China aber auch nicht naiv sein. „Deshalb hätten wir einen anderen Weg als „Nein“ für besser gehalten.“ Dies sei aber keine Glaubensfrage, sondern eine Frage der politischen Taktik. Ziel müsse eine Verhandlungslösung sein, die die eigenen Interessen wahre.
Im Hinblick auf die EU-Zusatzzölle spricht Peking von Protektionismus. Brüssel ignoriere Fakten, missachte Regeln der Welthandelsorganisation und werde sich selbst und anderen nur schaden, so das chinesische Außenministerium. Verhandlungen über eine Beilegung der Differenzen wurden von Peking unterstützt. Im September war der chinesische Handelsminister Wang Wentao zu Gesprächen nach Brüssel gereist. Doch droht Peking zugleich mit Gegenmaßnahmen.
So wurden etwa Anti-Subventionsuntersuchungen gegen importierte Milchprodukte und gegen Branntwein (Brandy) aus der EU vorangetrieben. Bei der Brandy-Untersuchung sind nach chinesischer Darstellung zwar Dumpingpreise festgestellt worden, Maßnahmen würden jedoch vorerst nicht ergriffen.
Im Frühjahr hatte US-Präsident Biden angekündigt, Elektroautos aus China mit Sonderzöllen von 100 Prozent zu belegen - und sie so faktisch vom US-Markt zu nehmen, weil der Endpreis für die allermeisten Autokäufer dadurch zu hoch wird. Die US-Regierung wirft China vor, die globalen Märkte mit künstlich verbilligten Exporten zu fluten. „Das ist kein Wettbewerb, das ist Schummeln“, hatte Biden damals gesagt. Damit hat sich der Handelskonflikt zwischen den USA und China weiter verschärft.
Die Türkei hat erst kürzlich eine Steuer auf Autos aus China mit 40 Prozent, aber mindestens 7000 US-Dollar pro Fahrzeug erlassen. Hinzu kommt laut Angaben des Senders TRT eine Umsatzsteuer von zehn Prozent. Investoren sind ausgenommen von dieser Regel. Kraftfahrzeuge unterliegen in der Türkei einer hohen Sondersteuer. Diese gilt für im Inland hergestellte wie für importierte Fahrzeuge. Die Höhe des Steuersatzes richtet sich nach dem Hubraum und liegt derzeit zwischen 45 bis zu 220 Prozent. (dpa)
(Der Beitrag wurde am 4. Oktober um 11:29 Uhr aktualisiert)