Im Mai flimmerte die Luft im Design-Studio von Renault Trucks: Vier Varianten der neuen LKW-Generation warteten nur noch minimal verhüllt auf das Blitzlichtgewitter, das sich bald über den Autos entladen sollte.
In einer weiteren, gut abgeschirmten Halle sammelten sich die ersten Rückkehrer aus der 300 Fahrzeuge starken "Vorserienarmee". Die war weltweit im "Kampfeinsatz" und erinnert mit ihrer wilden Tarnung nicht ganz unpassend an Darth Vader aus "Star Wars". Als die Hüllen fallen, ist klar, dass Volvo es trotz organisatorischer Zusammenlegungen ernst meint mit der Eigenständigkeit von Renault Trucks. Zwar teilen sich die Marken Hardware wie Motoren, Achsen und Getriebe. Doch schon bei Anbindung und Software geht man anderer Wege.
Bei der Kabine sowieso: Unter drei Entwürfen hat Chefgestalter Hervé Bertrand den Ungewöhnlichsten durchgesetzt, der Darth Vader optisch nähersteht als den freundlich dreinblickenden Renault PKW oder Volvo Trucks. "Als wir das Rohbau-Design Ende 2007 verabschiedeten, hatten wir noch einen weiten Weg zu gehen, da erwies sich der auf den ersten Blick ungewöhnlichste Entwurf als der zeitloseste", rechtfertigt der unbequeme Designer seine Entscheidung.
Renault Trucks setzt wie beim Magnum weiter auf eine klare Trennung zwischen komplexem mechanischen Unterbau und dem darüber liegenden "Wohnraum" für den Fahrer. Eine Spange trennt die beiden Bereiche, wie man es seit jeher von Major und Magnum kennt. Viele Anregungen stammen auch vom Motorraddesign. Darum hat Bertrand auch die vordere Kabinenlagerung mit den beiden Drehpunkten (um das Fahrerhaus zu kippen) kaum kaschiert. "Die zu verstecken, ist aufwändig. Doch die Kippkabine ist ein wesentliches Funktionsmerkmal eines LKW - warum sollten wir das nicht zeigen?", fragt der Designer. "Außerdem erhielten wir so einen riesigen Kippwinkel, was Fahrer und den Service freuen dürfte."
Die Frontklappe besteht aus einem einteiligen, 2,5 Meter breiten riesigen Blech, das dem Unternehmer viel Platz für seine Beschriftung bietet und dem Werkzeugbau die Tränen in die Augen trieb. "Die Wartungsklappe gehört zu den größten Stahl-Karosserieteilen überhaupt im LKW-Segment", freut sich Bertrand, der bei der Gestaltung sehr bewusst differenzierte, wo sich Geld sparen lässt und wo investiert werden muss. Die Anbindung der Frontscheibe ans Dachsegment lässt nur einen ganz kleinen Spalt, was sehr futuristisch aussieht und sich aerodynamisch günstig auswirkt. Dass die glatte Kabine wenig Widerstand bietet, bestätigten die Tests im Windkanal, nach denen nur Details geändert wurden.
WO RICHTIG GELD INVESTIERT WURDE
Die schweren Türen öffnen und schließen satt, wenngleich Bertrand gern noch eine extra Dichtlippe respektive -kordel eingezogen hätte, um das noch exakter und wertiger klingen zu lassen. Das gesparte Geld investierte er stattdessen in eine hochwertige Lenksäulenverkleidung, die beim Einstieg über die vier Stufen das Erste ist, was man wahrnimmt. Dazu gehört auch eine ordentliche flexible Verkleidung der Lenksäule. Zurückhaltung übten die Franzosen dafür beim Verstellbereich des Lenkrades, das sich nicht so steil in die Vertikale bringen lässt wie bei den Schweden.
Da eine hinterschäumte Instrumententafel nicht in Frage kam, schuf Renault Trucks ein Oberflächenmuster, das sich laut Renault-Trucks-Designer Paul Daintree "perfekt modellieren ließ". Das ist ebenso frankophil wie die Verwendung von Digitalinstrumenten. Das ursprünglich angedachte, mopedähnliche Digitalcluster mit analogem Drehzahlmesser bot den befragten Fahrern gefühlt zu wenig Information.
Die runden Lüftungsdüsen sind bekannt, günstig und gut bedienbar. Ein Ausströmer am Beifahrerplatz bläst in den Schoß: "Bei unseren Klimatisierungsmessungen kam heraus, dass der wichtigste Bereich neben Kopf und Hals der Schoß ist", begründet Bertrand die Position. Alle Rändel, Taster und Logos wurden von Renault Trucks selbst gestaltet. Bei den Rastpunkten der Drehschalter mit Aluoberfläche gab es genaue Vorgaben für den Zulieferer: Sie rasten deshalb so satt und exakt ein wie bei einer Präzisionsmaschine.
Den Hebel für die Motorbremse holte man nach rechts über den Optidriver-Lenkstockhebel. Die Feststellbremse wanderte als große Wipp-Platte ans obere Ende der Armaturentafel. Auf eine so glatte, futuristische Fläche wie Volvo verzichtete man. Stattdessen kalkulierten die Gestalter ein, dass noch Taster oder Stecker für Anhänger und Aufbauten, Mautboxen oder eine Kaffeemaschine auf die Instrumententafel gesetzt werden können. Also kamen die Sicherungen samt freier Steckplätze unter eine Platte in der Mittelkonsole, die sich leicht abnehmen lässt. "So kann jeder nachrüsten, was er braucht, und bohrt einfach ein Loch in die Abdeckung und die darüber liegende Gummimatte. Die wird dann beim Wiederverkauf ersetzt - so spart man sich das Anbohren des Armaturenträgers", argumentiert Bertrand diese praxisorientierte Lösung.
DAS FARBSPEKTRUM DES LOUIS VUITTON
Die von Volvo verwendeten Rollos an den oberen Staufächern kosten sehr viel Geld, wenn sie nicht klappern sollen. Darum entschieden sich die Renault-Mannen für die bewährte Lösung der hochwertigen, von unten zu öffnenden Klappen.
Kleine Klappen gibt es auch neben dem Sonnenrollo. Sie sollen störende Abendsonne von den Spalten zwischen Rollo und A-Säule aussperren. Die oberen Schränke reichen in der großen Fernverkehrskabine nicht ganz bis unters Dach. "Das kostet uns zwar ein paar Liter Stauvolumen. Dafür lässt eine unsichtbare Lichtleiste wie im Flugzeug die Kabine noch höher und luftiger wirken", erklärt Bertrand den Verzicht auf die letzten Millimeter. Innen bietet die größte Kabine auch Zwei-Meter-Hünen viel Stehhöhe - und einen ebenen Boden, der über vier Stufen erklettert werden will.
In der Luxusversion sitzt in Türverkleidungen und Armaturentafel ein goldbrauner Zierstreifen. Dazu passen die rotbraun abgesetzten Türsegmente sowie das Lederlenkrad und Ledersitze, die zusammen mit dem beigefarbenen Dachbereich für französisches Flair sorgen. "Wir bewegen uns hier im Farbspektrum von Louis Vuitton. Diese Marke steht für robustes und extrem hochwertiges Reisegepäck. Unabhängig davon empfanden viele Franzosen den Innenraum als sehr deutsch", lacht Bertrand. Bei den Sitzen wechselt man von Isri zu Recaro.
Um optisch zu demonstrieren, dass auch die Anlenkung des Fahrwerks eine französische Entwicklung ist, versah man die Längslenker vor der Achse mit auffälligen Durchbrüchen, was Gewicht spart und auf die Orientierung am Motorrad verweist. Hinter der Kabine gibt es eine Aufräumplatte für die Kabel. Die Windleitbleche lassen sich zum Einklappen beidseitig per Schnapper entriegeln.
Danach steigen wir in den Kerax-Nachfolger um: Bei ihm holten die Designer den ersten Rahmenquerträger vor den Kühlergrill. Da sie das brachiale Gussteil mit schicken Durchbrüchen versahen und die starke Schleppöse in den Stahlstoßfänger integrierten, lässt der Bauarbeiter keinen Zweifel an seiner Mission. Schwarze Kunststoffeinlagen mit sichtbaren Schrauben schützen die Karosserie. Bei den Baufahrzeugen schaut man in der Türverkleidung auf gelochte Trägerelemente. "Auf die kann man optional wie bei den Fernverkehrsautos Zierleisten aufbringen", erklärt Bertrand. Der riesige Klappaufstieg zur Frontscheibe hält locker 200 Kilo Belastung aus, wie Bertrand versichert, nachdem er einen zweiten Mann mit auf die Stufe gebeten hat. Und die Fahrer haben immer eine Brotzeitbank an Bord.
Nachdem das Präsentationsgewitter sich gelegt hat, müssen die Gestalter den nächsten Schritt andenken: Sollte die EU-Gesetzgebung längere vordere Abmessungen erlauben, um die Aerodynamik zu optimieren, könnte Renault reagieren. "Die Zwölf-Grad-Neigung der Frontscheibe erlaubt es, die steile, wenig überwölbte große Fläche durch eine rundere, aerodynamisch optimierte Gestaltung zu ersetzen", überlegt Bertrand laut. Und die Luft in seinem Büro flimmert schon wieder vor neuen Ideen.