Das Treffen mit Renault-Trucks-Designchef Hervé Bertrand findet aus Geheimhaltungsgründen diesmal nicht im Werk, sondern in einem Hotel in Lyon statt. Dorthin wird man mit einem Limousinenservice gebracht, dessen Fahrzeuge alle abgedunkelte hintere Seitenscheiben haben. Es geht in ein separates Hinterzimmer mit schweren Lederstühlen, das von außen abgesperrt ist. Innen herrscht Totenstille.
Die Szene erinnert an einen James-Bond-Streifen, lockert sich aber schlagartig, als Hervé Bertrand den Raum betritt (der übrigens zu Fuß ins Hotel kam) und die Anwesenden begrüßt: "Ich weiß, dass viele Fragen vorbereitet wurden, aber die lassen wir erst mal. Ich erläuterte Ihnen jetzt unsere Ansätze und damit dürften sich viele Dinge automatisch klären!"
Eine Ansage, die Renault-Trucks-Pressesprecher Fabrice Piombo das Entsetzen ins Gesicht schreibt - was in Gottes Namen will Bertrand jetzt alles erzählen? Doch seine Sorgen sind unbegründet: Der Designer spinnt mehrere Fäden, die insgesamt ein klares Bild ergeben, ohne dass er zu sehr ins Detail geht.
Am Ende steht fest: Die neuen Renault-Euro-6-LKW dürften eine kleine französische Revolution werden - auch wenn ihr technisches Package gewisse Gemeinsamkeiten mit manch' anderem neuen Truck aufweisen dürfte.
INTERVIEW mit Hervé Betrand, Chef-Designer Renault Trucks
Herr Bertrand, beginnen wir ganz allgemein: Wofür soll die Marke Renault Trucks künftig stehen? Momentan pendelt sie zwischen leichtem Flotten-LKW Premium und Liebhaberstück Magnum.
Bertrand: Dazu muss ich kurz ausholen. Der Magnum war einst als Cab-Over auch für den US-Markt gedacht und zur Zeit seiner Erscheinung ein Riese. Entsprechend stellten wir ihm mit dem Premium einen gewichtsoptimierten Flotten-LKW zur Seite. Er ist immer noch ein leichtes und sparsames Auto, tut sich aber schwer, Fahrerherzen zu gewinnen.
Damit beantworte ich auch gleich die Frage, die ohnehin immer im Raum steht: Die künftigen Modelle werden wieder durchgängig einen konventionellen Einstieg haben.
Müssen Sie dazu den Rohbau des Volvo FH nutzen?
Bertrand: Nein. Für unsere neue Palette haben wir die Kabine komplett selbst entwickelt. Sie hat mit den Produkten der Konzernmutter nichts gemeinsam.
Inwieweit müssen Sie in Ihrer Gestaltung auf die PKW-Schiene von Renault Rücksicht nehmen?
Bertrand: Gar nicht. Es gibt zwar übergeordnete Vorgaben, die Namens- und Logovorgaben beinhalten, aber beide Marken agieren absolut unabhängig voneinander. Trotzdem tauschen wir uns immer mal wieder informell aus. Erst kürzlich hatte ich wieder eine lange Diskussion mit Laurens van den Acker (dem Designchef von Renault PKW), der momentan eine neue, spannende Sprache für die PKW entwickelt. Als wir unser Design vor drei Jahren festsetzten, gab es diese Sprache so noch gar nicht. Die PKW-Produktzyklen sind viel kürzer und stärker vom Marketing beeinflusst.
Was Ihnen persönlich nicht so zu behagen scheint ...
Bertrand: Ein LKW ist ein Gebrauchsgegenstand, überspitzt ausgedrückt, ein Werkzeug. Und das darf sich nicht nach momentanen Modeströmungen richten. Im Gegenteil: Wir sollten hier wieder zurückkommen zu Werten, die noch zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts galten.
Wie ist denn das gemeint?
Bertrand (lächelt): Keine Angst, ich meine das in keinster Weise politisch, sondern es geht mir hier um die Wertschätzung der Dinge. Noch zu Beginn des letzten Jahrhunderts war ein Werkzeug extrem teuer und hochwertig gearbeitet. Jeder Handwerker schuf damit einen Mehrwert und war stolz auf seine teuren Werkzeuge. Manche sind ja sogar heute noch in Gebrauch und haben nichts von ihrer Faszination und Präzision verloren. Diesen Wert möchte ich den Fahrern wiedergeben. Sie sollen ein hochwertiges Werkzeug an die Hand bekommen, auf das sie stolz sein können. Auch beim Fahrerbild würde ich die Zeit gern wieder zurückdrehen: Noch vor fünfzig Jahren waren sie Helden, die mit viel Muskelkraft tonnenschwere Züge bändigten. Ganz ehrlich: Solche starken Helden wollen wir eigentlich alle gern sein, auch wenn sich das Berufsbild heute massiv gewandelt hat.
Heute gleicht ein LKW ja eher einem voll klimatisierten Büro.
Bertrand: Eben, da gab es eine Revolution. Entsprechend wollen wir in unseren neuen LKW beides vereinen: Hochwertige Mechanik, die im Rahmenbereich gut sichtbar gemacht werden kann, und modernste Elektronik im Interieur, das genug Lebensraum bietet. Dieses Prinzip gleicht übrigens den Motorrädern: Auch hier kombinieren unsere Kollegen blanke, sichtbare Technik mit "verhüllenden" Elementen, und das alles bei vergleichsweise bescheidenen Stückzahlen.
Schadet das nicht der Aerodynamik, die immer wichtiger wird?
Bertrand: Nein, es kommt darauf an, wie man es umsetzt. Als wir mit dem Projekt 2005 begannen, saßen ausschließlich "Petrolheads", also Leute mit Diesel im Blut, an dem Projekt und hatten zig Ideen. Und bald stellte sich heraus: Wenn man einen LKW zu stark verhüllt, dann wird das ein Bus oder gar ein TGV-Zug. In Sachen Luftführung und Aggregateanordnung lernten wir übrigens auch durch unsere Race-Trucks viel dazu.
Treibt das nicht die Kosten?
Bertrand: Sichtbare Technik muss sauber verarbeitet werden. Dazu gibt es mittlerweile faszinierende Produktionsprozesse. Davon mussten wir das Management teilweise erst überzeugen, aber es war dafür sehr offen. Ich persönlich meine, es ist an der Zeit, wieder mutig zu sein und etwas Zeitloses zu schaffen. So wie ein gutes Werkzeug: Dem bringt man immer Respekt entgegen, das wird nie lächerlich wirken. Zumal die Kunden ihre Autos wieder länger fahren, was vor allem in Südeuropa verstärkt zu beobachten ist. Und seien wir ehrlich: Die Finanzkrise hat unsere Welt verändert. Wir müssen den Kunden ein ehrliches, sinnvolles und nachhaltiges Produkt an die Hand geben.
Was bedeutet das konkret?
Bertrand: Fangen wir innen bei ehrlichen Materialien an. Es wird zwar viele verschiedene, individuell konfigurierbare Einleger geben, aber kein unechtes Material wie Holzleisten, die keine sind. Da nutzen wir neue Methoden: Man kann echtes Holz einscannen und die Strukturen dann am Rechner bearbeiten. Daraus entsteht eine neue Struktur. Sie ist eindeutig als Kunststoff zu identifizieren und bleibt damit ehrlich, erzeugt aber trotzdem das Gefühl von Holz. Dennoch werden wir viele Gussteile aus Alu oder auch Magnesium verwenden, die teils greif- und fühlbar sind. Für die Option "Leder" werden wir mit hochwertigen Häuten arbeiten.
Viele Lederlenkräder und -sitze fühlen sich ja an wie Kunstleder.
Bertrand: Weil echtes Leder sich eigentlich abgreift oder abnutzt, was aber niemand akzeptiert. Um das zu verhindern, behandeln wir es fast bis zur Unkenntlichkeit. So kann die "Ehrlichkeit des Materials" zum Problem werden.
Einige Hersteller bieten verschiedene Farbwelten an. Der Magnum ist in Anthrazit gehalten, beim Premium gibt es ein helles Beige. Wie wird das künftig sein?
Bertrand: Ich bevorzuge Anthrazittöne. Daran sieht man sich praktisch nie satt und man kann es gut mit allen anderen Farben kombinieren.
Inwieweit gibt der CX03 Hinweise auf die neue Generation?
Bertrand: Der CX03 gibt natürlich erste Hinweise: Die Kabine wird klar gestaltet und im Bereich Rahmen-Motor werden wir Technik zeigen. Hier bauen wir auch die Brücke zum aktuellen Magnum, der Maschinenraum und Kabine deutlich trennt. Richtig spannend wird das Ganze dann bei den Baufahrzeugen: Ganz ehrlich - die werden genau deshalb eine Revolution und respekteinflößend dreinschauen. Der LKW ist das Rückgrat unseres Systems und entsprechend soll ihm und seinen Fahrern auch Respekt entgegengebracht werden!