Erst vor Kurzem war Daimler-Testfahrer Hans Luft noch mit einem Arocs-Kippsattel zum Test beim TRUCKER. Jetzt hält er im Actros unverblümt auf Entwickler Ingo Scherhaufer zu, der vor ihm den Zebrastreifen auf der Daimlereigenen Teststrecke überquert.
Wer weiß, dass solche Versuche mit aufblasbaren Pkw-Dummies noch vor nicht allzulanger Zeit durchaus mal zum dezenten "Anstupsen" dieser Attrappen führen konnten, findet Scherhaufers Spaziergang vor diesem Hintergrund doppelt mutig. Doch wie geplant leitet der Actros rechtzeitig eine Teilbremsung ein, sodass Luft den Zug rechtzeitig zum Stillstand bringen oder ein Ausweichmanöver einleiten kann. Die vierte Ausbaustufe des "Active Brake Assist", kurz "ABA 4", hat funktioniert. Die automatischen Warn- und Bremsreaktionen der Fußgängererkennung erfolgen bis 50 km/h. Dann muss der Fahrer, der den Assistenten jederzeit übersteuern kann, wissen, was er tut. Entscheidet sich der Fahrer für eine Vollbremsung und steigt zu zaghaft ins Pedal, "überbremst" ihn der Active Brake Assist 4.
ENDLICH IN SERIE: DER ABBIEGEASSISTENT
Die Technik des ABA 4 basiert auf Radar: Der Fernbereichsradar kann in direkter Linie Lkw und Hindernisse bis zu 250 Meter weit bei einem Winkel von 18 Grad voraussehen. Der Nahbereich bis 70 Meter wird dann in einem viel breiteren Winkel von 120 Grad abgescannt. Bis 160 Meter Entfernung sollen so auch Zweiräder sicher erkannt werden, ab 80 Meter auch Fußgänger, wobei die Erkennungsqualität leider noch nicht ganz unabhängig von Witterungseinflüssen ist.
Außerdem bringt Daimler endlich den lang erwarteten Abbiegeassistenten in Serie, der Objekte im toten Winkel erkennen und damit die oft tödlichen Rechtsabbiegeunfälle vermeiden helfen kann. Dazu überwacht ein Radar den Raum rechts des Fahrzeuges bis auf 3,75 Meter Breite und warnt den Fahrer, sollte sich dort ein Hindernis befinden, was vor allem für Zweiradfahrer überlebenswichtig ist. Dazu kommt (bis 36 km/h) die Schleppkurvenerkennung des Trailers: Sollte der zu eng einlaufen und so eine Ampel oder ein Schild "mitnehmen", warnt das System ebenfalls, leitet aber im Gegensatz zum "Active Brake Assist" keine Notbremsung ein. Bei höheren Geschwindigkeiten kann er auch als Spurwechselassistent arbeiten. Zwar ist die Erkennung bis auf 40 Meter Länge und damit theoretisch auf Eurokombis ausgelegt, zum Start gibt man aber nur die Standard-Sattel- und Gliederzuglängen frei, sprich 18,75 Meter plus zwei Meter vor und einen Meter hinter dem Anhängerende.
Bei der Parametrierung werden verschiedene Lkw-Radstände ebenso berücksichtigt wie Sattel- oder Deichselanhänger und deren Nachlauf. Außerdem lernt das System selbst: Wenn zum Beispiel beim Abbiegen der Trailer in den Sichtbereich des Radars läuft, kann sich der Abbiegeassistent an ein geändertes Knickverhalten anpassen, das beispielsweise durch einen Trailertausch erfolgte. Am besten funktioniert das mit Trailern, die eine Canbus-Schnittstelle haben. Prinzipiell erkennt das System aber auch die Schleppkurven anderer Anhänger.
Zurückhaltend äußert sich Daimler zu den Preisen und möglichen Boni bei den Versicherungen: Man sei mit Assekuranzen von acht EU-Märkten im Gespräch, die Rabatte einräumten. Eindeutigere Aussagen gab es jedoch nicht. Die Kosten für die Sicherheitsassistenten liegen je nach Umfang zwischen 5500 Euro und 15.000 Euro.
Deutlich mehr Arbeit erforderte die Effizienz: Hier mussten die Ingenieure ans Eingemachte gehen, um weitere drei Prozent Ersparnis zu holen (siehe Kasten). Doch die sparsamer werdende Konkurrenz ließ die verbrauchsorientierten Schwaben wieder nachlegen ...
... auch in der Leistung des Elfliter-Sechszylinders OM 470, den man sich nach dem überarbeiteten OM 471 vorknöpfte. Die neue Topversion leistet jetzt bis zu 456 PS und 2200 Newtonmeter, die sie zwischen 900 und 1400 Touren bereitstellt. Damit bietet auch Daimler in der populären 460er-Klasse eine kleinvolumige Alternative.
DAS NEUE SYSTEM "UPTIME" ENTLASTET DIE FAHRER
Neben Sicherheit und Effizienz stand noch das Thema Konnektivität auf der Agenda. Hier erweitert man Fleetboard zu "Uptime". Ein neuer Steuerkasten, die "Fleetboard Connectivity Platform", soll die Lkw ab Baujahr 1/2017 "kommunizieren" lassen. Die Echtzeit-Daten sollen Liegenbleiber vermeiden und Wartungen und Reparaturen effizienter machen.
Hat der Fahrer etwas davon? Ersten Felderfahrungen nach ja: Bay-Logistik-Geschäftsführer Michael Schaaf durfte das Funktionieren des Services an einem Turboladerschaden "erfahren". Der Actros meldete Leistungsverlust und konnte rechtzeitig in die Werkstatt. Und Schaaf musste feststellen, dass "Uptime" vor allem die Dispo und den betroffenen Fahrer deutlich entspannt hat.