Ein Vergleich dieser drei Boliden setzt Emotionen frei - und Diskussionen! Eingefleischte Scania-Fans sehen im V8 das einzig adäquate Motorenkonzept. Volvo-Fanatiker hatten noch nie die Wahl - die Göteborger favorisierten schon im ersten F16 den Sechszylinder als einzig ernsthafte Alternative. Nur Mercedes zeigte sich im Lauf der Jahrzehnte wandelbar. Erst musste es ein V10 sein, um die Bedürfnisse leistungshungriger Kunden zu befriedigen. Dann sah man sich mit Scania auf Augenhöhe und setzte ebenfalls auf V8-Power. Neuerdings müssen auch im Power-Benz sechs Zylinder genügen.
EIN TECHNIK-SCHMANKERL IM BENZ: TURBOCOMPOUND (OHNE VIEL NUTZEN)
Ungeachtet philosophischer Diskussionen gilt der Achtzylinder aus Södertälje als Urmeter aller Powertrucks. Scania konserviert den Ruf vom "King of the Road" seit den Siebzigerjahren - wo der Schwede tatsächlich der stärkste Truck war. Dem ist spätestens seit Einführung des Volvo FH16 nicht mehr so.
Gemessen an seinen Vorgängern ist der Scania in Euro 6 leise geworden. Das ehemals signifikante V8-Wummern ist nur noch entfernt zu vernehmen. Trotz allem klingt er noch immer besser als der Volvo und viel besser als der Benz. Der ist im Trio subjektiv der Lauteste und der mit dem blechernsten Klang.
Auch mit Umstellung auf Euro 6 hat der R 730 nicht an Kraft verloren. Dank variablem Turbo hängt er gut am Gas und tritt spontaner an als früher. Da reagiert der große Mercedes-Sechszylinder deutlich träger auf Gaspedalbewegungen. Verglichen mit ihren jeweiligen Vorgängern liefern aber beide ihre maximale Leistung und das höchste Drehmoment gut 50 bis 100 Touren früher ab und auch über einen weiter gestreckten Drehzahlbereich. Die beste Motor-Performance muss man dennoch dem Volvo bescheinigen. Er tritt spontan an wie der Scania, muss merklich weniger Kolbenmasse beschleunigen und läuft damit dem V8 den Rang ab, auch wenn er subjektiv deutlich weniger spektakulär zu Werke geht.
Im Vergleich der Motorenphilosophien muss man feststellen, dass der V8 weniger Lust auf hohe Drehzahlen hat - die sind aber in Fahrzeugen der Klasse über 600 PS ohnehin kaum nötig! Ungeachtet der Typbezeichnungen an der Tür steigt der Tourenzähler bei keinem der Lust-Laster jemals über 1500/min. Vielmehr bollern die rund 16 Liter großen Triebwerke im höchsten Gang und meist im dreistelligen Drehzahlbereich die Berge hoch. Das niedrige Tourenniveau verdanken alle drei Drehzahlsenkenden Overdrive-Getrieben.
Bei den Getriebequalitäten hat ebenfalls der Volvo die Nase vorne. I-Shift schaltet am schnellsten und offeriert die beste Kupplungssteuerung. Mit minimalem Abstand folgt Scanias Opticruise "2-Pedal", dann erst kommt PowerShift3 von Mercedes. Wirklich schlecht ist aber keine der Schaltboxen.
Die Peripherie, also die Bedienung der Schaltung mit manuellen Eingriffen, ist allerdings bei Scania und Mercedes mit einem kombinierten Hebel an der Lenksäule besser gelöst als im Volvo. Der "Schalthebel" ist noch immer zu nah am Sitz und I-Shift lässt noch immer nicht alle vom Fahrer gewünschten Eingriffe zu. Ganz ähnlich verhält es sich mit den in allen drei Trucks installierten GPS-Tempomaten. Scania und Mercedes bieten eine bessere Strategie als der Volvo, der noch immer die schlechteste Straßenkenntnis hat. Die Scania-Philosophie mit Eco-Modus passt überhaupt nicht zu einem 730 PS starken Boliden. Die meisten Einstellungsmöglichkeiten bietet "PPC" von Mercedes, was allerdings viel Know-how erfordert.
Ein Blick auf die Fahrwerksauslegungen offenbart teils unterschiedliche Philosophien: Der Mercedes ist - wenn auch viel härter als früher - insgesamt eher weich. Der Scania gibt sich eher hart, der Volvo mit gesundem Mittelmaß, auch wenn die neue, Dynamik-Steering genannte und teils ziemlich gefühllose Lenkung im FH16 nicht verbaut war (oder vielleicht gerade deshalb). Dafür wartete der 750er-Volvo mit der ersten Einzelradaufhängung in Kombination mit dem 16-Liter-Sechszylinder auf. Und die scheint dem großen FH gut zu tun. Die sonst bekannte Kopflastigkeit ist weg, der Volvo lenkt zackig ein und federt exzellent.
Der Scania profitiert von der im Test-Truck verbauten Vollluftfederung, die dem Fahrkomfort des R 730 zugute kommt. Auch er verliert die bei den stahlgefederten Pendants auftretende Kopflastigkeit, lenkt geschmeidiger ein und federt erheblich komfortabler. Die von anderen Scania-Test-Lkw bekannten Störungen in der Lenkung sind komplett getilgt. Trotz optionaler Vierbalg-Luftfederung hinten federt der Scania eher trocken und ist bei Teilbeladung bretthart.
Mit wirkungsvollen Betriebsbremsen glänzen alle drei Trucks. Ein Vorteil des Scania ist der sogenannte "Bremsomat". Über einen kurzen Tipp aufs Bremspedal kann der Fahrer die aktuelle Geschwindigkeit als Setzgeschwindigkeit definieren, die der Lkw dann im Gefälle nicht mehr überschreitet. In Kombination mit dem im Test-Truck verbauten und für Scania fast obligaten Retarder klappt das bestens. Die neue verlustleistungsreduzierte Hydrobremse schafft inzwischen 4100 Nm Bremsmoment.
SEHR STARKE MOTORBREMSEN - EIN RETARDER WÄRE TROTZDEM BESSER
Volvo vertritt dagegen die Ansicht, dass ein Retarder angesichts der zugegeben enorm starken Motorbremse im FH16 unnötig ist. Dem wäre grundsätzlich zuzustimmen - wenn der FH16 nicht zumeist im Schwerlastbereich zum Einsatz käme und da dann selbst die starke "VEB+" nicht das Maß der Dinge ist. Zumal die Steuerung des Getriebes nicht in allen Fällen adäquat zurückschaltet und so die nötigen Drehzahlen für höhere Verzögerung zur Verfügung stellt.
Auch der Benz wartet mit einer leistungsfähigen Motorbremse nach System Jacobs auf. Und für ihn gilt das Gleiche wie beim FH16: Jenseits der 40 Tonnen sollte der Retarder gesetzt sein. Auf jeden Fall ist die Zusatzbremse im Actros leistungsstärker, leichter - weil in den Kühlkreislauf integriert statt mit separatem Ölhaushalt - und auch besser in der Bremsleistung anpassbar. Abgesehen davon funktioniert die Bremsintegration beim Mercedes mit Abstand am besten.
Ein Problem teilen sich alle drei Probanden: Sie sind verdammt schwer! Mehr als acht (!) Tonnen Leergewicht sind eine Menge. Wie gesagt, haben nicht mal alle einen Retarder, alle aber Leichtmetallräder und Alu-Tanks - dafür aber die jeweils größte Kabine.
Stichwort Kabine: Da hat Scania den Makel, das inzwischen älteste Fahrerhaus am Start zu haben. Der Fahrerplatz wirkt trotz der Jahre noch immer sehr gut strukturiert. Es fehlt aber an Bewegungsfreiheit, Platz und Komfort. Die Kabinenklimatisierung hat Scania bis heute nicht wirklich im Griff. Trotz aufpreispflichtiger Klimaautomatik bleibt die Temperatur nicht konstant, die Frontscheibe verzerrt den Blick im Seitenbereich und die mächtigen Spiegel vergrößern den toten Winkel.
Da wirken Mercedes und Volvo deutlich moderner. Dennoch muss sich Volvo den Vorwurf gefallen lassen, das gesetzlich mögliche Längenmaß nicht ausgenutzt zu haben. Ein Indiz sind die schmalen Betten und der letztlich doch nicht so üppige Sitzverstellbereich. Dafür haben die Ingenieure aus Göteborg das Thema Außenspiegel gut gelöst. Der Durchbruch zwischen Weitwinkel- und Standardspiegel vergrößert das Sichtfeld, ohne gleichzeitig das Bild im Spiegel zu sehr zu verkleinern. Hinter den mächtigen Gehäusen der Actros-Rückblicker verschwinden in Kreisverkehren schon mal ausgewachsene Lieferwagen.
Immerhin schaffen es Volvo und Mercedes, Gläser zu verbauen, die ruhig im Wind stehen. Das ist Scania bisher nicht gelungen ...
Das größte umbaute Volumen aller drei Kabinen realisiert Mercedes. Entsprechend üppig ist das Raumgefühl. Die Betten fallen groß aus, der Sitzverstellbereich ebenfalls. Dafür punktet Volvo bei der Lenkradverstellung: Ein Pedal in Kombination mit dem Doppel-Knickwinkel ist eine Top-Lösung!
DEM SCANIA FEHLT ES AN RAFFINESSE - VOR ALLEM BEI DEN ASSISTENTEN
In einem weiteren Punkt merkt man dem Scania sein Alter an: bei den Assistenzsystemen. Da bieten Volvo und Mercedes - von jeher die Vorreiter bei Themen wie Spurbindung, Notbremsoder Spurwechselassistent sowie Abstandstempomat - nicht nur die vollständigeren Pakete, sondern auch besser regelnde Systeme. In dem Punkt hat Mercedes dann auch mal die Nase vorn. So setzt beispielsweise beim Actros das ESP später und sanfter regelnd ein, ohne den Fahrer zu sehr zu bremsen. Andererseits bleibt der Mercedes stets auf der sicheren Seite.
Letztlich finden sich an allen drei Trucks Punkte, die Licht und Schatten werfen: etwa die elektronische Handbremse des FH16. Anfangs empfindet man sie als unnötiges Gimmick. Wer sie aber richtig bedient, hat nie mehr Probleme wegen der Gefahr durch den wegrollenden Lkw und fährt auch nie mehr gegen eine "gezogene" Handbremse. Eine klasse Idee ist der anfangs von Volvo initiierte und inzwischen von Mercedes kopierte Kriechmodus des automatisierten Getriebes. Das erleichtert dem Fahrer das Rangieren enorm.
Was ein echtes Manko des Daimlers ist: die liederliche Anbringung der Kabel und Leitungen an der Fahrerhausrückwand. Im abgesattelten Zustand ist das ein rechter Verhau. Da sollten die Stuttgarter mal nach Göteborg oder Södertälje blicken. Was allen dreien fehlt: ein vom Boden aus verstellbarer Dachspoiler, um die Windleiteinrichtung an verschiedene Trailer anpassen zu können. Am Ende des Tages bleibt die Frage, wer nun der Beste ist.
NICHT JEDER DER SECHSZYLINDER IST SPARSAMER ALS SCANIAS V8-MOTOR
Liebe Scania-Fans, seid gefasst: Der V8 ist es (aktuell zumindest) nicht. Mercedes und Volvo offerieren die deutlich moderneren Autos. Die Ergebnisse im TRUCKER Supertest zeigen außerdem, dass der Scania-Achtzylinder mehr verbraucht als die Reihensechser. Tatsächlich ist der Volvo sogar sparsamer (aber langsamer!) als der Mercedes - und das trotz 120 PS Unterschied. Abgesehen davon hat der Actros einen in dieser Klasse entscheidenden Nachteil: Er macht auf Underdog. Und wer will schon in der Masse untergehen, wenn er eigentlich Power satt hat? Richtig spannend wird's dann eh erst im Herbst. Denn dann kommt der neue Bolide aus Schweden - der King 2016?