Fein hat Mercedes diesen Testwagen herausgeputzt: Chromelemente an Kühlergrill und Außenspiegeln, schwarz lackierte Spiegelgehäuse und Radzierringe sowie abgedunkelte Gläser vor den Xenon-Scheinwerfern und der Actros-Schriftzug auf den Seitenflaps stehen dem Mercedes gut und kaschieren das gewöhnliche Weiß der Zugmaschine.
Wobei der mitgereiste Daimler-Werksfahrer sofort anmerkt, dass es sich hier keinesfalls um normales Weiß, sondern um die aufpreispflichtige Sonderlackierung "Diamantweiß Metallic" handelt. Naja, da muss man schon ganz genau hinsehen, um Weiß von Weiß zu unterscheiden.
2500 NEWTONMETER DREHMOMENT VERSPRECHEN VIEL KRAFT
Wichtiger sind aber sowieso wie immer die inneren Werte und da gehört dieser Testkandidat klar zu den stärkeren Exemplaren, die täglich das Daimler-Werk in Wörth am Rhein verlassen.
In genauen Zahlen bringt es der 1851 auf satte 510 Pferdestärken. Wichtiger beim Lkw ist aber das maximale Drehmoment von 2500 Newtonmetern, welche die zweitstärkste Ausführung (es gibt ja noch die Version mit 530 PS) des OM-471-Sechszylinders mit 12,8 Litern Hubraum an die Hinterräder schickt.
Womit der Daimler nahezu gleichauf mit den vergleichbaren Wettbewerbern aus Södertälje und Göteborg liegt, die ihr maximales Drehmoment aber 100/min früher erreichen. Und genau hier könnte der Grund dafür liegen, dass der Schwabe an Steigungen vorsichtiger agiert als die Schweden. Trotz ähnlicher Hinterachsübersetzungen lassen deren Schaltautomaten an vielen Steigungen unserer Teststrecke die höchste Fahrstufe gnadenlos stehen und drücken die 40 Tonnen mit dann nur noch dreistelligen Drehzahlen über die Kuppe.
Das Powershift-Getriebe im Actros geht dagegen auf Nummer sicher und leitet bei 1050/min eine Rückstufung ein. Nach der liegen bei knapp 1300 Touren etwa 95 Prozent der Nennleistung an. Entsprechend souverän sprintet der Daimler hangwärts, auch wenn er in den Bergwertungen kaum Zeit gutmacht. Er muss eben zunächst die durch die Rückschaltung ausgelöste Zugkraftunterbrechung wieder aufholen und bemüht insgesamt höhere Drehzahlen, was sich auf den Verbrauch nicht unbedingt positiv auswirkt.
Dabei vermittelt der Reihensechszylinder durchaus den Eindruck, besagte Berge im höchsten Gang bewältigen zu können. Schließlich brachten die Entwickler dem Motor im Rahmen der letztjährigen Überarbeitung mehr Power im niedrigen Drehzahlbereich bei. Dafür sorgen unter anderem die überarbeitete X-Pulse-Einspritzung, die den Kraftstoff mit bis zu 2700 Bar in die Brennräume fördert, sowie neue Kolbenprofile und der neue, in Eigenregie gefertigte asymmetrische Turbolader, der zu einem besseren Wirkungsgrad beiträgt. Das berühmte Tüpfelchen auf dem "i" wäre nun noch die Drehmomenterhöhung "Toptorque", die aber weiterhin den schwächeren Versionen des OM 471 vorbehalten bleibt.
Dass der Motor trotzdem mit niedrigen Drehzahlen gut umgehen kann, zeigt sich spätestens auf der Landstraße. Selbst bei einem niedrigen Tempo von 60 km/h wählt Powershift, ohne zu zögern, den zwölften Gang und lässt das Aggregat damit sogar noch leichte Steigungen bewältigen - trotz der eher langen 2,53er-Hinterachse, mit der der Test-Actros übersetzt war. Eine Performance, mit der kein anderer Wettbewerber mithalten kann und die den Mercedes mit dem bis dato niedrigsten Verbrauch auf der Landstraßenetappe unserer Testrunde belohnt.
Lob gebührt auch dem GPS-Tempomaten "Predictive Powertrain Control" (PPC). Das Zusammenspiel aus Motor, Getriebe und Elektronik präsentiert sich perfekt abgestimmt und agiert bei allen Topografiebedingungen genau richtig. Es zahlt sich eben aus, wenn alle Aggregate im eigenen Hause entwickelt werden und man nicht, wie mancher Wettbewerber beim Getriebe, auf Zulieferer zurückgreift, wo Eingriffe in die Elektronik nur bedingt möglich sind.
AN STEIGUNGEN VERSCHENKT DER DAIMLER GESCHWINDIGKEIT
Nachbesserungsbedarf besteht aber, wenn der Actros im Ecoroll-Modus in Steigungen hineinrollt. Dann bleibt der Freilaufmodus nämlich so lange aktiviert, bis sich die Fuhre exakt bis auf den eingestellten Tempomatwert verlangsamt hat. Bis der Kraftschluss wieder hergestellt ist, hat der Mercedes wertvolles Tempo verloren, das wieder mühsam aufgeholt werden muss. Andere Systeme, wie beispielsweise die von Scania und Volvo, sind hier deutlich mehr auf Zack.
Übrigens hilft PPC auch bergab, denn das Testfahrzeug verzögert mittels der verstärkten Motorbremse mit 544 PS. Die volle Leistung der "High Performance Engine Brake" liegt bei 2300/min an, weshalb mitunter bereits auf der Kuppe entsprechend zurückgeschaltet wird, wenn der Tempomat um das folgende steile Gefälle weiß. Auf diese Weise wird die Gefahr gebannt, dass der 40-Tonner bergab aus dem Ruder läuft und der Fahrer über die Betriebsbremse eingreifen muss. Wie plädieren aber trotzdem für die Option des Wasserretarders, weil es des 510ers einerseits wenig würdig ist, wenn die Nadel des Drehzahlmessers jenseits der 2000 Tourenmarke wandert und es in der StreamSpace-Kabine vor allem unangenehm laut wird.
Denn die Geräuschkulisse ist nach wie vor einer der Hauptkritikpunkte des Daimlers - zumindest im Fall des angesprochenen Fahrerhauses. In den größeren Kabinen geht's erfahrungsgemäß deutlich leiser zu. Kritik, um die man in Wörth allerdings weiß, weshalb der zur IAA im kommenden Jahr erwartete Actros-Facelift hoffentlich Besserung bringt.
DAS POWERSHIFT-GETRIEBE GERÄT MITUNTER DURCHEINANDER
Im gleichen Zug sollten sich die Entwickler auch das Powershift-Getriebe vornehmen. Das schaltet zwar ausreichend schnell, rückt die Gänge aber mitunter unwirsch und unsauber ein. In seltenen Fällen gerät die Elektronik bei Abbiegemanövern zudem schon mal komplett durcheinander und muss dann völlig von vorn beginnen - nicht selten im ersten Gang.
Als ebenfalls eines Mercedes unwürdig empfinden wir die Kupplungssteuerung. Anzufahren, ohne dass der Fahrer leicht durchgeschüttelt wird, ist im Actros unmöglich!
Auf andere Kritik hat Mercedes dagegen reagiert. Beispielsweise mit einem vier Zentimeter niedrigeren Sitzsockel, der ab sofort optional zu haben ist. Damit müssen Sitzriesen nicht länger die Luftfederung des Möbels deaktivieren, um tief sitzen zu können.
Keinen Nachholbedarf hat der 1851 bei der Wirtschaftlichkeit. Für die Beförderung unseres Fliegl-Trailers über die 353 Kilometer lange Testrunde berechnete er durchschnittlich 26,01 l/100 km und stellte damit einen neuen Verbrauchsrekord auf - bei einem klassenüblichen Durchschnittstempo von 79,34 km/h.
Einen Anteil am niedrigen Verbrauch hat übrigens auch die (beim Testwagen sogar fehlende) Sonnenblende, auch wenn nicht wenige der Meinung sein werden, dass dieses Utensil an keinem Truck fehlen darf. Erst recht nicht, wenn man sich wie beim Test-Lkw um optische Abgrenzung bemüht. Aber es spart eben Sprit. JB