Oh, alles so schön ruhig hier, läuft der schon? Das möchte man sich glatt selbst fragen, obwohl man eben den Zündschlüssel umgedreht und damit den Motor des neuen Iveco Stralis NP 460 zum Leben erweckt hat. Aber er lebt eben sehr leise, wenn er im Leerlauf bei 600 Touren Erdgas statt des üblichen Diesels verbrennt. Erst ab 1500 oder 1600 Touren wird der Sound des Erdgasmotors kernig und erinnert dann klanglich etwas mehr an einen Diesel.
Damit das nicht im falschen Moment passiert, beispielsweise bei der nächtlichen Belieferung in Städten, gibt es einen zuschaltbaren Ruhemodus, der die Drehzahl auf 1500 Touren und den Geräuschpegel so auf knapp 71 Dezibel begrenzt. Unsere erste Ausfahrt führt von Ulm über Bundesstraßen und Autobahnen Richtung München und wieder zurück. Die von uns gefahrene Version wird mit CNG (Compressed Natural Gas), unter Druck komprimiertem Erdgas, befeuert. Das macht aber nur bei den Tanks und beim Tanken einen Unterschied zu LNG (Liquefied Natural Gas), durch Abkühlung verflüssigtes Erdgas. Die Verbrennung im Motor sowie dessen Leistung sind bei beiden Darreichungsformen gleich.
UNGEWOHNTER FAHRSTIL FÜR LKW: GIB GAS, MEHR DREHZAHL BITTE!
Das Aggregat basiert auf dem Cursor 13, leistet aus 12,9 Litern Hubraum ab 1600 Umdrehungen 460 PS und stemmt bei 1100 bis 1600 Touren 2000 Newtonmeter auf die Kurbelwelle. Das soll ihn laut Iveco fit für den Fernverkehr in der 40-Tonnen-Klasse machen.
Der Genspender, ursprünglich ein reinrassiger Dieselmotor, wurde dazu von FPT Industrial vom Selbstzünder zum Otto-Motor umgebaut und ist jetzt ein reinrassiger Gasmotor. FPT gehört wie Iveco zum italienischen CNH-Konzern. Zum Einsatz kommt eine stöchiometrische Verbrennung mit Fremdzündung. Das Gas wird dazu von einer Multipoint Einspritzanlage in den Brennraum injiziert. Das geringere Kompressionsverhältnis von 12 : 1 statt wie beim Diesel 17 : 1 und das Fehlen der beim Diesel vorkommenden Druckspitzen machen den Motor leiser. Dessen Abgasnachbehandlung basiert wie beim Pkw auf einem Drei-Wege-Katalysator, der weder Regeneration noch Zusatzstoffe erfordert.
Auswahl und Einlegen der Gänge übernimmt die neueste Version des automatisierten Zwölfganggetriebes Hi-Tronix (ZF) mit einer Gangspreizung von 16,7, dem Iveco einen Wirkungsgrad von 99,7 Prozent attestiert. Das verbaute Getriebe soll die Schaltzeit gegenüber der bisherigen AS-Tronic von ZF um zehn Prozent senken. Mit an Bord sind: Freischaukel-Funktion, vier Rückwärtsgänge, integrierter hydraulischer Retarder und eine Berganfahrhilfe.
Bei unserer Probefahrt sind wir mit 32 Tonnen unterwegs. Zeigt der Drehzahlmesser unter 1000 Umdrehungen an, klingt der Motor ein wenig brummig und zieht eher unwillig unten heraus. Richtig los geht es ab 1200 Touren, hier entfaltet die Maschine ordentlich Durchzug. Beim Beschleunigen lässt das Getriebe den NP dann auch über das Ende des grünen Bereichs (1000 bis 1500 Umdrehungen) im Drehzahlenmesser hinaus drehen und wählt erst bei 1600 bis 1700 Touren den nächsten Gang. Auf der Autobahn liegen bei einer Reisegeschwindigkeit von 85 Kilometern pro Stunde etwa 1200 Umdrehungen an. Insgesamt braucht der Ottomotor etwas höhere Drehzahlen als ein vergleichbarer Selbstzünder. Deshalb hält die Hi-Tronix an Steigungen den Gang weniger lang und schaltet früher in eine niedrigere Fahrstufe.
Die Gangwechsel der ZF-Schaltbox indes erfolgen vorbildlich sanft und schnell. Laut den Iveco-Technikern ist der Zugkraftabfall beim Schalten kürzer als bei einem Dieselmotor. Die Ursache dafür ist das von FPT entwickelte reaktive Luftstromsteuerungs-Managementsystem. Das gewährleistet eine gleichmäßige Drehmomentabgabe vor und nach den Schaltungen. Das Ergebnis sind weniger Zugkraftverlust und schnellere Gangwechsel.
Das war beim von uns getesteten Stralis NP mit 400 PS und 1700 Newtonmetern aus dem Cursor-9-Motor (8,7 Liter) noch anders. Der im vergangenen Jahr vorgestellte kleine Gas-Bruder des 460ers legt nach den Gangwechseln immer eine kurze Pause zum Luftholen ein.
GASMOTOREN SCHONEN DIE UMWELT MIT DEUTLICH WENIGER EMISSIONEN
Die für einen Sattelzug ungewohnte, aber nicht wirklich unangenehme, hochtourige Fahrweise basiert wahrscheinlich auf der veränderten Leistungscharakteristik des auf Fremdzündung umgerüsteten Selbstzünders. Beim Diesel reicht Iveco der kleinere Cursor 11 mit 11,1 Litern Hubraum, um auf 460 PS zu kommen. Die stehen dort bereits bei 100 Umdrehungen weniger, im Bereich von 1500 bis 1900 Touren, zur Verfügung. Auch das höhere Drehmomentmaximum des Diesels von 2150 Newtonmetern wird eher erreicht und länger gehalten als beim Gasmotor: bei 925 bis 1500 Umdrehungen. Der 13-Liter-Motor kommt sonst erst in der Klasse über 500 PS zum Einsatz.
Dennoch, wenn das Streckenprofil nicht exorbitant anspruchsvoll ist und nicht ständig mit 40 Tonnen gefahren wird, ist der NP 460 von den Fahrleistungen her fernverkehrstauglich.
Den Neuen gibt es als Sattelzugmaschine (normal und niedrig), für Wechselaufbauten, als leichte ADR-Zugmaschine sowie als X-Way NP für die Baulogistik.
Laut Iveco ist der NP 460 eine saubere Sache. So liegen der Feinstaubausstoß um 99 Prozent und die Stickoxidemissionen (NOx) um 60 Prozent unter den Euro-6-Grenzwerten. Wird Biomethan verbrannt, sinken die CO2-Emissionen, verglichen mit denen eines Euro-6-Dieselmotors, um bis zu 95 Prozent. Mit normalem Erdgas beträgt der CO2-Vorteil neun Prozent.
Das Fahrzeug kann mit CNG allein, CNG und LNG oder ausschließlich LNG betrieben werden. Dazu bietet Iveco verschiedene Tankgrößen und -kombinationen von CNG- und LNG-Tanks an. Mit LNG sind maximal 1600 Kilometer Reichweite drin, mit CNG 570 Kilometer.
Verglichen mit dem Cursor-9-Gasmotor sind die Serviceintervalle von 75.000 auf 90.000 Kilometer verlängert. Laut Iveco können Fahrer mit dem NP 460 über eine Million Kilometer lang Gas geben - so es passende Tankstellen gibt.