Die dicksten Brummer des Motorsports haben einen Vorteil gegenüber ihren filigranen Formel-1-Brüdern: Sie bieten Platz für zwei. Wie beim TGP am Nürburgring organisieren die Veranstalter in Nogaro und auf dem Red Bull Ring "Taxifahrten" für die Reporter. Ich darf Platz nehmen im heißen Stuhl und mit einem der Protagonisten der European Truck Racing Championship einige Runden drehen.
Die ersten Meter im engen Schalensitz sind recht unspektakulär. Da in der Boxengasse Tempolimit 60 gilt, gleiten die Fahrer fast gemächlich in Richtung Rennstrecke. Dennoch beeindruckt der kernige Sound der gut im Futter stehenden PS-Kraftprotze. Wie viel Power in den Motoren steckt, wird Sekunden später klar - wenn die Fahrer ins Gaspedal steigen und auf die Rennstrecke beschleunigen: Dann explodiert das leise Grummeln der Motoren zum infernalischen Lärm. In der Magengrube kitzelte es noch wohlig.
BRACHIALE BREMSMANÖVER KOSTEN DEN "CO" NERVEN
Es würde nur Sekunden dauern, um Top-Speed 160 zu erreichen, wo die Trucks abgeregelt werden. Am Ring schaffen die Fahrer das nach der Ausfahrt nicht, weil sie gleich die erste Kurve scharf anbremsen müssen.
Die wenigen Meter haben die Tachonadel auf immerhin 120 katapultiert. Dann bremst mein Chauffeur Markus Bösiger seinen MAN abrupt ab und wuchtet ihn um die enge Kurve. Es ist eine Mischung zwischen Lenken und Driften, mit der er den 110-Grad-Bogen meistert. Im nächsten Streckenabschnitt, der Mercedes-Arena, rast der Schweizer mit Tempo 140 um die lang gezogene Kurve. Dann erneut ein scharfes Eck und ein hartes Bremsmanöver. Ich baumle hilflos wie eine Marionette in den fünf Strängen des Gurtes.
Schon erreicht der Bolide im Affenzahn die Mercedes-Tribüne. Das Fenster im Sicherheitszaun, sonst mein Standplatz mit dem Kameraobjektiv, fliegt vorbei. Die Reifen rattern hart über die Curbs. Die Formel-1-Boliden würden jetzt die Müllenbachschleife ansteuern. Die Truckracer müssen die Kurzanbindung nehmen, sonst würden sie zu schnell. Der nächste Extremeinsatz für die wassergekühlten Bremsen. 5,5-Tonnen Masse verzögern auf irrwitzig kurzer Strecke auf kurvenverträgliche Tempi. Heißer Dampf steigt aus den Radhäusern.
Ein kleines Schild signalisiert 100 Meter Entfernung bis zur Haarnadelkurve. Der MAN fliegt mit 140 km/h vorbei - und offenbar denkt Markus nicht daran, vom Gas- aufs Bremspedal zu wechseln. Nicht die Höchstgeschwindigkeit macht den Thrill dieser Taxifahrten aus. Es sind die brachialen Bremsmanöver, bei denen der Atem stockt: Reichen die wenigen Meter zum Bremsen wirklich aus?
DREI GÄNGE REICHEN AUS, UM DEN RING ZU MEISTERN
Es reicht. Nach der Kurve steigt die Strecke leicht an, macht einen 90- Grad-Bogen und führt in Richtung Schikane. Die Kurve wird zur Geraden - die Trucks fahren mit Maximaltempo auf die rot-weißen Tonnen zu. Erneut bremst Markus scharf, dirigiert den Truck mit kurzen Lenkbewegungen durch die Engstelle, beschleunigt und verzögert erneut für die nächste Kurve. Dann folgt die lange Vollgaspassage: 160 km/h zeigt der Tacho auf der Start-Ziel-Geraden. Achtmal schaltet Markus Bösiger pro Umlauf. Drei Gänge reichen, um den Ring zu meistern: Sieben groß, Acht klein, Acht groß. Den Rest erledigen 1250 PS und über 6000 Nm Drehmoment.
Als Mehrfach-Beifahrer ist gut zu beobachten, wie unterschiedlich die Fahrtstile der Racer sind. Und es bleibt fast unbegreiflich, warum am nächsten Tag beim Qualifying gerade einmal 86 Tausendstel Sekunden über Platz 1 oder Platz 2 entscheiden!