Für Sven Heller ist heute Wettkampftag. Bereits um vier Uhr in der Früh steht sein Volvo FH 500 an der Startlinie des „Megamarsches“ bei Erfurt – ein sportliches Event, bei dem rund Tausend Teilnehmer innerhalb von zwölf Stunden 50 Kilometer wandern. Pro Jahr gibt es 18 solcher Megamärsche (siehe Box nächste Seite).
Los geht es zwar erst in zwei Stunden, Sven spielt mit seinem Lkw aber eine besondere Rolle. Die Firma Dammann Absperrung-Transport-Logistik, für die er arbeitet, kümmert sich um die Logistik und beliefert die Verpflegungsstationen – etwa mit Biertischen sowie Paletten mit Essen und Trinken. Insgesamt vier solcher Stationen, an denen die Teilnehmer Energie auftanken können, gibt es diesmal.
Kurz nach dem Startschuss seiner Tour heißt es für Sven bereits wieder anhalten: Die Straße ist zu eng. Oft führen die Gewaltmärsche entlang „grüner“ kleinerer Wanderwege rund um große Städte. Schnell steht für ihn fest: „Hier komme ich mit meiner Kiste nicht vorbei, der blaue Pkw muss weg.“
Der Fahrer des 40-Tonners greift zum Telefon und wählt die Nummer der Erfurter Polizei. Dann heißt es: warten und hoffen, dass der Besitzer sich meldet. „Da gehe ich kein Risiko mehr ein“, sagt der 48-Jährige, der schon öfter mit schwierigen Verkehrssituationen zu kämpfen hatte. Das Warten vertreibt er sich in seiner Kabine mit heißem Kaffee. „Das ist einfach ein kurzzeitiger Stressfaktor, daraus darfst du dir aber nichts machen“, rät er. Seine Ruhe zahlt sich aus: 30 Minuten später ist der Fahrzeughalter da. Jetzt kann es losgehen.
Meistens sitzt Sven im Büro, fährt aber trotzdem Touren
Seit 2013 ist Sven bei Dammann. Davor war er bereits seit 20 Jahren Fahrer, unter anderem im Trailerverkehr. Auf das Unternehmen stieß er durch sein Interesse für die Eventlogistik – ein Teilservice der Firma, die mit Dienstleistungen rund um das Thema Absperrungen groß geworden ist. Die meiste Zeit sitzt Sven als Disponent im Büro in Buxtehude, er greift aber immer mal wieder zum Steuer. „Mein Chef lässt mir mehr oder weniger freie Hand“, erzählt er zufrieden, während sein Lkw über eine Thüringer Landstraße rollt.
Station eins und zwei des Marschs erreicht Sven problemlos, er gewinnt Boden. Immer dabei ist auch ein Kollege, diesmal Markus, mit einem Sprinter. Damit wird unter anderem die Straße erkundet, was sich auszahlt: Bei der dritten Station ist erstmal unklar, wie Sven mit seinem Truck am besten fährt, ohne in einer Sackgasse zu landen. „Da fährt man teilweise wie bei Oma durchs Wohngebiet“, beschreibt er die Streckenverhältnisse. Kurze Zeit später Entwarnung: Eine geeignete Route ist gefunden und sein Lkw erreicht Station drei, die bei einem Hotel im Wald liegt.
Die beiden Männer entladen hier, wie schon bei den vorherigen Stationen, mit einem Mitnahmestapler, den Schein dafür hat Sven nämlich auch. Mitten in den Aufbauarbeiten tauchen zwei vereinzelte Läufer auf, die den Marsch eher als Marathon sehen. „Da kann praktisch jeder mitmachen“, erklärt Sven, dessen Sohn auch schon bei einem Megamarsch dabei war.
An ein Ereignis erinnert sich Sven besonders: „Einmal war einer so motiviert, der hat sogar mit Herzschrittmacher teilgenommen“, erzählt er, während er sein Fahrzeug wieder abfahrbereit macht. „Auf der Strecke ist er dann zusammengebrochen.“ Zum Glück ging am Ende alles gut und der Teilnehmer schaffte es ins Ziel.
Vom gelernten Tischler zum routinierten Lkw-Fahrer
Sven setzt zum Endspurt an. Auf der Fahrt zur letzten Station erzählt er, warum er so gerne Lkw fährt. Er war als kleiner Junge regelmäßig bei einem Bekannten auf Touren nach Italien dabei. Gelernt hat er mit der Ausbildung zum Tischler dennoch erst einen anderen Beruf. „Als ich den Gesellenbrief in der Tasche hatte, wollte ich dann doch lieber Lkw fahren“, erzählt er.
Großveranstaltungen wie der Megamarsch bringen ihn auch heute noch dazu, wieder auf Achse zu gehen. „Bei diesen Fahrten in der Eventlogistik musst du dich immer auf Neues einstellen, weil du nie weißt, was kommt“, berichtet er. Allerdings schätzt er auch seinen Schreibtischjob. „Wenn du 20 Jahre fährst, dann bist du immer weg von der Familie“, sagt Sven.
Im kleinen Ort Eichelborn, südöstlich von Erfurt, heißt es inzwischen durchatmen: Die letzte Station ist erreicht. Seine wichtigste Aufgabe beim Megamarsch hat Sven damit erfüllt und alle Stationen rechtzeitig beliefert. Viel Zeit zum Verschnaufen bleibt ihm und seinem Lkw aber nicht. Während die Teilnehmer weiter in Richtung Ziel marschieren, geht es für Sven zurück zur ersten Station. Hier muss er das, was übrig geblieben ist, wieder aufladen. Erst dann darf auch er wohlverdient über die Ziellinie fahren.