Die Schweizer arbeiten wie ein Uhrwerk. Im Schnitt genau 41 Stunden und 20 Minuten pro Woche, errechnete das Bundesamt für Statistik. In der Logistikbranche wird mit 42 Stunden und 24 Minuten sogar noch etwas länger geschafft. Viele Berufskraftfahrer in der Schweiz verbringen aber mittlerweile immer mehr Arbeitszeit im Stau: Über 20.000 Stunden Stillstand herrscht auf den Straßen pro Jahr. Das bedeutet Stress für die Fahrer und Planungsunsicherheit für die Spediteure.
Besonders schlimm ist es auf den Hauptrouten, etwa auf der A 1 rund um Zürich. Die meisten Fahrer aus Deutschland müssen irgendwann an diesem Knotenpunkt vorbei. Auch rund um die Industriezonen in Basel oder in Richtung Genf-Lausanne, dem zweitgrößten Ballungsraum der Schweiz, sind lange Lkw-Schlangen normal. Ausweichstrecken gibt es in dem kleinen Land mit seinen hohen Bergen und lang gezogenen Seen kaum. Das Problem ist nach Ansicht der Verkehrsverbände und vieler Spediteure hausgemacht. Das Transport- und Transitaufkommen steigt unaufhörlich, doch zu lange setzten die Regierungen einseitig auf den Ausbau der Schiene, um den Kombi-Verkehr zu stärken. Viel Geld steckte man in den Ausbau des Gotthard-Basistunnels, der im Sommer 2016 eröffnet werden soll. Ein Ausbau der Straßen oder eine Erweiterung des Autobahnnetzes kam über Jahre nicht infrage.
GELD FÜR DEN STRASSENBAU MÜSSTE VORHANDEN SEIN
Nun sind die Kapazitätsgrenzen erreicht; trotz der vor Jahren per Volksentscheid durchgesetzten Begrenzung der alpenquerenden Lkw-Fahrten auf 650.000 pro Jahr. Dass diese Zahl utopisch gering ist, haben auch die Schweizer eingesehen. Seit Jahren wird immerhin über die Sanierung des Gotthard-Straßentunnels diskutiert. Überlegt wird sogar eine zweite Röhre. Zwar sollen beide Röhren auch künftig nur einspurig befahrbar sein, doch weniger Unfälle würden zumindest die Staugefahr verringern.
Geld für den Ausbau wäre wohl ausreichend vorhanden. Immerhin zählt die Schweiz zu den wohlhabendsten Ländern der Welt. Auch wenn die Finanzwelt in den Medien stark präsent ist, ist die Schweiz doch ein sehr mittelständisch und industriell geprägtes Land. Die Wirtschaft lebt vom Export. In der Region um Basel sind traditionell Chemie und Pharma stark vertreten. Auch Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie und natürlich Feinmechanik wie Uhren und die Fertigung von Präzisionsinstrumenten haben Tradition.
Wichtigster Handelspartner ist mit deutlichem Abstand Deutschland. Knapp die Hälfte aller Exporte und zwei Drittel der Importe spielen sich zwischen der Schweiz und den Ländern der Europäischen Union ab. Hier zählt das Verhältnis des Franken zum Euro. Und da sieht es momentan nicht gut aus: Schwacher Euro und teurer Franken machen es den Schweizer Unternehmen schwer, ihre Waren zu verkaufen. Das spüren die Transporteure.
ES WIRD GUT BEZAHLT, ABER DAS LEBEN HIER IST TEUER
Die wirtschaftliche Pause nimmt zumindest dem Thema Fahrermangel etwas den Druck - vorübergehend. "Wenn die Wirtschaft aber wieder anspringt, wird das zu einem Problem", sagt Severin Baer, Mitglied der Geschäftsleitung bei Planzer Transport in Dietikon bei Zürich. In der Schweiz zu arbeiten, ist auch für deutsche Fernfahrer lukrativ. "Wir bekommen pro Woche etwa 30 Bewerbungen aus Deutschland", berichtet Urs Beck, Inhaber der Beck Transport aus Mauren in der Nähe des Bodensees. Es lockt nicht nur die schöne Landschaft. In der Schweiz wird gut bezahlt.
Durchschnittlich 5500 Schweizer Franken (5300 Euro) verdient ein Chauffeur, wie der Beruf hier genannt wird. Die hohe Summe relativiert sich, wenn man die enorm hohen Lebenshaltungskosten vor Augen hat. Fast alles ist teurer als in Deutschland. Auch an den Krankheitskosten müssen sich die Versicherten grundsätzlich beteiligen, vor allem bei den Zähnen kann das sehr teuer werden. Darum ist gemeinschaftliches Zähneputzen nach der Mittagspause in Schweizer Betrieben durchaus zu beobachten.
DIE ZUWANDERUNG SOLL AB 2017 BEGRENZT WERDEN
Eine weitere Besonderheit sind die vier Sprachen, die vertreten sind. Vielerorts kommt man mit Deutsch ohne Probleme weiter. Im Westen ist eher Französisch hilfreich, im Süden das Italienische. Die Ursprache Rätoromanisch wird nur noch in wenigen Regionen gesprochen.
Eine Arbeitserlaubnis zu bekommen, ist noch kein Problem, wenn auch mit ein paar Hürden mehr als in den EU-Mitgliedsländern. Das Verfahren wurde durch ein Freizügigkeitsabkommen zwischen der Schweiz und der EU schon vereinfacht. Doch ab 2017 sollen jährliche Höchstzahlen und Kontingente für die Zuwanderung von Ausländern festgeschrieben werden. Auch muss der Arbeitgeber dann versichern, dass er in der Schweiz keinen Fahrer mit vergleichbarer Qualifikation findet. Das wird auch für die Grenzgänger gelten. Viele Arbeitnehmer wohnen lieber in Deutschland nahe der Grenze und arbeiten in der Schweiz- wo die deutschen Gastarbeiter nicht immer gerne gesehen sind. Jüngste Umfragen belegen auch, dass sich ein großer Teil der in der Schweiz lebenden Deutschen nicht so recht willkommen fühlt.
Viele fragen sich, wie das ab 2017 funktionieren soll. Die meisten Schweizer Fahrer sind nur im Inland unterwegs, da sie mit ihren hohen Löhnen im internationalen Vergleich kaum mithalten können. Schweizer Speditionen setzen bei den Fernverkehren lieber auf billigere ausländische Fahrer.
SEHR STRENGE KONTROLLEN DURCH DIE ORDNUNGSHÜTER
Sprichwörtlich humorlos sind die eidgenössischen Polizisten. Vor allem auf den Nord-Süd-Routen wird intensiv kontrolliert. Im Visier haben sie besonders Geschwindigkeitsverstöße und die Ladungssicherung. "Das hat zum Teil schikanöse Züge", erklärt ein Fahrer, der lieber ungenannt bleiben möchte. Selbst kleinste Vergehen oder Abweichungen bei den Lenk- und Ruhezeiten zögen oftmals intensive zusätzliche Kontrollen von Fahrzeug und Fahrer nach sich. Die Geldstrafen sind empfindlich, die Toleranz gering.
Viele andere Sorgen teilen sich die Schweizer mit den Kollegen aus anderen Ländern. Wer nicht gegen das allgemeine Nachtfahrverbot zwischen 22 Uhr abends und 5 Uhr morgens verstoßen will, sollte beizeiten einen Parkplatz anfahren, denn die sind rar. Autohöfe gibt es nicht. Schweizer Unternehmen helfen sich gelegentlich gegenseitig aus und lassen schon mal fremde Fahrer auf dem Hof "parkieren". Wer keinen Platz zum Übernachten findet, weicht meist auf Nebenstraßen oder Industriegebiete aus. Dort zu übernachten ist kein Problem. Denn in Sachen Sicherheit ist die Schweiz ebenfalls führend in Europa. Alexander Heintze