Mit einem Lastwagen in den Urlaub fahren? Für viele Männer und Frauen, die berufsbedingt Tag für Tag im Lkw sitzen, ist das schwer vorstellbar, wollen die meisten in der Freizeit doch raus aus dem Arbeitsumfeld. "Und doch gibt es für mich gute Gründe, genau das zu tun", meint Guido Graf, der sich seinen Lebensunterhalt als Fahrer bei einer Brauerei im österreichischen Graz verdient. "Erstens macht mir Lastwagen fahren auch nach vielen Berufsjahren noch immer Spaß. Zweitens kann ich privat den Lastwagen lenken, für den mein Herz wirklich schlägt!"
VOLLER BEGEISTERUNG FÜR EINEN RUSSISCHEN KAMAZ
Bei Guido Graf ist das ein russischer Kamaz aus Militärbeständen. Den hat sich der 48-Jährige vor vier Jahren zusammen mit Ehefrau Claudia für 12.000 Euro gekauft. "Mit Kamaz bin ich groß geworden", erzählt Guido, der schon in jungen Jahren als Forstfacharbeiter in der DDR hinterm Steuer eines Kamaz sitzen durfte. Damals hat er auch gelernt, den russischen Truck zu reparieren. Das kommt ihm heute zugute, wenn er sein Reisefahrzeug auf Vordermann bringt.
Dazu gehört auch der Umbau auf ein Zehnganggetriebe. "Mit 230 PS aus knapp elf Litern Hubraum ist unser Reisetruck zwar kraftvoll unterwegs, aber die originalen fünf Gänge sind für Bergstrecken einfach zu wenig." Das Getriebe will sich Guido günstig gebraucht in Polen besorgen. Die anderen Ersatzteile, die der Kamaz gelegentlich benötigt, kommen aus Ungarn oder werden im Internet gehandelt. Hier wie dort kosten sie nur einen Bruchteil von Ersatzteilen für modernere Lastfahrzeuge. Die Unterhalts- und Umbaukosten für seinen privaten Lkw hält Guido so auf niedrigem Niveau. Erst kürzlich konnte er einen Satz Geländereifen für rund neunhundert Euro erstehen. Einziger Nachteil der neuen, grobstolligen Pneus: Das Abrollgeräusch ist deutlich in der Fahrerkabine zu hören. Doch das nehmen die Grafs gerne in Kauf, ist der 6x6 Permanentallrad doch für Reisen auf Offroad-Strecken ausgelegt.
Die durfte der Reisetruck vor zwei Jahren in Kroatien das erste Mal unter die Räder nehmen. Im kommenden Jahr steht eine Tour nach Albanien an und dann irgendwann eine lange Reise Richtung Osten. Die Landkarte mit der Route durch die Türkei, den Iran, Kasachstan und die Mongolei bis ins russische Wladiwostok hängt schon im Wohnaufbau des Kamaz. Vor Beginn der großen Reise muss die Tarnfarbe des Kamaz allerdings noch einer unverfänglicheren Farbvariante weichen. Der martialisch militärische Auftritt des Reise-Kamaz könnte sonst bei Grenzübertritten außerhalb Europas zu unangenehmen Missverständnissen führen.
Ganz andere Gründe, mit einem Lkw in den Urlaub zu fahren als die Begeisterung für eine bestimmte Lkw-Marke hat Benedikt Pietsch aus dem schwäbischen Ulm. Der 35-Jährige ist vor einem Jahr auf einer Geländewagentour durch Marokko Reisenden im 4x4 Lkw begegnet, die riesige Mengen an Bierdosen an Bord hatten. "Damals habe ich beschlossen, mir für Fernreisen ebenfalls einen Allradlastwagen zuzulegen. Nicht unbedingt wegen des Biervorrates, sondern wegen des enormen Stauraumes, der mir so für Werkzeug, Ersatzteile und Ausrüstung zur Verfügung steht," erklärt Benedikt.
MEHR AUS VERSEHEN EINEN LKW GEKAUFT
Dass schon wenige Monate später ein Magirus 130D9 vor seiner Haustür stehen würde, das ahnte der Elektroingenieur damals noch nicht. Er hatte kurz zuvor im Internet eher aus Spaß und guter Laune 2333 Euro bei einer Versteigerung auf das 32 Jahre alte THW Fahrzeug mit 35.000 Kilometern und defekter Kupplung geboten.
Der Zuschlag durch die VEBEG, die Fahrzeuge des Bundes zum Verkauf anbietet, kam für ihn damals so überraschend, dass er sich noch nicht mal zum Lkw-Führerschein angemeldet hatte. Den hielt er erst Wochen später in Händen. Bis dahin nutzte er die Zeit und erneuerte mit einem Freund die Kupplung.
Jetzt muss nur noch der Innenausbau erledigt werden. Mehr als Bett und Kühlschrank wird allerdings kaum drin sein. Denn Benedikt möchte die historische Substanz des THW-Fahrzeuges nicht antasten. So hofft er, das H-Kennzeichen behalten zu können. "Damit kostet mich der Magirus nur 190 Euro Steuern und 240 Euro Teilkasko- und Haftpflichtversicherung jährlich. Das ist günstiger als mein Geländewagen!", rechnet Benedikt vor.
EIN JAHR LANG AM REISEFAHRZEUG GESCHRAUBT
Einer, der dagegen beim Umbau in die Vollen gehen konnte, ist Gregor Göbel, den der Lkw-Fernreisevirus vor zehn Jahren erwischt hat. Seine Gründe, damals vom Wohnmobil auf einen 911er-Mercedes Kurzhauber aus Feuerwehrbeständen umzusteigen, listet er auf mit "mehr Wohnqualität, mehr Sicherheit und die Möglichkeit, die schönsten und einsamsten Plätze des Universums anzusteuern!"
Deswegen hat der ehemalige Werkzeugmacher beim allradgetriebenen 911er, einem echten Fernreiseklassiker, dann auch Motor und Getriebe zerlegt, die Hinterachse auf Singlebereifung umgestellt, den Radstand verlängert und einen Wohnwagen aufs Fahrgestell gesetzt. Alles in Eigenregie, ein sehr arbeitsreiches Jahr lang. "Damals habe ich früh morgens und spät abends am Fahrzeug geschraubt und in der Zeit dazwischen mit Schlips und Kragen meine Arbeit erledigt", erzählt Gregor, der sein Geld als Geschäftsführer eines Kunststoffhandelshauses verdient. Genutzt hat er den 911er mit Frau Maria und seinen beiden Söhnen seitdem auf Fahrten durch Rumänien, Montenegro, Albanien und Griechenland.
Jetzt hat der Wiener das nächste Projekt, den Umbau eines Zweiachser-MAN KAT 1 A1 aus Luftwaffenbeständen, in Angriff genommen. "Mit dem seltenen, lang übersetzten Getriebe liegt der Verbrauch bei nur achtundzwanzig Litern. Ganz schmerzfrei ist das Tanken damit zwar auch nicht, aber der KAT ist wie gemacht für unsere neuen Reisepläne", schwärmt Gregor. Geplant sind Touren Richtung Russland und Mongolei und möglichst zeitnah im Winter in den Norden Europas. Deswegen wird auf dem Fahrgestell des KAT bald ein Kühlkoffer mit achtzig Millimetern Wandstärke montiert und zum Wohnaufbau umfunktioniert.
Wobei Gregor nicht der Einzige ist, der das Fahrzeug dann auf Reisen lenken wird. Ehefrau Maria hat vor zwei Jahren den CE-Schein gemacht und ist jetzt so begeistert vom Lastwagen fahren, dass Gregor ihr zum Fünfzigsten einen Lkw geschenkt hat. Den Husar, Baujahr 69, chauffiert sie jetzt zu Oldtimertreffen.
ALLES ANDERE ALS EINE MÄNNERDOMÄNE
Überhaupt scheint das Fahren von Fernreiselastwagen alles andere als eine Männerdomäne zu sein. Dazu haben einfach zu viele Reisepartnerinnen speziell dafür den Lastwagenführerschein gemacht. So auch Beate aus Straubing, die mit Ehemann Uwe in Karlchen, einem umgebauten, 25 Jahre alten Steyr-Militärtruck, Touren im Osten Europas unternimmt. Dass das Reisen mit Lastwagen aber auch Tücken hat, mussten die beiden kürzlich in Kroatien erfahren. Dort forderte ein Polizist 700 Euro von ihnen. Er war der Meinung, sie hätten die falsche Mautklasse gewählt. "Und dann hat schon mehrfach die Technik am alten Steyr Probleme bereitet und uns wichtige Reisezeit gekostet", berichtet Uwe.
Auch wenn sich Lkw-Reisende in Internetforen bei technischen Problemen weltweit mit Ratschlägen zur Seite stehen, kann die Freude am Reisetruck dann schon mal den Bach runtergehen. Das erklärt auch, warum Uwe auf die Frage, warum sie als Reisefahrzeug ausgerechnet einen Lkw gewählt haben, etwas missmutig antwortet: "Das habe ich mich auch schon öfter gefragt!" Doch letztendlich bleiben Uwe und Beate ihrer Begeisterung für große Fahrzeuge treu. Besonders, wenn sie sich an einzigartige Reiseerlebnisse erinnern, "die nur mit einem Allradtruck möglich sind, der uns auch an schwer zu erreichende Reiseziele bringt." Wie damals, als Beate in den einsamen Wäldern Rumäniens in sicherer Höhe auf dem Dach des Steyrs saß und sich unter ihr Braunbären tummelten.