Hohenlockstedt - "Jetzt geht's los!" Peter Wischmann steht vor einem mächtigen Flugzeughangar und hält Ausschau nach dem Urheber des brüllenden Lärms, der gerade jäh die Stille durchschnitten hat. Zu sehen ist aber noch nichts, nur zu hören. Dann ertönt es noch einmal, wie ein Nebelhorn hört es sich an. Und dann ist er zu sehen: Vorsichtig lenkt der Kapitän seinen 40-Tonner um die Kurven und kommt an einer kleinen gelben Holzbude zum Stehen. Der erste Lkw der Wolfsmeile ist da. Über 600 weitere werden noch kommen.
"Wenn es losgeht und die Fahrer uns mit lautem Gehupe begrüßen, kriege ich jedes Mal eine Gänsehaut", sagt Wischmann. "Das war vor neun Jahren bei der ersten Wolfsmeile so und das ist es auch heute noch bei der zehnten."
Mit seiner Veranstaltungsagentur globusevents hat er 2007 die erste Wolfsmeile aus der Taufe gehoben. "Damals hatten wir gehofft, dass wir an die Hundert Lkw zusammenkriegen", erinnert er sich. Knapp 180 waren es dann gleich zur Premiere. Heute gilt sie als größtes Truckertreffen im Norden. Und hier auf dem ehemaligen Militärflugplatz Hungriger Wolf an der B 77, vor den Toren Itzehoes, bietet sich eine Location, wie sie kein zweites Mal in ganz Schleswig-Holstein zu finden ist.
Es ist später Freitagvormittag, die Veranstaltung beginnt erst am Samstag, doch jetzt trudeln die ersten Lkw-Fahrer ein. Ab 16 Uhr wird's voller und am Abend sind lange Schlangen an der gelben Holzbude, der "Mautstation", an der sich die Fahrer registrieren. Hier liegen sich die Fahrer mit Karin Wiese in den Armen, man kennt sich. Karin ist die "Festivalmuddi", zusammen mit ihrem Team sorgt sie dafür, dass jeder Lkw-Fahrer seinen ihm zugedachten Platz findet. Bis Mitternacht herrscht hier ein reges Kommen und Knuddeln. Wer später kommt, wartet artig bis zum nächsten Morgen, wenn die Nachzügler ab 7 Uhr eingecheckt werden.
Schlechte Stimmung wegen langer Wartezeiten? Fehlanzeige! "Das ist wie ein Kurzurlaub hier, richtig entspannend", findet Torsten Rohwer. Der 53-jährige Fernfahrer ist ein alter Hase, bei jeder Wolfsmeile ist er dabei gewesen.
"Hier treffe ich andere Fahrer, die ich sonst das ganze Jahr nicht sehe", erzählt er. Und findet es großartig, dass er hier in direkten Kontakt mit den Besuchern treten kann. "Ganz ehrlich: Für viele sind Lkw im normalen Leben ein Ärgernis auf Autobahnen. Hier kommt man aber ins Gespräch, die Leute möchten ins Fahrerhaus gucken und wir können ihnen mal die andere Seite erklären." Doch nicht nur darauf freut er sich. Gerade dröhnt "Presslufthammer Bernhard" aus seinen Boxen. "Torfrock ist absolut geil! Dass die heute Abend auftreten, Hammer!"
Ein paar Meter weiter steht Hannes Bonhoff von Loni Trucking mit seinem auf Hochglanz polierten MAN-Truck. Der Preetzer ist zum sechsten Mal dabei. Warum? "Weil's Spaß macht! Die Kollegen, das gesamte Ambiente - rundum eine schöne Veranstaltung", lobt er. Am Freitagabend kam er an, den Donnerstag hat er mit Waschen und Polieren verbracht. "Das Auto soll natürlich hübsch aussehen." Es sieht sogar so hübsch aus, dass der 26-Jährige am Sonntag bei der Truckbewertung einen Pokal abstaubt.
Kollegen treffen, an denen man sonst nur vorbeifährt, Feiern und Spaß haben - diese kleinen sozialen Aspekte lösen die größte Freude aus bei den Lkw-Fahrern, die aus ganz Deutschland gekommen sind. Sogar aus Dänemark, Holland und Österreich sind welche dabei. Viele sind Wiederholungstäter, doch fast genauso viele sind das erste Mal dabei. Rene Andreasen zum Beispiel mit seinem knallbunten Scania. 1,7 Millionen Kilometer hat seine Zugmaschine auf dem Buckel, der Auflieger ist ein alter umgebauter Bibliotheksbus aus einer Kommune Kopenhagens, Baujahr 1969. "Fünfeinhalb Stunden waren wir auf der Fähre", erzählt der alte Däne.
NICOLE: MIT DEM FÜHRERSCHEIN DEN KINDHEITSTRAUM ERFÜLLT
Von knallbunt zu knallrot: Ungläubig schütteln die Besucher den Kopf und tuscheln "Der gehört doch nicht ihr?" In der Tat fällt es schwer zu glauben, dass die gertenschlanke Nicole Kurth dieses schwere Geschütz fährt. Tut sie aber. Vor acht Jahren hat sie ihren Führerschein bei der Bundeswehr gemacht, heute ist sie 29 und als Fernfahrerin in ganz Deutschland unterwegs.
"Nur deswegen bin ich zur Bundeswehr gegangen." Doch hinter ihrem Kindheitstraum steckt eine tragische Geschichte. "Mein Vater war Kraftfahrer und ich wollte auch immer Lkw-Fahrerin werden", erzählt die junge Frau. Ihre Fahrprüfung hat ihr Vater aber nicht mehr mitbekommen, 2008 ist er bei einem Unfall auf der A 2 in seinem Lastwagen gestorben. "Eine schwere Zeit war das", gesteht Nicole. Und wenn sie heute in ihrem Scania an der Unfallstelle vorbeifährt, "dann zwickt's schon - aber dann wird ordentlich laut gehupt, dann weiß ich, dass er sich freut."
Laut gehupt wird auch wieder am Sonntagnachmittag, wenn sich die ersten Fahrer auf den Weg machen und sich von Kollegen, Besuchern und Veranstaltern verabschieden. Zwei Tage Wolfsmeile sind dann zu Ende.
"Es war wieder eine sehr schöne Veranstaltung", sagt Peter Wischmann, der jetzt vorne an der Ausfahrt steht und den abfahrenden Truckern winkt. "Jetzt atmen wir zwei, drei Wochen durch und dann wird die nächste Wolfsmeile geplant." Das ist die elfte - wieder mit Gänsehaut-Garantie. Thomas Claaßen