Wegen der vorrangigen Bedeutung der Durchfahrregel gilt diese auch bei pflichtwidrigem Verhalten des Entgegenkommenden, etwa des (problemlos sichtbaren) entgegen der Fahrtrichtung fahrenden Radfahrers, berichtet die "Deutsche Anwaltshotline".
Eine Frau war auf einem Radweg entgegen der Fahrtrichtung unterwegs gewesen. Ein Lkw, der rückwärts in eine Hofeinfahrt einbiegen wollte, übersah die Radfahrerin; sie wurde bei dem Zusammenstoß vom Fahrrad geschleudert. Obwohl sie einen Helm trug, erlitt sie einen Schädelbasisbruch. Sie verlangte deshalb Schadensersatz für alle entstandenen und zukünftigen Schäden ihres Sturzes.
Der Lkw-Fahrer lehnte dies ab: Schließlich sei die Frau entgegen der Fahrtrichtung unterwegs gewesen. Deshalb sei ihr zumindest eine Teilschuld anzulasten. Dieser Sicht schloss sich das Oberlandesgericht Saarbrücken jedoch nicht an, sondern sprach dem Fahrer die volle Haftung zu.
Dass die Frau entgegen der Fahrtrichtung unterwegs gewesen war, sei für den vorliegenden Fall nicht von Bedeutung. Die Begründung: Sämtliche Abbiegevorschriften gelten auch für das Rückwärtsabbiegen. Die Durchfahrt ist zu gewähren. Der Lkw-Fahrer hätte sich nötigenfalls einweisen lassen müssen, um einen Unfall zu vermeiden. Er muss deswegen sämtliche Kosten des Unfalls übernehmen.
Oberlandesgericht Saarbrücken
Urteil vom 22.1.2015
Aktenzeichen: 4 U 69/14