Es gibt doch kaum einen schöneren Moment im Leben eines Berufskraftfahrers, als den, einen neuen Laster zu übernehmen. Dieser fabrikfrische Neuwagenduft, und noch nie hat einer am Volant gedreht, noch sind die Betten "kuhlenfrei" und straff gepolstert. Und trotzdem gibt's Situationen im Leben, wo man auf dieses Hochgefühl verzichten muss. Der Chef braucht nur mal schnell eine Überbrückung für einen zeitlich begrenzten Auftrag. Oder der Schritt in die Selbstständigkeit und der notwendige Kassensturz zeigen, dass ein Neuer nicht drin ist.
Wie gut man mit einem Second-Hand-Truck fährt und ob man tatsächlich damit sparen kann, wollte der TRUCKER wissen und hat sich bei Scania zwei junge Gebrauchte herausgepickt. Vorteilhaft bei den Schweden: Die Autos aus der Scan-Rent-Mietflotte lassen sich fast alle übernehmen. Wenn also der Gebrauchtpool nicht das Passende aufweist oder man schlicht einen vorher gemieteten Rent-Greif ganz übernehmen möchte, kein Problem.
EIN JUNGER EURO 6 UND EIN VIER JAHRE ALTER EURO 5 ZEIGEN DIE BANDBREITE
Unsere Wahl fiel auf einen 42 Monate alten R 440 mit dem für Scania damals typischen, mit großem Tamtam forcierten AGR-Motor in Euro-5-Einstellung. Innerhalb von dreieinhalb Jahren hat der weiße Schweden-Laster 265.000 km abgespult und soll netto 47.500 Euro kosten. Deutlich teurer ist der nur elf Monate alte R 440 Euro 6. Der hat gerade mal 102.000 km runter. Kostet aber trotz stattlicher 82.200 Euro rund 20 Prozent weniger als ein aktueller R 450 mit Euro-6-Motor der zweiten Generation.
Wegen der erst jüngst erfolgten Modellpflege bei den Schweden entstammen beide Gebrauchte der gleichen Modellgeneration - unterscheiden sich also nur marginal. Mit der Wahl einer Topline-Kabine befinden wir uns in bester Gesellschaft. Rund zwei Drittel aller Kunden wählen das große Fahrerhaus. Die beiden aus der Mietflotte stammenden Zugmaschinen zeigen aber auch, dass auf Leihlaster nicht so gut geachtet wird. Brandlöcher in den Matratzen, Schmodder im Kühlschrank und speziell beim Euro-5-R eine gräuliche Verfärbung des Innenraums zeugen von rauchenden "Jockeys" und mangelnder Pflege. Wobei die beige Innenausstattung beider Schweden-LKW empfindlich ist und unsere im Supertest geäußerte Kritik bestätigt: Soll nicht der Fahrer ständig am Putzen sein, wäre Scania besser beraten, auf eine pflegeleichtere Interieurfarbe zu wechseln.
Die oberen Betten der Topline-Kabine haben an der Rückwand einen Schlaufengriff, um die Schlafstatt leichter entern zu können. Weil dadurch jedes Mal die Matratze gefaltet wird, zeigt die im älteren LKW bereits einen ausgeprägten Knick. Das Innenleben beginnt zu bröseln, die Matratzen sind generell durchgelegen. Diese Position sollte beim Kauf in jedem Fall als Neuteil ausgehandelt werden. Auch die unteren Betten mit dem typischen Auszug machen keinen wirklich frischen Eindruck mehr. Hier tut es in beiden Fällen aber eine intensive Reinigung.
Bis auf wenige Kleinigkeiten präsentieren sich die Innenräume in qualitativ gutem Zustand. Selbst nach dreieinhalb Jahren gibt es keine Abnutzungserscheinungen. Das ist angesichts der bereits beschriebenen "Doppelbelastung" im Mietalltag besonders erfreulich. Da platzt keine Oberflächenbeschichtung ab, das Lenkrad wirkt nicht abgegriffen und Schalter sowie Hebel rasten ein wie am ersten Tag. Lediglich die Scharniere der Staufachdeckel haben aufgegeben - und das schon beim viel jüngeren Euro-6-LKW. Zudem würde es Scania-Eigner und Spaltmaß-Fetischisten Ferdinand Piëch grauen, wenn er die Passungen der Deckel sähe. Als hätte ein völlig unbegabter Heimwerker Ikea-Schränke zusammengeschustert ...
Im Älteren der beiden Scanias hat ein wohlwollender Einkäufer eine Kaffeemaschine mitbestellt. Eigentlich ein Wunder, dass drumherum bis dato offenbar keine Kleckerkatastrophe geschah. Entweder der Koffeinspender wurde nur selten benutzt oder die Leute haben ausnahmsweise aufgepasst. Generell würden wir sagen: nettes Gimmick, aber verzichtbar! Bei den Kühlschränken werden uns beide Alternativen geboten: Standard und mit Gefrierfach. Es heißt also, einen Tod zu sterben. Das Gefrierfach scheint sinnvoll, fällt aber winzig aus. Der normale Kühlschrank ist größer - "groß" kann man bei Scania ohnehin nicht sagen - kühlt aber nicht so weit. Unsere Empfehlung: Ein Auto ohne Kühlschrank kaufen, die Schublade als zusätzliche Ablage nutzen und eine eigene Kühlbox in den Beifahrer-Fußraum stellen.
Während man bei anderen Marken beim Gebrauchtkauf immer hoffen muss, dass der Neuwagenkäufer in vernünftige Sitze investierte, kann man bei Scania ganz entspannt bleiben. Selbst mit den Standardsitzen ist der Fahrer gut platziert. Viele Verstellmöglichkeiten, Sitzheizung und Lordosenstütze sind eigentlich Usus beim Schweden-Gestühl.
BEI DER PROBEFAHRT ZEIGEN SICH ZUNÄCHST NUR GERINGE UNTERSCHIEDE
Zu einem ordentlichen Fahrzeugcheck gehört natürlich auch eine Probefahrt. Die hügelige A 48 rund um Koblenz ist ein sehr gutes Geläuf für einen kleinen Performance-Test. Im direkten Vergleich erweisen sich die Unterschiede als äußert gering. Ein Blick auf die technischen Daten bestätigt die Einschätzung: Höchstleistung, maximales Drehmoment, nutzbare Drehzahlbereiche - alle Werte sind ungeachtet der Schadstoffnorm identisch. Kein Wunder, beide Motoren basieren auf dem gleichen 13-Liter-Sechszylinder. Ganz feinfühlige Fahrer werden jedoch bemerken, dass das Euro-6-Triebwerk schon bei etwas weniger Drehzahl minimal mehr Power bietet. Das Tempo am Berg liegt bei gleichem Trailer und identischem Gewicht minimal höher. Allerdings hat der Euro-6-Scania einen, wenn auch vernachlässigbaren Nachteil: Der Einkäufer hat ihm die mittlerweile von vielen Kunden bevorzugte Zweipedalversion des automatisierten Opticruise-Getriebes spendiert. Und bei dieser Version arbeitet die Kupplung bei jedem Gangwechsel. Das Öffnen und Schließen der Reibscheiben kostet ein wenig Zeit, der Motor fällt beim Gangsprung etwas weiter in der Drehzahl ab, der Ladedruck sinkt - entsprechend lange dauert der erneute Kraftaufbau.
OB MIT ODER OHNE KUPPLUNGSPEDAL IST EINE REINE GESCHMACKSFRAGE
Beim Euro 5 mit Kupplungspedal realisiert Scania den Gangwechsel ohne Öffnen der Kupplung und schiebt den Gang quasi rein, wenn die Drehzahl passt. Das ist ähnlich schnell wie ein Doppelkupplungsgetriebe und bedingt eine kürzere Zugkraftunterbrechung. Daraus einen generellen Vorteil für die Version mit Kupplungspedal abzuleiten, läge nahe. Zumal ein intensives Wendemanöver mit der Zweipedal-Version eine "Überlastungswarnung" im Display provoziert. Andererseits geht Auf- und Absatteln sowie Rangieren an die Rampe ohne Kupplungspedal genauso gut vonstatten. Am Ende muss man also eine Kaufentscheidung nicht von der verbauten Getriebeversion abhängig machen.
Schwieriger ist die Frage nach der Schadstoffnorm zu beantworten. Als Entscheidungshilfe haben wir eine kleine Kostenrechnung und einen Vergleich mit einem neuen Scania R 450 integriert (s. Kasten S. 32). Wer auf den günstigen Euro-5-Scania setzt, spart gegenüber dem Neufahrzeug rund 850 Euro Fahrzeugkosten im Monat. Das eventuell höhere Ausfallrisiko lässt sich mit einer 1650 Euro teuren Antriebsstrang-Garantie abdecken. Bleiben also bei 137,50 Euro monatlicher Risikominimierung immer noch über 700 Euro Preisvorteil. Der gebrauchte Euro-6-Laster spart gegenüber dem Neuwagen nur 240 Euro im Monat. Wer auch in diesem Fall die Garantieleistung zukauft, kommt nur noch auf eine Differenz von etwa 100 Euro. Die Entscheidung dürfte dann klar sein: Der junge Gebrauchte lohnt nicht wirklich! Dann lieber 1200 Euro im Jahr mehr investiert und man atmet Neuwagenduft. Zumal ein neuer R 450 mit Euro 6 Version 2.0, optimiertem Interieur und verbesserter Opticruise technisch bereits die nächste Stufe erreicht hat und mehr Garantie bietet.
Wie sich Euro 6 künftig rechnet, wissen wir erst nach Festlegung der künftigen Mautberechnung. Auch dazu ein kurzes Rechenexempel: Bei einer zu erwartenden Mautspreizung von 2 Cent/km und 100.000 km Autobahnfahrt im Jahr, würde Euro 5 künftig 2000 Euro im Jahr mehr kosten. Der gebrauchte 440er Euro 5 ist aber im Jahr knapp 8500 Euro billiger. Auch dieser Faktor spricht also für den Vierjährigen.
Ein paar andere Kaufentscheidungen hängen weniger von der Schadstoffnorm ab. Viel mehr davon, ob man die Rechnung selbst bezahlen muss. Beide Test-Zugmaschinen tragen fette 385er-Schlappen auf der Vorderachse. Sieht gut aus - kostet aber einen halben Liter pro 100 km. Ein Plus an Laufleistung wird von höheren Reifenpreisen wieder aufgefressen. Bei der Mietflotte zeigt sich Scania ein wenig geizig und verbaut Stahlfelgen. Da würde Alu den etwas schweren R zu mehr Nutzlast und besserer Optik verhelfen, ohne den Verbrauch nachteilig zu beeinflussen.
AUCH GEBRAUCHTE SCANIA BRAUCHEN RETARDER, TOPLINE UND OPTICRUISE
So fällt am Ende die Kaufentscheidung leicht: Unter Berücksichtigung aller aktuellen und der noch zu erwartenden Kosten nehmen wir den R 440 in Euro 5. Mit aktuell einer Viertel Million Kilometer ist der noch gut für mindestens die dreifache Strecke. Mit dem Verkäufer handeln wir einen neuen Satz Matratzen und Auflagen aus sowie eine Intensivreinigung des Innenraums inklusive Ozonbehandlung. Der Lässlichkeiten bei den Staufachpassungen nehmen wir uns selbst an. Neue Scharniere sparen wir uns - sind eh gleich wieder lahm ...
Topline, Opticruise und Retarder sind gesetzt. Die weiße Lackierung ist nicht der Brüller, aber das neutrale Äußere lässt sich mittels Svempas Greif an den Seiten aufpeppen. Und wer's ganz schön haben will, "schießt" sich auf Ebay einen Satz Aluräder und stellt die Stahlräder mit der abplatzenden Farbe für späteren Verkauf ins Eck. Man kann auch Second Hand glücklich werden, Neuwagenduft hin oder her.
TRUCKER-FAZIT | Wenn's ums Geld geht, Euro 5
Nachdem die Mautspreizung nicht so hoch ausfallen dürfte, würde ich die günstigere Euro-5-Zugmaschine vorziehen. Eventuell auch für zwei Jahre im Full-Service-Leasing. Dann weiß man mehr. So ist der Restwert garantiert und die Kosten sind kalkulierbar. Qualitativ sind beide Scanias okay.