IM TEST: VOLVO FH 540 Modell: Globetrotter XL I-Shift Dual Clutch
Hubraum: 12.800 cm3
PS (kW): 540 (397) bei 1450 - 1800/min
Gesamtgew.: 39.930 kg (Leergew.: 7930 kg)
Listenpreis (Testfzg.): 158.832,- Euro (netto)
Volvo mausert sich. Konnte der FH anfangs noch nicht wirklich überzeugen, hat der Reifegrad des Göteborgers mittlerweile zugenommen, wie bei gutem Rotwein. Dazu tragen nicht nur die Technik-Spielereien bei, die Volvo implementierte - Einzelradaufhängung, Doppelkupplungsgetriebe oder Dynamic Steering. Vor allem dank Feintuning wurde aus dem großen Schweden inzwischen ein richtig guter Lkw.
Das aktuelle Testfahrzeug verzichtete auf die vordere Einzelradaufhängung. Wie wir meinen, kein Nachteil, weil die aufwändige Konstruktion ihre Vorteile vor allem auf schlechten Straßen ausspielt - und so schlecht sind deutsche Autobahnen nicht. Vor allem aber gilt, dass die serienmäßige Faustachse mit Zweiblatt-Parabelfeder schon so gut abgestimmt ist, dass es schwierig ist, was Besseres zu bauen.
DER 13-LITER MIT 540 PS IST NAHE AM GROSSEN FH16 MIT 550 PS
Die TRUCKER-Tester sind nicht gerade bekannt dafür, mit Kritik hinterm Berg zu halten. Eher suchen wir das Haar in der Suppe. Im Falle des Schweden müssen wir aber eingestehen, dass negative Kritik schwerfällt. Zum Test trat ein FH 540 Globetrotter XL an. Gemäß seiner Typbezeichnung mit dem stärksten 13-Liter-Sechszylinder ausgestattet, den Volvo zu bieten hat. Nicht von ungefähr weiß Volvo-Testbegleiter Thomas Tschakert, dass die FHs meist gut im Futter stehen. "Wir garantieren mindestens die Power, die außen an der Kabine steht. Tatsächlich sind es im Mittel 551 PS. Und mit 2652 Nm Drehmoment leistet der Testtruck auch gut 50 Newtonmeter mehr, als das Datenblatt ausweist."
Tschakert versichert auch, dass es nicht am Einsatz als Testfahrzeug liegt: "Wir präparieren da nicht extra. Auch unsere Kunden kommen in den Genuss dieser Power!" Ein Blick auf die zahlreichen Facebook-Kommentare unterstützt diese Aussage. Tatsächlich läuft die Maschine trotz der im Vergleich einfachen Technik kraftvoll, hängt spontan am Gas, zeigt sich bei Bedarf elastisch und drehfreudig gleichermaßen, findet ihre Stärke aber vor allem im mächtigen Drehmoment bei geringsten Drehzahlen. "Einfache Technik" heißt: Das D13-Grundaggregat ist topmodern. Aber die Schweden setzen auf Pumpe-Düse, wo andere längst Common-Rail bemühen. Begnügen sich mit Sechsloch-Einspritzdüsen statt sonst üblicher Achtloch-Injektoren. Selbst den variablen Turbo sucht man vergeblich. Wobei wir ihn angesichts der vorhandenen Motorperformance nicht vermisst haben.
AUCH DIE KONKURRENZ BLICKT NEIDVOLL AUF I-SHIFT DUAL CLUTCH
Kommen wir zum Getriebe: "I-Shift Dual Clutch" nennt Volvo das "Wunderwerk der Technik". Selbst die Wettbewerber erkennen neidlos an, dass es sich aktuell um das beste Zahnräderwerk im Nutzfahrzeugbau handelt. Die Gangabstimmung passt perfekt zur Motorcharakteristik. Nicht mal an der wegen des hohen Drehmoments gewählten Overdrive-Auslegung lässt sich herummäkeln. Der sonst bei dieser Technik übliche minimale Mehrverbrauch stellt sich nicht messbar ein. Mit der Übersetzung des höchsten Ganges ins Schnelle und der 3,08er-Achse ist der FH lang genug ausgelegt, um drehzahlschonend unterwegs zu sein.
Das eigentliche Sahnestück ist aber die Doppelkupplung. Stets ist ein Gang bei geschlossener Kupplung eingelegt, während der laut Getrieberechner folgende Gang bei zweiter, geöffneter Kupplung ebenfalls schon geschaltet ist. Beim Gangwechsel öffnet Kupplung eins, Kupplung zwei schließt. Der Fahrer bemerkt die Anpassung einzig an der fallenden Nadel des Drehzahlmessers, keine Zugkraftunterbrechung, kein Geschwindigkeitsabbau - nur Kraftschluss. Man gewöhnt sich als Fahrer so schnell an die kurzen Schaltzeiten, dass man sofort stutzt, wenn's mal länger dauert. Das kommt aber nur beim Gruppenwechsel von Gang sechs auf sieben vor, denn da muss I-Shift "normal" den Gang wechseln. Oder aber, wenn sich die Fahrsituation abrupt ändert und der vorgewählte Gang der falsche ist - was der Fahrer allerdings durch gute Voraussicht vermeiden kann.
An Motor und Getriebe lässt sich also wenig aussetzen. Für einen 540er ist der Volvo sparsam unterwegs. Dass er ein wenig unter den Rundenzeiten vergleichbar starker Konkurrenten landet, liegt an "I-See", Volvos GPS-Tempomaten. Wie alle diese Systeme geht's unter anderem mit etwas weniger Speed über die Kuppe, was nachhaltig Kraftstoff spart, am Ende des Tages aber etwas Zeit kostet. Nur AdBlue genehmigt sich der FH etwas viel. Und das, obwohl Volvo kein SCR-only-System hat. Allerdings gehen die Schweden bei Euro 6 einen eigenen Weg. AGR setzt Volvo bevorzugt ein, um die Abgastemperatur zu erhöhen und damit die Wirksamkeit des SCR-Kats zu fördern. Genau genommen ist der D13 doch ein SCR-only-Motor, der aber auf eine aufwändige Kat-Heizung verzichtet ...
Um ein wenig Tempo gut zu machen, lassen die Schweden ihren Fernverkehrs-Boliden bergab mit 92 km/h laufen. Früher waren es bis zu 96 km/h - was wir heftig kritisierten. Immerhin warnt der Tacho nach 45 Sekunden, der Fahrer möge das Tempo reduzieren. Das Abbremsen auf wenigstens 90 km/h klappt, ohne dass der Tempomat gleich rausfliegt.
Übrigens wählten wir beim Test das Eco-Level zwei. Das bedeutet bei gesetzten 85 km/h, mit rund 80 km/h über die Kuppe zu rollen. Vor entsprechenden Anstiegen beschleunigt der FH um etwa 3 km/h, um Schwung mitzunehmen und mögliche Rückschaltungen länger hinauszuzögern. In Eco-Level drei wäre noch mehr Sparpotenzial vorhanden. Aber wir wollen praxisnah bleiben. Und kein 540er-Käufer hat so ein Auto, um neue Verbrauchsrekorde aufzustellen.
AUCH BEIM GPS-TEMPOMAT I-SEE HAT VOLVO NACHGEBESSERT
In Anbetracht des optimierten GPS-Tempomaten, der inzwischen eine sehr gute Streckenabdeckung besitzt und jetzt zu unserer Zufriedenheit arbeitet, also auch hier alles im grünen Bereich? Ja! Auch da hat Volvo nachgebessert, wo's nötig war. Dass I-See sich kleine Lässlichkeiten erlaubt und eine kurze Passage auf der TRUCKER-Handlingrunde nicht kannte, geschenkt. Auf dem Streckenabschnitt versagen auch die Systeme von Scania und DAF. Nur Mercedes und MAN scheinen besseres Kartenmaterial zu haben.
Irgendwie ist man als Tester froh, wenn bei so einem Lkw mal etwas "nur" durchschnittlich ist. Die gute Abstimmung der Vorderachse haben wir schon gelobt. Im Zusammenspiel mit der Kabinen- und Sitzfederung ergibt sich daraus aber kein außerordentlich hoher Fahrkomfort - aber immerhin ein guter. Insgesamt ist der Schwede eher härter abgestimmt. Dazu will die Lenkkraftunterstützung Dynamic Steering im ersten Moment nicht so recht passen. Neulingen vermittelt das System ein ziemlich indifferentes Lenkgefühl, am ehesten noch mit einem alten Ami-Schlitten zu vergleichen, der sich mit dem kleinen Finger dirigieren lässt. Und wie beim US-Car gibt Dynamic Steering um die Mittellage wenig Rückmeldung. Trotzdem gewöhnt man sich schnell an die komfortablen Lenkkräfte, das lässige Einlenken in Kreisverkehre und stressfreie Spurwechsel. Vor allem aber daran, dass die optionale Lenkung dafür sorgt, dass alle Einflüsse von der Straße ausgefiltert werden und absolut nichts davon am Volant ankommt.
Fahren im großen Volvo hat ergo mehr mit Pkw-fahren zu tun, als bei jedem anderen Lkw zuvor. Zumal der Schwede auch noch angenehm leise läuft, kaum Windgeräusche erzeugt und mit sehr niedrigen Bedienkräften glänzt. Zum Schluss aber dennoch ein wenig Kritik - vertieft im Kasten "Kabine" (s.u.) und im Kommentar des Kollegen Burgdorf: Mag der Antriebsstrang auch mit das Beste sein, was es aktuell im Nutzfahrzeugmarkt gibt, die seltsame Aufpreispolitik, vor allem aber das im Vergleich kleine Fahrerhaus setzen leider keine Maßstäbe.