Zu Beginn war es lediglich ein Hersteller, der den Verzicht auf Abgasrückführung bei Euro 6 propagierte - teilweise belächelt durch den Wettbewerb. "SCR only" nannte Iveco das Konzept. Zwar bedurfte es einer aufwändigeren Lösung bei der Katalysatortechnik, andererseits versprach der Verzicht auf die meist gekühlte AGR ein Plus an Nutzlast. Vor allem aber laufen die Motoren ohne das rückgeführte Abgas effektiver. Ein Mehr an AdBlue sollte der angepeilte Minderverbrauch beim Diesel überkompensieren.
DIE IDEE, DURCH VERZICHT AUF AGR ZU SPAREN, FAND SCHNELL NACHAHMER
Scania, schon immer für niedrige Verbräuche gerühmt, fand Gefallen an der Idee - zunächst mit nur einer Motorvariante: einem 410 PS starken Reihensechszylinder mit 2150 Nm Drehmoment und knapp 13 Liter Hubvolumen. Der wartete vom Start weg mit Traumverbräuchen auf und setzte sich als "Green Truck" bei TRUCKER und seiner Schwesterzeitschrift VerkehrsRundschau mit der niedrigsten CO2-Emission an die Spitze. Aber ganz offensichtlich trauten viele Fahrer und Spediteure dem 410er nicht zu, auch für schwere Aufgaben gerüstet zu sein. Ergo schoben die Schweden jetzt einen 450er auf identischer Basis hinterher, der es auf 2350 Nm bringt.
Der Neue trat jetzt exklusiv zum Supertest als R 450 Topline in Streamline-Ausführung an. Brachte Scania den 410er bislang vor allen in Verbindung mit der kompakten G-Baureihe und Highline-Kabine, bricht der R 450 mit der Tugend der Knausrigkeit. In aktueller Konfiguration ist er ein echtes Fernverkehrsauto mit viel mehr Platz für den Fahrer.
ECO-ROLL UND GPS-TEMPOMAT ZEIGEN SICH WEITER VERFEINERT
Seit dem letzten Test hat Scania "Eco-Roll" weiter optimiert. Das kraftfreie Rollen in Neutral funktioniert jetzt auch, wenn der Fahrer nicht im Tempomatmodus fährt. Ebenfalls an Bord des Test-Lkw: der verlustleistungsreduzierte Scania-Retarder mit 3500 Nm Bremsmoment und der noch einmal verbesserte GPS-Tempomat "CCAP". Den Test fuhren wir vorwiegend im Eco-Plus Modus, mit 85 km/h Setzgeschwindigkeit sowie 75 km/h als unteres Limit bei Bergkuppen und einem maximalen Bergabtempo von 90 km/h - mit leichten, kurzzeitigen Überschwingern bis 92 km/h.
Die neue Abstimmung von CCAP greift jetzt zusätzlich in die Steuerung des automatisierten Getriebes ein und bevorzugt eine Drehmomentorientierte, Kraftstoff-effiziente Fahrweise im möglichst niedrigen Drehzahlbereich. Permanent überwacht der Fahrzeugrechner Drehzahl, Last, Steigungsgradient und Länge des Berges. Wann immer möglich, bleibt der größtmögliche Gang eingelegt. An einigen Anstiegen der Testrunde fällt der 12,7-Liter-Sechszylinder auf unter 900 Umdrehungen, hat aber dennoch keine Probleme, den auf 40 Tonnen ausgeladenen Zug über den Berg zu bringen.
Trotz der gegenüber dem 410er gestiegenen Leistung führt diese Konfiguration zu einer insgesamt niedrigen Transportgeschwindigkeit. Wenigstens sorgen die kleinen Geschwindigkeitsspitzen bergab für ein leidlich flottes Vorankommen. Minimal über 80 km/h im Durchschnitt - exakt 80,4 km/h - sind allerdings kein wirklich hoher Wert und der R 450 ist nur minimal schneller als ein früher getesteter G 410. Der Reihensechszylinder läuft dafür entsprechend sparsam.
Von der Abgasrückführung befreit, kann er offensichtlich frei durchatmen. Technisch präsentiert er sich eher einfach: Zwar mit Common-Rail-Einspritzung, dafür aber nur mit einem normalem Single-Turbo und Ladeluftkühlung ausgestattet, schwingt er sich zu 2350 Nm maximalem Drehmoment auf, die ab 1000 Touren zur Verfügung stehen. Auffällig - eigentlich muss man eher sagen unauffällig - sind die niedrigen Geräuschemissionen des DC13 genannten Triebwerkes. Auch ohne VGT-Lader hängt er noch passabel am Gas.
Einen neuen Verbrauchsrekord schafft er allerdings nicht - zu gut waren die Vorgaben des G 410, der nicht nur weniger Pferdestärken zu füttern hatte als mit der Kompaktkabine, sondern auch über einen besseren Luftwiderstand verfügte. Die drehzahlsenkende Auslegung, die beim Testfahrzeug durch eine lange 2,59er-Hinterachse unterstützt wurde, machte es notwendig, den Antrieb besser auszubalancieren.
Schüttelten frühere Scania-Motoren bei unter 1000 Touren, läuft der DC13 jetzt vorbildlich vibrationsarm. Selbst auf der Landstraße mit 60 km/h im höchsten Gang läuft der Sechszylinder wie eine Turbine. Leider schaltet Opticruise unter 65 km/h in den elften Gang. Doch auch mit dann rund 1050 Touren bleibt der 12,7-Liter verbrauchsarm. An den leichten Steigungen der B300 schalten viele Fahrzeuge zurück in den zehnten Gang. Der Schwede bollert auch hier im Elften und spart sich so die paar Zehntel, die er in den Flachstücken mehr braucht.
DIE NEUE GETRIEBEAUSLEGUNG BRINGT A UCH VORTEILE BEIM ZURÜCKSCHALTEN
Mit der neuen Auslegung, dass Eco-Roll jetzt immer anspringt, hat Scania auch die Unsitte des "Gang für Gang-Zurückschaltens" beim Ausrollen ausgemerzt. Endlich rollt der Schwede akkurat aus. Gibt der Fahrer vor dem Stopp wieder Gas, legt Opticruise spontan den passenden Gang ein und beschleunigt wieder.
Insgesamt eher straff ausgelegt, spielt der R 450 die von Scania gewohnte Rolle des fahraktiven Lkw. Für ein Restmaß an Komfort sorgt im Test-Lkw die optional verbaute Vierbalg-Luftfederung an der Hinterachse - eine Option, bei der Scania-Käufer grundsätzlich ein Kreuzchen machen sollten! Dank direkter Lenkung lässt sich der Schwede behände und zielgenau auch über die engen Kurven der Handlingrunde zirkeln. Mit der großen Kabine findet er unterm Strich einen guten Kompromiss aus komfortablem Langstrecken-Lkw und agilem Verteiler. Erstaunlich ist das trotz großer Kabine und guter Ausstattung verhältnismäßig niedrige Gewicht. Da haben die Schweden in letzter Zeit ihre Hausaufgaben gemacht: 7225 Kilo sind für eine vollgetankte Zugmaschine ein niedriger Wert.
Scania könnte ohne Retarder noch 100 Kilo mehr Nutzlast herausholen. Angesichts der schwachen Motorbremse, der hervorragenden Bremsintegration, aber auch der Bequemlichkeit für den Fahrer, würden wir dennoch zur Hydrobremse raten. Beim manuellen Fahren haben wir übrigens den separaten Fußknopf für die Motorbremse wieder schätzen gelernt.
Im Vergleich zum direkten Wettbewerb wirkt der R trotz Topline-Fahrerhaus inzwischen klein. Zwar bietet er ungeachtet des Motortunnels Stehhöhe. Dennoch hat die kurze Kabine Nachteile bei der Bewegungsfreiheit und der Breite, speziell des unteren Bettes - auf eine obere Schlafstatt verzichtete der Test-Truck.
Der Arbeitsplatz mit weitem Sitz- und Lenkradverstellbereich ist noch immer sehr gut. Trotz vieler Belegungen lässt sich das Multifunktionslenkrad gut bedienen. Graue Bezugsstoffe und braune Verkleidungen wirken nicht mehr zeitgemäß. Verarbeitung und Materialqualität sind Scania-typisch sehr gut. Das untere Bett ist schmal und lang (2050 Millimeter). Neu sind H7-Scheinwerfer, die dank guter Ausleuchtung Xenon verzichtbar machen.
AN EINIGEN STELLEN MERKT MAN DAS A LTER DES SCANIA JETZT LANGSAM
Serienmäßig verbaut Scania aktuell Recaro-Sitze. Die lassen sich intuitiv bedienen und bieten viele Verstellmöglichkeiten. Vom Sitzkomfort stellen sie aber keine echte Verbesserung dar. Bei den Sichtverhältnissen merkt man dem Scania sein Alter an. Die Scheibe verzerrt seitlich stark, die Spiegel zittern und die Rundumsicht ist nicht wirklich gut. Zudem lassen sich nur die Hauptspiegel elektrisch verstellen.
Bleibt am Ende die Frage, ob der 450er tatsächlich besser ist als der effiziente und trotz nominell weniger Leistung nicht wirklich schwache 410er? Nein, ist er nicht! Er sorgt nicht für wirklich mehr Tempo, liegt im Verbrauch gleich auf, kostet aber ein paar Tausender mehr. 2150 Nm Drehmoment reichen für die meisten Einsätze völlig aus. Ergo lautet unser Fazit: 410 PS reichen im Falle des Scania aus. Im Sinne des Fahrers aber bitte mit Topline-Kabine.