Als sich der Autor dieses Beitrags im zarten Kindesalter intensiver für Lastwagen zu interessieren begann, hatte Scania seine P-Baureihe gerade frisch überarbeitet.
Umso verwunderter reibt man sich nach dem Ein-, oder besser gesagt Aufstieg - denn die hoch angebrachte untere Trittstufe erfordert Gelenkigkeit - die Augen. Die Materialien im Innenraum sehen aus wie neu, nichts ist abgegriffen und sogar der Fußraum wirkt noch fast jungfräulich. Dabei erblickte der "P 93/250 MK 4x4", wie dieses Exemplar mit vollem Namen heißt, 1991 das Licht der Welt. Ergibt 26 Jahre Lasterleben, womit der Scania seinen Zenit eigentlich längst überschritten haben müsste!
Des Rätsels Lösung: Der Zweiachser gehörte bis vor nicht allzu langer Zeit zum Fuhrpark der norwegischen Armee. Und war Teil einer Großbestellung von insgesamt 1811 Fahrzeugen, die die "Forsvaret" (norwegisch für Verteidigung) zwischen 1986 und 1996 bei Scania geordert hatten.
JÄHRLICH KAMEN NUR 461 KILOMETER AUF DEN TACHO
Viel zu tun gab es für den Laster anscheinend nicht. In 26 Jahren kamen gerade mal 12.000 Kilometer auf den Tacho. Rechnerisch also nicht mehr als 461 Kilometer pro Jahr!
Doch wenn der militärische Ernstfall eingetreten wäre, hätte der Achttonner auf jedem Terrain und zu jeder Jahreszeit durchkommen müssen. Weshalb die Streitkräfte auf bestmögliche Geländegängigkeit Wert legten. Und diese Anforderung beherrscht der "kleine" Scania auch nach fast drei Jahrzehnten noch bestens.
Per Schlüsseldreh (abgestellt wird über den Zugschalter an der Mittelkonsole) erwacht der 8,9 Liter große DS9 mit seinen 254 PS zum Leben. Und entlässt erst mal eine kräftige Abgasfahne aus dem Auspuff. Schadstoffklassen? 1991 noch weitgehend unbekannt und in Armeediensten sicher auch ohne Priorität. Schließlich lautet das Motto hier "keep it simple" ...
Dafür zeigt sich der Sechszylinder bei den Geräuschemissionen überraschend zurückhaltend. Was wir angesichts der weitgehend ungedämmten P-Kabine nicht erwartet hätten.
Nächstes "Manöver", das heute weitgehend in Vergessenheit geraten ist: Kupplung treten und den langen, kerzengeraden Schaltknüppel mit dem nötigen Gefühl in die richtige Gasse drücken. In diesem Fall nach links vorne, was den zweiten von fünf Gängen bedeutet. Schließlich wollen wir den Allrader nicht auf langweiligen Straßen testen, sondern über eine dick verschneite, hügelige Wiese treiben.
Bei deren Anblick überwiegen allerdings zunächst Zweifel, ob man dem Youngtimer nicht etwas zu viel zumutet. Schließlich ist die Ladefläche leer und der Druck auf die einzelbereiften Hinterräder entsprechend gering.
Aber der Scania stellt unmissverständlich klar, dass ihn eigentlich kaum etwas aufhalten kann. Mit Allrad und aktivierter Untersetzung wühlt er sich lässig durch den meterhohen Schnee und erklimmt unbeeindruckt eine steile Anhöhe. Dem Fahrer bleibt nichts weiter zu tun, als gleichmäßig auf dem Gas zu bleiben und durch kräftiges Kurbeln am dürren, 500 Millimeter großen Lenkrad die Richtung vorzugeben.
DIE SPIKEBEWEHRTEN KETTEN FINDEN IM SCHNEE TRAKTION
Auf genau solche Einsätze wurde der Armeelaster schließlich abgestimmt. Die großen, grobstolligen Continental-Reifen unterstützen die extreme Bodenfreiheit und die Sperren sind noch nicht elektronisch gesteuert. Wobei für diese Geländefahrt die hintere Quersperre genügt. Längs- sowie die vorderre Quersperre bleiben deaktiviert, schließlich soll die Wendigkeit erhalten bleiben. Und sollte doch mal der unwahrscheinliche Fall eintreten dass der Geländespezialist hängen bleibt, könnte er sich mittels der vorne und hinten verbauten Seilwinden quasi an den "eigenen Haaren" aus dem Morast ziehen.
Trotzdem haben die norwegischen Streitkräfte die 93er längst durch modernere P-Modelle ersetzt, auch wenn die im Gelände sicher keine bessere Figur machen. Die Alten "stehen" dennoch weiter ihren Mann: Allein 134 Exemplare übernahm 2013 das lettische Militär.