Manchmal, wenn die Lage völlig ausweglos ist, muss der Große die Kleinen zur Hilfe rufen. So geschehen bei unseren Fahrversuchen mit einem Renault C 440 T 4x2 K (OptiTrack) vor einem - zu diesem Zeitpunkt unbeladenen - Meiller-Dreiachskippsattel. Ort des Geschehens: ein Kiesberg im Kieswerk von Ebenhöh vor den Toren Münchens.
Was war geschehen? Ohne den Druck der Ladung auf der Antriebsachse gruben sich die Räder, an denen die 440 PS des 12,8 Liter großen Reihensechszylinders wirken, in die kleinen Steinchen - Ende Gelände.
Wie funktioniert der Hilferuf? Ganz einfach per Druck auf den Knopf unter dem Lichtschalter.
EIN SOUND WIE BEI EINEM GABELSTAPLER
Dann eilen dem Dieselaggregat und den durchdrehenden Rädern an der Hinterachse zwei hydraulische Radnabenmotoren zu Hilfe, schicken je 56 PS (41 kW) mit reichlich Drehmoment an die Vorderräder und sorgen so für zusätzliche Traktion. Sobald zusätzlich zum Diesel das aus dem Gabelstapler vertraute "jaulende Motorengeräusch" ertönt, sind die meisten der Kieshügel in Plieningen kein Problem mehr für den Renault. Wenn der Untergrund sehr lose ist, unterstützt eine durch einen weiteren Knopfdruck aktivierte mechanische Differenzialsperre die beiden motorischen Helfer.
Angenehm für den Fahrer ist, dass Renault das System nur in Verbindung mit dem automatisierten OptiDriver-Getriebe verkauft. Zudem empfehlen die Franzosen, den Offroad-Modus zu aktivieren, da so eine bessere Kontrolle über niedrige Gänge möglich ist. Denn nur in diesen lässt sich der Traktionsgehilfe nutzen. Im Offroad-Modus geht die Fahrt immer im ersten Gang los und die Schaltstrategie verkneift es sich, einzelne Gänge zu überspringen oder frühzeitig hochzuschalten. Zudem wird bergab nicht automatisch in den höheren Gang gewechselt. Als Nebeneffekt arbeitet die Dauerbremse (OptiBrake) durch die höhere Motordrehzahl mit mehr Leistung. Kommt der OptiTrack-Modus hinzu, bleibt sie allerdings abgeschaltet.
Wer will, kann den Radnabenantrieb auch ohne Geländemodus oder die Differenzialsperre nutzen. Bei unseren Versuchen im Kieswerk war die Kombination aus allen drei Funktionen aber die entspannteste Art, sich durchzuwühlen. Wer sich die ganze Knöpfchendrückerei sparen möchte, kommt in vielen Situationen meist auch nur mit OptiTrack in die Gänge.
Für den, der seinen Chef nicht mit Fahrdynamik, sondern mit nackten Zahlen überzeugen will, dem liefert Renault zwei Werbeversprechen: im Vergleich zum Allrad fünf Prozent weniger Dieselverbrauch und aufgrund von Gewichtsvorteilen 660 Kilogramm mehr Zuladung. Allerdings mahnen die Franzosen auch, das System sei eine Anfahrhilfe und kein vollwertiger Allradersatz.
Da wir das Fahrzeug ohne Verbrauchsmessung testeten, konnten wir nicht überprüfen, ob das Dieselversprechen stimmt.
Gegenüber seinem Vorgängermodell (Lander) hat OptiTrack um 90 Kilo abgespeckt. Mit der jüngsten Ausbaustufe versprechen die Entwickler zudem ein einfacheres Anfahren mit einem um sieben Prozent erhöhten maximalen Drehmoment sowie einem höheren größtmöglichen Hydraulikdruck. Neu ist ebenfalls, dass der Hilfsantrieb alternativ im zweiten Rückwärtsgang funktioniert.
GUTER DURCHZUG: DIE 440 PS SCHLAGEN SICH WACKER
Nach den Traktionsübungen kommt der Radlader und sorgt dafür, dass es mit satten 40 Tonnen auf die Tour ins Münchener Umland geht. Hier haben Offroad-Modus, Differenzialsperre und Radnabenantrieb Pause und die 440 PS des Diesels an der Hinterachse müssen alleine zeigen, wozu sie imstande sind. Und das überrascht, denn für einen Kippsattel ist das Fahrzeug nicht übermotorisiert. In dem leicht welligen Geländeprofil auf den Autobahnen und Bundesstraßen rund um die bayerische Landeshauptstadt vermittelt das Fahrzeug nicht das Gefühl, untermotorisiert zu sein. Die 65 km/h hält es im elften Gang bei etwa 1050 Touren sauber durch. Gefühlt könnten aber die Phasen im Diesel sparenden Rollmodus länger sein.
Die Bedienung des Fahrzeugs indes erfordert Gewöhnung. Die Tempomatsteuerung über die Tasten auf der linken Seite des Volants weicht etwas von der üblichen Logik ab. Ähnlich untypisch sind die Knöpfe für den Bordcomputer unter der rechten Lenkradseite. Wer da beim Kurbeln beherzt zugreift, verstellt ungewollt schon mal die Anzeige des Computerdisplays. Und weil dreimal meckern Bremer Recht ist: Der Lenkstockhebel für die Dauerbremse ist zu weit vorne platziert. Wer damit klarkommt, hat freie Fahrt auf Kies und Asphalt
So funktioniert der Traktionsgehilfe OptiTrack
OptiTrack von Renault Trucks ist ein hydrostatisches Antriebssystem, das kurzzeitig zusätzliche Traktion auf die Vorderachse bringt. Verfügbar ist das System für die Baureihe C mit folgenden Achskonfigurationen: 4x2, 6x4, 8x4 und 8x2. Eine 6x2-Version ist in Vorbereitung. Das OptiTrack-System besteht aus einer Hydraulikpumpe, die von einem motorabhängigen Nebenantrieb angetrieben wird, einem Addi-Flow- Ventil, welches das Öl auf zwei Hydraulikmotoren in den Radnaben verteilt, und einem eigenen Hydraulikkreis mit Filter, Öltank und Ölkühlsystem. Der Radnabenantrieb lässt sich im Stand oder bis 15 km/h während der Fahrt zuschalten und arbeitet bis 25 km/h. Bei höheren Geschwindigkeiten geht das System in Bereitschaft oder schaltet ab.
FAZIT
Ohne Schnickschnack
Der Renault verzichtet auf jeglichen Firlefanz und konzentriert sich ganz auf seinen Job als Kieskutscher, auch wenn das Gelände mal schwierig wird. Anders als das Lenkrad gibt die Bedienung der Geländefunktionen keine Rätsel auf. Und die dürften für die meisten Baustellenverkehre reichen.