Eigentlich war dieses Auto auf gar keinen Fall als Testwagen gedacht. Mit gerade einmal 5555 Kilometern auf dem Tacho war der Arocs 3236 B nicht eingefahren und er kam in nackter "Loader"-Ausstattung ohne Dachluke, Klimaanlage oder Komfortsitz. Trotz Diättricks wie Dünnglasscheiben und Aluleitungen bringt er knapp 12.750 Kilogramm auf die Waage, was vor allem am schweren OM 470-Sechszylinder (10,7 l) sowie an der aufwendigen Abgasnachbehandlung liegt.
Womit wir beim Hauptkritikpunkt wären: Da die OM47X-Motoren auf künftig zu erwartende höhere Drücke ausgelegt sind, entschloss sich Daimler bewusst für einen üppig dimensionierten, massiven Motorblock. Der kann gar nicht leicht sein. Der Verzicht auf den größeren OM 471 (12,8 l) bringt laut Daimler rund 150 Kilogramm. Dennoch wiegt der mit dem 470er-Motor ausgestattete 3236 so viel wie die Mischer anderer Hersteller mit 13-Liter-Aggregaten. Seine Abgase schickt er in die riesige, unteilbare Abgasbox, die prinzipbedingt immer zwischen Vorder- und Hinterachsen hängen muss. Entsprechend lang ist das firmenintern "Anaconda" genannte Abgasrohr - diese beiden Posten schlagen üppig auf die Gewichtsbilanz, was die Konstrukteure zu mehreren, teil aufwendigen Diät-Kunstgriffen wie Supersinglereifen zwang.
DIE "ANACONDA" VERSORGT DIE RIESIGE CHEMIEFABRIK
Das Leergewicht mag der Grund gewesen sein, warum viele Fahrmischer noch auf Basis der Daimler-Euro-5-Fahrgestelle bestellt wurden. Entsprechend wird der seltene Arocs von Transportbetonfahrern bestaunt wie ein Ufo.
Der 3236 glänzt in schickem Anthrazit mit großer 904er-Liebherr-Trommel. Die Alus tun ein Übriges dazu, die fehlende Ausstattung und exotische Reifen zu kaschieren. Mit knapp 31 Tonnen Gesamtgewicht und vergleichsweise langer 3,3er-Achse ist der 360 PS leistende Motor erwartungsgemäß ziemlich am Schuften, wenngleich nach dem zweiten immer die Gänge fünf, acht und zehn folgen. Der Wörther schaltet also so wenig wie möglich und dreht die Gänge dafür weit aus - bei kräftigem Gasfuß gern bis ans Ende des gelben Bereiches, der weit jenseits der 1500 Touren liegt. Einmal in Schwung, lässt es sich herrlich "per Gaspedal" schalten - respektive "segeln": Leichtes Lupfen genügt, und die nächste Fahrstufe wird eingelegt, sofern der Neigungswinkelmesser keine Steigung signalisiert.
360 PS ENTSPANNT FAHREN? GEHT, WENN MAN WEISS, WIE
Das ermöglicht einen sehr intuitiven Fahrstil und beweist einmal mehr Daimlers Elektronikkompetenz. Dazu gehört auch das exzessive Leerlaufrollen, das den Mischer über lange Streckenabschnitte gleiten lässt. Wer seine Tour gut kennt, kann hier weite Teile im Leerlauf überbrücken, wobei man sich dann das Nutzen der Schubabschaltung sparen will. Zieht man am Motorbremshebel, legt der Arocs sofort wieder einen Gang ein. Verzögert die in Stufe eins eher lau, kann man mit zwei und drei deutlich fühlbarere Ergebnisse erzielen. Dann stuft das Powershift-Getriebe auch entsprechend zurück, um mehr Bremsmoment zur Verfügung zu stellen.
Das alles klappt intuitiv, trotzdem erfordert der Mischer auf den anspruchsvollen Landstraßenabschnitten mehrere manuelle Eingriffe, denn Powershift verlässt sich hier nicht so sehr auf das Dreh- respektive Stehmoment des Motors, der trotzdem auch Drehzahltäler von 1000 Touren noch gut wegsteckt - recht viel weniger sollte es dann allerdings nicht mehr sein. Wie ausgefuchst Daimlers Elektronik ist, beweist der Mischer in der ersten zu flott angegangenen Kurve, wo er ganz dezent per ESP-Leuchte andeutet, dass der Fahrer der Kippgrenze schon sehr nahe kam.
DETROIT LIEGT AKUSTISCH GLEICH HINTER DER HÜTTE
Während das sinnvolle Mischer-ESP andere Fabrikate teils abrupt und ruppig einbremst, regelt es hier absolut dezent. Ebenso dezent unterbindet es bei engen Autobahnauffahrten zu schnelles Beschleunigen in der Kurve. Hier demonstriert Daimler einmal mehr seine hohe Kompetenz in Sachen Elektronik. Die hilft auch dem Motor beim Sparen - am Ende stehen auf der Landstraße ein günstiger Verbrauch von 32,5 Liter und auf der Autobahn 28,6 Liter im Display womit man unter vergleichbaren, sparsamen 8x4-Kippern liegt.
Der hinter der knappen S-Kabine etwas herausragende Motor rasselt im Leerlauf deutlich vernehmbar mit den spielfrei montierten Zahnrädern, die seine mechanische Steuerung übernehmen. Er gehört nicht unbedingt zu den Leisetretern. Dafür klingt er beim Ausdrehen durchaus so metallisch wie die verwandten US-Maschinen, was ein bisschen Detroit-Diesel-Bass in die kurze Hütte bringt. Die wurden wir außerdem mit einer Klimaanlage und einem Komfortsitz ausstatten, denn das Basisgestühl erfüllt zwar seine Aufgaben und lässt sich gut einstellen, doch gerade im Lendenwirbelbereich und in Sachen Seitenhalt wünscht man sich an einem langen Arbeitstag etwas mehr Unterstützung. Auch der Verstellbereich des Sitzes ist für große Fahrer bei der S genannten kurzen Kabine eben eher small, also klein.
VIELES ERINNERT AN DIE EHRWÜRDIGEN SK-MISCHER
Zumal das blattgefederte Fahrwerk auf noch höhere Reserven ausgelegt ist und selbst mit 31 Tonnen noch relativ robust federt. Die Einkreis- Lenkung beeindruckt das nicht: Selbst grobe Stöße dringen nicht bis an das Volant durch, das aus Sicherheitsgründen die üppigen 500 Millimeter Durchmesser aufweist. Mit Daimlertypischer Narbung und der Vierachser-bedingten indirekten Übersetzung erinnert das wohltuend an die alten SK-Mischer.
Um kantige Ecken muss man entsprechend viel kurbeln, dafür spreizen sich die Supersingles nicht so in die Kurven, und die schmalere 744er-Rahmenspur gibt sich auch deutlich weicher als das breite 834er-Kreuz. Einige Kompromisse wiegen also schwer in Daimlers Leichtgewicht. Dass er trotzdem auf die Testrunde ging, ehrt ihn daher umso mehr.