Der Wunsch nach einem dritten Kind löst in vielen Familien umfangreiche Diskussionen aus. Auch bei Daimler. Bei den Traktionsmodellen wünschten sich viele Kunden statt Permanent- und Zuschaltallrad einen hydraulischen Radnabenantrieb.
Nach Jahren des Bittens gab Daimler nach und brachte ein vergleichsweise zuverlässiges und teures System auf den Markt, das auf Knopfdruck funktioniert. Sobald auf weichem Boden die Traktion ausgeht und der Fahrer den "Hydraulic Auxiliary Drive" (HAD) aktiviert, mischt sich ein hydraulisches Jaulen in die kehlige Klangkulisse. Jetzt zieht die Vorderachse mit - und den Arocs aus dem Dreck ...
Über das System und sein Funktionieren wurde bereits viel geschrieben. Im Gegensatz zum Hydrodrive von MAN sitzt die Hochdruckpumpe am Nebenabtrieb. So steht auch während des Schaltvorganges die volle Zugkraft zur Verfügung.
DIE HYDRAULIK-SCHLÄUCHE SCHEINEN ZU HALTEN
Und weil die Hochdruck-Hydraulikschläuche auf Verdrehen extrem empfindlich reagieren, konstruierte Daimler sogenannte "Hydraulik-Drehverteiler" im Achsschenkel, die eben diese Verdrehungen der Schläuche beim Lenken und Einfedern unterbinden und vermeiden. Das soll frühzeitigen Verschleiß vermeiden - was in der Praxis weitestgehend zu gelingen scheint, wie uns HAD-fahrende Kollegen auf Facebook bestätigen (s. Kasten).
Nutzt man die angetriebene Vorderachse länger, versucht der Kühler die Temperaturen im Zaum zu halten. Droht trotzdem Überhitzung, schaltet das System ab. Dann endet auch die etwas unsouveräne Hydraulik-Lüfter-Klangkulisse, die für souveränen Vortrieb sorgt.
Vor dem Start geht's auf die Waage. Der HAD kommt auf rund 600 Kilo mehr als ein etwas knapper ausstaffierter 1845 LS mit kleineren Tanks. Für HAD allein schlagen laut Mercedes-Benz 350 Kilo extra zu Buche, den Mehrverbrauch beziffert man mit rund 1,5 Prozent.
BEIM VERBRAUCH GELINGT GAR EINE NEUE BESTMARKE
Das galt es im Kippertest zu überprüfen. Als "Referenz" diente der ähnlich konfigurierte Arocs 1845 4x2, der zwei Jahre zuvor unter gleichen Bedingungen die Testrunde absolvierte. Dafür benötigte er im Schnitt 30,05 Liter bei 68 km/h. Dass die Entwicklung bei Daimler nicht stoppt, stellte der neue Testwagen eindrucksvoll unter Beweis: Er begnügte sich mit 29,73 Litern, allerdings bei einem Schnitt von nur 66,4 km/h, womit die 1,5 Prozent Mehrverbrauch als realistisch angesehen werden dürfen. Eine weitere Verbrauchsreduktion dürfte der überarbeitete OM-471-Triebstrang samt überarbeitetem Powershift-Getriebe bringen. Auf dass der Sternenkipper seinem Ruf als "schwäbischer Sparmeischter" weiterhin gerecht wird. Dazu tragen auch die verfügbaren Services wie Uptime oder das dichte Service- und Werkstättennetz bei, das vor allem in ländlichen Gebieten von großem Vorteil ist.
Auch in Sachen Fahrbarkeit lässt der Arocs nichts anbrennen. Powershift wechselt die Gänge zügig und intuitiv und wer es drauf anlegt, kriegt den Wörther bei jeder möglichen Gelegenheit in den "Eco-Roll-Modus", bei dem er den Gang rauswirft und die Schubkraft des Gewichtes zu nutzen weiß. Kennt man die Strecke, kann man so kilometerlang "eco-rollen". Dann fördert die Einspritzpumpe im Gegensatz zum Schubbetrieb immer etwas Sprit, was laut Daimler durch den geringeren Rollwiderstand aber mehr als ausgeglichen werden soll. Andererseits bewirkt schon ein leichtes Antippen der Bremse oder Setzen des Bremsomaten, dass der Arocs in langen Gefällen nicht über Gebühr an Geschwindigkeit zulegt. Dabei hilft auch der Neigungswinkelmesser, der genau in solchen Passagen fast hellseherisch wieder einen Gang einlegt, ohne dass man den GPS-gesteuerten Tempomaten PPC bemüht.
Umgekehrt hält der Arocs die Gänge lang und verkneift sich unnötig hektisches Zurückschalten an Steigungen und Kuppen - wie man es auch manuell tun würde. In Sachen elektronischer Vernetzung beweist Daimler hier einmal mehr hohe Kompetenz.
MANCHERORTS WÄRE NOCH "LUFT NACH UNTEN"
Etwas Luft nach oben wäre noch bei Lenkung und Fahrverhalten, wo der Schwabe nicht an die satt liegenden Schweden herankommt. Dazu trägt auch das mit 600 Millimeter Aufsetzhöhe etwas hoch thronende Fahrerhaus bei: Nach wie vor will es erklettert werden. Außerdem liegt das Außenstaufach etwas (zu) hoch.
Da wäre also im Wortsinn noch Luft nach unten. Dafür hat Daimler jüngst die niedrig aufgesetzten Kabinen eingeführt; sie sind allerdings an den kleinen, rund 150 Kilo leichteren 10,7-Liter-OM 470 zwangsgekoppelt, der bis 456 PS und 2200 Newtonmeter Drehmoment hinaufreicht und damit eine Alternative zum Testwagen sein könnte. Ob das beim Verbrauch so viel ausmacht, steht im wahrsten Sinne des Wortes in den Sternen: Unter Last brauchen die "kleinen" Motoren erfahrungsgemäß so viel "Futter" wie die "großen".
Generell ist der Arocs mit Stahlstoßfänger und optionalem Baupaket gut auf den Alltag vorbereitet. Weniger gefallen die vergleichsweise leicht verschmutzenden Spiegel und ein Spalt im hinteren Teil des vorderen Kotflügels, durch den der Dreck bis hoch an die Aufliegerstirnwand spritzen kann, sowie die umständlich ausklappbaren Scheinwerfer. Dafür lässt sich das Motoröl unter der vorderen Serviceklappe nachfüllen und auch an die sonstigen Flüssigkeitsbehälter und Filter kommt man gut heran. Überdenken sollte Daimler seine riesige Abgasbox, die en bloc beifahrerseitig hängt und dort viel Platz braucht.
Bleibt am Ende festzustellen: Wie ein drittes Kind kostet HAD reichlich Geld, entschädigt aber mit geringem Mehrgewicht, günstigem Verbrauch und augenscheinlich ordentlicher Zuverlässigkeit. Insofern darf man Daimler zum späten Traktionsnachwuchs nachträglich gratulieren!