Diesen Vergleich dürfte es eigentlich gar nicht geben. Zumindest nicht nach der vom Volvo-Konzern ausgegebenen Order, dass der FH niemals gegen den Konzernbruder Renault T bei einem Lkw-Vergleich antreten wird. Schließlich soll möglichst keiner der beiden "Geschwister" benachteiligt werden. Weshalb wir umso spontaner zusagten, als uns der Nutzfahrzeug-Vermieter KLVrent die Möglichkeit für genau dieses Duell bot.
Technisch sind die beiden Kontrahenten bekanntlich ähnlicher, als man es von außen erahnen würde. Mit Volvos 13 Liter großem Sechszylinder - bei beiden Testfahrzeugen noch mit Pumpe-Düse-Einspritzung - arbeitet sowohl im FH als auch im T das gleiche Herz. Und auch das I-Shift-Getriebe stammt aus Schweden, lediglich die Abstimmung der Schaltbox durften die Franzosen selbst übernehmen. Doch dazu später mehr.
DER SECHSZYLINDER LEISTET IM RENAULT 20 PS MEHR
Um faire Bedingungen zu gewährleisten, wählten wir die populäre Leistungsklasse zwischen 450 und 480 PS. Bedeutet beim Volvo: 460 Pferdestärken und 2300 Newtonmeter Drehmoment (zwischen 1000 und 1400/min). Im Renault bringt es der hier "DTI13" genannte Reihensechszylinder auf 20 Pferdestärken und 100 Newtonmeter mehr Drehmoment (950 - 1400/min).
Beim Fahren ist von diesem kleinen Leistungsvorteil nichts zu spüren. In beiden Fällen verrichtet das Volvo-Aggregat seine Aufgabe souverän. Der Sechszylinder zieht bärig aus dem Drehzahlkeller und fühlt sich am wohlsten zwischen 1000 und 1400 Touren, wobei es auch weniger sein dürfen, ohne dass ihm gleich die Luft ausgeht. Allerdings agiert die Software beider Getriebe arg vorsichtig und schaltet in einigen Fällen sehr zögerlich in die höhere Fahrstufe. So zum Beispiel nach überwundenen Steigungen, wo in beiden Lkw die Hochschaltung erst weit hinter der Kuppe erfolgt. Auch bei Landstraßentempo 65 km/h verweigern beide Schaltungen den zwölften Gang, obwohl es der elastische Motor auch mit 40 Tonnen ohne Murren vertragen würde - zumindest in Kombination mit den in den Testwagen verbauten Hinterachsübersetzungen (Volvo: i=2,79; Renault: i= 2,64).
Wer - wie wir - den Ehrgeiz entwickelt, den letzten Tropfen Diesel einzusparen, muss im FH die Getriebesoftware des I-Shift etwas umständlich austricksen. Denn im Automatikmodus verweigert das Getriebe weiterhin das Hochstufen per Knopfdruck am Wählhebel. Daher muss dieser zunächst in den manuellen Modus gezogen werden, um den Knopf erneut zu drücken und endlich den ersehnten zwölften Gang zu erhalten. Geht man dann allerdings wieder zurück in den Automatik-Modus, erntet man umgehend die Rückschaltung in den elften Gang.
Einfacher geht' s bei der Optidriver-Schaltung im Renault: Hier genügt ein Tipp des rechten Lenkstockhebels, um die Hochschaltung auszuführen. Einzig die Tatsache, dass der Hebel dafür horizontal und nicht wie bei allen anderen Herstellern vertikal nach oben gedrückt werden muss, wird Renault-Neulinge verwirren. Mit diesem Manöver wechselt die Elektronik auch gleichzeitig in den manuellen Modus, holt sich ihre Hoheit aber ebenfalls nach einigen Sekunden zurück, was wiederum die Rückstufung in die elfte Fahrstufe zur Folge hat. Weshalb man sich Eingriffe nach einiger Zeit resignierend verkneift und beide Getriebe einfach machen lässt.
Da erfreut man sich lieber an den schnellen und sauberen Gangwechseln - in diesem Punkt setzt das Volvo-Getriebe nach wie vor den Maßstab. Das noch schneller schaltende, aber eben auch deutlich teurere Doppelkupplungsgetriebe, das Volvo optional für den FH anbietet, kann man sich nach unserer Meinung getrost sparen.
DIE VERSTÄRKTEN MOTORBREMSEN VERZÖGERN 40 TONNEN PASSABEL
Das Geld würden wir lieber in GPS-Tempomaten investieren, die in den beiden Vermietfahrzeugen aber nicht verfügbar waren. Die GPS-Systeme hätten auch bergab Vorteile gebracht, kämpfen aber ab und an mit Softwareupdates, die sie auf bestimmten Streckenabschnitten außer Gefecht setzen können. Ebenfalls nicht verbaut war in beiden Testwagen ein Retarder. Die 382 kW starken Motorbremsen - bei Volvo "Engine-Brake +", bei Renault "Optibrake" genannt - verzögern die 40 Tonnen passabel. Die Steuerung der kombinierten Auspuffklappen-Kompressionsmotorbremse schaltet im Gefälle umgehend einen Gang zurück, um bei 2300 Umdrehungen die maximale Leistung zu bieten. Auf diese Weise mussten wir lediglich in den steilen Gefällen der Testrunde gelegentlich beibremsen, um das eingestellte Bergabtempo nicht zu überlaufen.
Größere Unterschiede zwischen den beiden Konzern-Kontrahenten offenbaren sich beim Fahrverhalten. Dies ist auch ohne die optionale Einzelradaufhängung die Domäne des Volvo. Der Schwede bügelt Fahrbahnunebenheiten souverän glatt und liegt trotzdem satt und verbindlich auf der Straße. Selbst zügig genommene Kurven durchfährt das FH-Fahrwerk unbeeindruckt. Der fast sportlich zu nennende Gesamteindruck wird auch von der direkten Lenkung unterstützt, mit der sich der Volvo zielgenau dirigieren lässt.
Auch der Renault beweist fahrwerkstechnisch ein hohes Niveau, auch wenn er an den Volvo nicht ganz heranreicht. Die Lenkung empfanden wir eine Spur unpräziser um die Mittellage und die Hinterachse ließ ein paar mehr Schläge durch. Vor allem aber sorgt das weicher gelagerte Fahrerhaus, das sich in Kurven deutlicher zur Seite neigt als das des FH, dafür, dass man im Franzosen etwas vorsichtiger agiert als im Schweden.
NUR DER RENAULT KANN MIT EINEM EBENEN KABINENBODEN AUFWARTEN
Die Bewegung ist zum Teil aber der höher montierten T-Kabine geschuldet, denn eine der Voraussetzungen des Vergleichs war die je größtmögliche Kabine. Und das ist bei Renault die High-Sleeper-Cab mit ebenem Boden. Mit 1,64 Meter liegt der Kabinenboden sieben Zentimeter höher als beim FH, der mit dem Globetrotter-XL-Fahrerhaus antrat. Hier verbleibt im Inneren ein neun Zentimeter hoher Motortunnel. Ob der nun Vor- oder Nachteile zur Folge hat, ist sicherlich Geschmackssache. Die einen bevorzugen das bessere Raumgefühl des Renault, andere schätzen am Motortunnel, dass sich der Schmutz aus dem Fußraum nicht in der ganzen Kabine verteilt ...
Auf jeden Fall aber hat der höhere Einstieg des Renault zur Folge, dass "T-High"-Fahrer eine Stufe mehr zu überwinden haben. Womit das Kapitel Einstieg eigentlich an den Volvo gehen müsste. Das stimmt allerdings nur bedingt, denn beim FH fallen die unteren Trittstufen schmaler aus, es bleibt also weniger Platz zwischen Tür und Radlauf zum Einsteigen als beim Renault. Und auch Feinheiten wie der zusätzliche Haltegriff in der Mitte zwischen der vierten und fünften Trittstufe beweisen, dass die französischen Entwickler diesem Kapitel viel Aufmerksamkeit widmeten.
Und der Renault gefällt mit weiteren Ideen: Die Möglichkeit, den vorderen Teil des oberen Bettes aufstellen zu können und die Schlafstatt so zur sicheren Ablagemöglichkeit zu wandeln, ist ebenso einfach wie praktisch. Und warum hat eigentlich noch kein anderer Hersteller die beiden verschiedenen Tempomat-Modi kopiert? Vor allem Fahrer, die oft zwischen Autobahn und Landstraße wechseln, lernen es zu schätzen, die Geschwindigkeitsregelanlage nicht jedesmal umprogrammieren zu müssen. Ansonsten benötigt der T aber etwas Eingewöhnungszeit. Denn die Position vieler Schalter und Knöpfe geriet nicht unbedingt logisch und will erarbeitet werden. Das gilt im Besonderen für die auf der Lenkradunterseite versteckten Taster für den Tempomaten. Reine Spielerei ist unserer Meinung nach die Möglichkeit, die Schaltereinheiten des Armaturenbrettes nach eigenem Geschmack anordnen zu können.
Im Gegensatz zum eher konservativ aufgebauten Armaturenbrett beim Renault wirkt das des Volvo auch nach drei Jahren Bauzeit futuristisch und versprüht durchaus ein gewisses "Enterprise-Feeling". Im ersten Moment fühlt sich der FH-Neuling von den vielen Schaltereinheiten und den zwei integrierten Bildschirmen überfordert. Man durchschaut Volvos Bedienphilosophie aber recht schnell. Und die großzügige Lenkradverstellung über zwei Gelenke verdient das Prädikat "vorbildlich". So findet jede Statur eine passende Sitzposition, auch weil der Verstellweg des Fahrersitzes im FH größer ausfällt. Der Renault bietet hier und bei der Lenkradverstellung weniger. Eine passende Position lässt sich aber auch im T finden.
IN SACHEN BEWEGUNGSFREIHEIT MUSS SICH DER VOLVO GESCHLAGEN GEBEN
Der geschwungene und auf der rechten Seite tief gezogene Armaturenträger des Volvo sieht schön aus und verbessert die Sichtverhältnisse. Große Ablagen bietet er allerdings nicht. Einzig die lose "Gummiwanne" - Vogeltränke genannt - schafft gewisse Abhilfe. In diesem Kapitel bietet das Renault-Cockpit mehr. Ebenso beim Kühlschrank, der in beiden Modellen zwar ähnlich groß ausfällt, beim Volvo aber auf der rechten Seite verbaut ist und damit während der Fahrt schwierig erreichbar ist.
Nie ganz erschlossen hat sich uns die Tatsache, dass Volvo die maximal mögliche Kabinenlänge beim neuen FH nicht ausnutzte und hier wertvolle Zentimeter verschenkte. Nicht nur wegen des ebenen Kabinenbodens ist im T dadurch einfach mehr Platz, was man vor allem beim Stehen im Schulterbereich spürt. Um den Platz dort nicht zu sehr einzuengen, mussten die Volvo-Designer auf das mittlere Staufach oberhalb der Frontscheibe verzichten. Weshalb der T in den Fächern über der Frontscheibe mehr Platz bietet. Toll ist dafür das riesige Sonnendach im FH, das viel Tageslicht in die Globetrotter-XL-Kabine lässt und gleichzeitig im Falle eines Falles als Notausstieg dient.
Und wie lautet das Fazit des konzerninternen Vergleichs? In Sachen Antriebstrang vergeben wir aufgrund der nahezu identischen Technik ein Unentschieden. Beim Fahrverhalten geben wir eindeutig dem souveräneren Volvo den Vorzug. Bei Pausen und Übernachtungen kann dagegen die geräumigere Kabine des Renault punkten. Beim Franzosen wird den Chef der im Vergleich zum FH günstigere Anschaffungspreis interessieren, den er aber mit einem deutlich kleineren Servicenetz abwägen muss.
Bleibt noch, das Thema Image zu bewerten. Dass hier zurzeit eindeutig der Volvo die Nase vorn hat, ist kein Geheimnis. Mit der eigenwilligen Optik des Renault sowie dem eher kleiner werdenden Vertriebs- und Servicenetz können sich viele nicht anfreunden, was auch der aktuelle Renault-Marktanteil in Deutschland widerspiegelt. Allerdings: Diejenigen, die tatsächlich mit einem T unterwegs sind, sind zumeist von den Qualitäten des seltenen Franzosen überzeugt. Oft muss man den Dingen eben eine Chance geben.
RENAULT T
Der Unterschätzte
Der Renault hat' s nicht leicht in der Fahrergunst. Allerdings zu Unrecht. Mit dem großen High-Sleeper-Fahrerhaus bietet er mehr Lebensraum als der Volvo. Und auch bei Fahrverhalten, Lenkung und Komfort sammelt der Franzose gute Noten, kommt aber nicht ganz ans hohe Niveau des FH heran. Gewöhnung erfordert die an mancher Stelle eigenwillige Bedienung. Dafür gefällt der T mit guten Ideen wie zum Beispiel dem hochklappbaren Vorderteil des oberen Bettes, das so zur sicheren Ablage wird.
VOLVO FH 460
Die Fahrmaschine
Über technische Volvo-Schmankerl wie Doppelkupplungsgetriebe, elektronische Lenkung oder Einzelradaufhängung verfügte der Miet-FH nicht. Doch auch ohne diese teuren Optionen überzeugt der Schwede durch tadelloses Fahrverhalten. Auch die direkte Lenkung vermittelt guten Kontakt zur Straße. Ein weiterer Pluspunkt, den der Volvo sich aber mit dem Renault teilt, ist das schnell schaltende (I-Shift)-Getriebe. Der aufgrund des nach hinten versetzten Fahrerplatzes (was Volvo mit einer besseren passiven Sicherheit begründet) lange Armaturenträger kostet aber Platz in der Globetrotter-XL-Kabine.
TRUCKER-FAZIT
Der Renault hat' s nicht leicht
Gewährt der Chef die Wahl zwischen Renault und Volvo, werden die meisten Fahrer sicher instinktiv zum Schweden greifen - ohne beide Marken genau zu kennen. Warum? Weil der Renault ein Imageproblem hat. Das mag teilweise in der eigenwilligen Optik des T begründet sein, ist aber vor allem hausgemacht. Denn mit der Vertriebszusammenlegung von Volvo und Renault wurden viele Renault-Werkstätten geschlossen, Verkäufer und Ansprechpartner der Kunden ausgetauscht. So konnte der T nie richtig Fahrt aufnehmen. Auch wenn er technisch zu den modernsten Lkw auf dem Markt gehört und günstig zu haben ist.