Die Stimmen werden leiser, die allein wenn der Name Iveco fällt, kein gutes Haar an der italienischen Lkw-Marke lassen. Erfahrungsgemäß handelt es sich dabei nicht selten um Fahrer, die noch nie mit einem Stralis unterwegs waren.
Die, die einen aktuellen Iveco fahren, sind mit dem Italiener dagegen meist zufrieden und wissen, dass das "Pizzablech" mittlerweile einen Reifegrad erreicht hat, der sich vor der Konkurrenz längst nicht mehr verstecken muss. Darüber hinaus stehen die zwar vergleichsweise kleinvolumigen, aber trotzdem elastischen und kräftigen Cursor-Motoren bei den Fahrern hoch im Kurs (siehe auch die Facebook-Kommentare zum Stralis auf Seite 26).
DER CURSOR 11 BIETET IM VERGLEICH EINEN GERINGEN HUBRAUM
Wobei die 420 PS der schwächsten Einstellung des 11,1 Liter kleinen Cursor 11, der unseren Stralis-XP-Testwagen antreibt, zunächst nach wenig Fahrspaß klingen. Auch das maximale Drehmoment von 2000 Newtonmetern ist in dieser Leistungsklasse eher durchschnittlich. Dafür ist es aber schon ab frühen 870 Touren voll abrufbereit.
Diesen Drehzahlbereich meidet die serienmäßige ZF-Traxon-Schaltautomatik allerdings konsequent. Und das hat seinen Grund, denn der Reihensechszylinder reagiert auf eine niedertourige Fahrweise mit hohen Vibrationen. In Verbindung mit der langen 2,64er-Hinterachse des Testwagens liegen bei Reisetempo 85 km/h drehzahlschonende 1100/min an, bei denen der Cursor noch leise und unauffällig vor sich hin werkelt. Fällt an leichten Steigungen die Drehzahl aber nur um weitere 50 Touren, durchziehen plötzlich laute Dröhngeräusche die Stralis-Kabine und der Motor entwickelt Vibrationen, die man bis ins Lenkrad spürt.
Weshalb das Traxon-Getriebe vom Zulieferer ZF dem Treiben spätestens bei 1020 Touren per Rückschaltung ein Ende setzt und den Common-Rail-Sechszylinder in den Bereich um 1300/min bringt, wo er wieder kultiviert läuft und naturgemäß mehr Leistung bietet, denn knapp 370 PS wirken dann auf die Hinterachse. Genug, um die 32 Tonnen schwere Testfuhre angemessen schnell in Richtung Kuppe zu befördern. Seinem Ruf nach hoher Zugkraft wird damit auch der kleine 420er gerecht, denn er verlor auf den Messbergen, allen voran dem langen Kindinger Berg auf der A 9 nur drei Sekunden auf den um 60 PS stärkeren 480er-Stralis, der im Euro-Truck-Vergleich die gleiche Transportaufgabe zu bewältigen hatte (siehe TRUCKER 2/2017).
Anders als der stärkere Bruder, bei dem Iveco einen kleinen Teil der Abgase in den Brennraum zurückleitet, bringt es die schwächere Einstellung durch die sogenannte Hi-SCR-Technik ohne Abgasrückführung auf die Euro-6-Norm. Dem Fahrer kann's recht sein, denn er spürt beim Fahren keinerlei Unterschied. Dem Chef soll die Abgastechnik laut Iveco aber einen besonders niedrigen Verbrauch bescheren.
Dazu trägt ebenfalls der GPS-Tempomat bei, der die kinetische Energie der 32 Tonnen für ausgedehnte Rollphasen nutzt. Zwischen nicht weniger als neun verschiedenen Eco-Programmen mit Hysteresen von +2/-3 bis +10/-3 km/h kann der Fahrer neuerdings wählen. Zumindest letztere ist nur etwas für Fahrten im südeuropäischen Ausland. In heimischen Gefilden empfehlen wir wie immer das vierte Programm mit +5/-5 km/h. Ganz so fein auf die Topografie abgestimmt, wie man das von der Konkurrenz kennt, ist Ivecos GPS-System allerdings nicht. Mitunter scheint sich die Elektronik zu verrechnen, geht vor Kuppen zu früh vom Gas und muss dann durch einen zusätzlichen Gasstoß verhindern, dass der XP nicht die untere Hysterese unterläuft. Auch aufs "Angasen" vor Steigungen verzichtet das Iveco-System, wodurch an Steigungen schneller verbrauchstreibend zurückgeschaltet werden muss.
Nicht die schlechteste Strategie ist dagegen, dass Iveco seinen Topgrafie-Tempomaten bergab mehr auf Tempo als den letzten Tropfen Dieseleinsparung getrimmt hat. In manchen Gefällen der Testrunde wählte die Elektronik nämlich den Neutralmodus, anstatt den XP gänzlich ohne Verbrauch per Schubabschaltung im zwölften Gang talwärts rollen zu lassen. Und das, obwohl der Zug so schnell das eingestellte Höchsttempo von 90 km/h erreicht und der Retarder eingreifen muss. Das mag zwar ein paar Zehntel Diesel kosten, dafür erhofft sich Iveco aber eine höhere Akzeptanz bei den Fahrern, das System nicht zu deaktivieren, weil der Lkw nach Kuppen schneller wieder auf Tempo kommt.
IVECO VERZICHTET BERGAB AUF EINE ÜBERLAUFFUNKTION
Ein dickes Lob gebührt den Programmierern dafür, dass sie - anders als viele Wettbewerber - nicht auf Kosten des Fahrers Diesel sparen. Der Stralis hält auch am Ende von Gefällen brav Tempo 90 und überschreitet eben nicht das eingestellte Maximaltempo bewusst um einige km/h, um mehr Schwung mit in die Ebene zu nehmen und den letzten Zehntel Diesel einzusparen.
Nach wie vor ohne Tadel ist das ausgewogene Stralis-Fahrwerk. Erst recht, weil man im Rahmen der letztjährigen Modellpflege nochmals Hand an die Achsaufhängungen und den hinteren Stabi legte, bietet der Stralis einen sehr guten Kompromiss aus Komfort und Fahraktivität. Gut dazu passt auch die direkte Steuerung, der wir ebenfalls gute Noten geben, und die Tatsache, dass der Stralis-Kabine kaum ein Wackeln oder Nicken zu entlocken ist.
Dass sich Letztere mittlerweile im fortgeschrittenen Alter befindet (den Rohbau verwendet Iveco seit 2002), ist im Inneren dafür an mancher Stelle zu spüren. Die breiten Fensterstege der Seitenscheiben irritieren beim Blick in die Rückspiegel, deren Gehäuse in ihrer Größe vergleichsweise klein ausfallen. Auch beim Verstellbereich von Sitz und Lenkrad bieten andere Hersteller mittlerweile deutlich mehr und der Stralis gehört nach wie vor zu den Lkw mit einer lauteren Geräuschkulisse.
Kritik, mit der Iveco sicher mit der für 2018 avisierten überarbeiteten Kabine aufräumen wird. Dann werden die Italiener wahrscheinlich auch eine Fahrerhausvariante ohne Motortunnel anbieten können. Die Platzverhältnisse im Stralis fallen trotzdem großzügig aus und an kleine Verarbeitungsmängel, wie die stets mit einem lauten Quietschen öffnenden Seitenfenster, gewöhnt man sich mit der Zeit.
SPARSAM UND AUSREICHEND SCHNELL AUF DER TESTRUNDE UNTERWEGS
Und wie schlägt sich der kleine Italiener bei der Wirtschaftlichkeit? 25,6 l/100 km bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 79,05 km/h genehmigte sich der 420er auf der genormten TRUCKER-Testrunde. Damit schiebt er sich derzeit auf einen guten dritten Platz in unserer Verbrauchswertung (siehe Grafik auf Seite 30). Nebenbei distanzierte er den um 60 PS stärkeren Stralis XP 480 deutlich, der lediglich 0,3 km/h schneller unterwegs war, sich aber über einen halben Liter mehr Sprit pro 100 km gönnte.
Womit sich das bekannte Sprichwort wieder einmal bestätigt: Manchmal kann weniger eben doch mehr sein.