Der Fahrer wird entmündigt, sein Können ist nicht mehr gefragt. Eigentlich ist er überflüssig. Diese Äußerungen hört man immer wieder im Zusammenhang mit Fahrerassistenzsystemen. Auf umso mehr Skepsis trifft man beim Thema autonomes Fahren, wie es Daimler Trucks jetzt mit dem Future Truck 2025 präsentiert hat. "Wir führen in diesem Fahrzeug unsere Assistenzsysteme zu einem integrierten Gesamtsystem zusammen", erklärte der Vorstand Daimler Trucks & Buses, Wolfgang Bernhard, während der Vorstellung des neuen Wunder-Trucks auf einem Teilstück der A14 in der Nähe von Magdeburg.
DIE TECHNIK MACHT DEN MENSCHEN ÜBERFLÜSSIG
Als Kombination aus Radarsensoren an Front und Seite, einer Stereokamera hinter der Windschutzscheibe und dreidimensionalen Karten lenkt der "Highway Pilot" den LKW der Zukunft. Ergänzt wird das System durch die Kommunikation zwischen dem LKW und anderen Verkehrsteilnehmern sowie dem LKW und der Verkehrs-Infrastruktur.
Während der Highway Pilot aktiv ist, kann der Fahrer - wie im Test-LKW eindrucksvoll präsentiert - seinen Sitz um 45 Grad nach rechts drehen und in Ruhe den nächsten Parkplatz reservieren, sich über Verkehrsbehinderungen informieren, sich mit der Be- oder Entladestelle in Verbindung setzen, Aufträge quittieren oder Abrechnungen erledigen. Falls erforderlich, ist es ihm nach Daimler-Vorstellung jederzeit möglich, ins Geschehen einzugreifen.
"Der LKW-Fahrer wird zum Transportmanager. Der Fahrer kann während seiner Fahrzeit Büro- und Abrechnungsarbeiten erledigen", entgegnet Wolfgang Bernhard der Befürchtung, der Fahrer werde überflüssig. Der selbstfahrende LKW lasse das Berufsbild des LKW-Fahrers attraktiver werden und wirke so dem Fahrermangel entgegen, so die Überzeugung des Nutzfahrzeugchefs. Doch nicht nur das Berufsbild des Fahrers wäre durch die Möglichkeiten des autonomen Fahrens betroffen.
BESSERER BERUF, WENIGER UNFÄLLE, MEHR VERKEHR
"Wir erwarten von den neuen innovativen Technologien, dass sie die Verkehrssicherheit erhöhen, Unfälle vermeiden, den Verkehrsfluss verbessern und so die Infrastruktur besser nutzbar machen, Emissionen und CO2 vermeiden sowie Kraftstoff einsparen", erklärte Staatssekretärin Katherina Reiche im Rahmen der Daimler Zukunftsveranstaltung. Die Vertreterin des Bundesverkehrsministeriums (BMVI) geht davon aus, dass sich durch das autonome Fahren das traditionelle Bild des Straßenverkehrs nachhaltig ändern wird. Deshalb unterstützt ihr Ministerium dieses Thema und hat unter anderem einen runden Tisch zum automatisierten Fahren eingerichtet. Hier arbeitet man an zentralen rechtlichen, gesetzlichen und gesellschaftspolitischen Fragen. Mit ersten Ergebnissen rechnet Reiche bereits Ende des Jahres.
Es gebe im Zusammenhang mit dem automatisierten Fahren viel zu diskutieren, so Bernhard. "Es geht um die gesellschaftliche Akzeptanz und auch um rechtliche Regularien, die geändert werden müssen", betonte der Daimler-Nutzfahrzeugchef. Erste Schritte sind gemacht, indem die Wiener Straßenverkehrskonventionen ergänzt wurden.
Die Konventionen besagen, dass der Fahrer sein Fahrzeug jederzeit und unter allen Umständen beherrschen muss. Auf ihrer Basis gestattet die UN/ECE-Regelung R 79 kein automatisches Lenken bei Geschwindigkeiten über zehn Stundenkilometer. Künftig sollen solche Systeme jedoch zulässig sein, wenn sie jederzeit vom Fahrer abgeschaltet oder übersteuert werden können. Die USA haben die Wiener Konventionen nicht unterzeichnet. In einigen Bundesstaaten fahren deshalb bereits Fahrzeuge autonom im Testbetrieb.
Auf diese Möglichkeit hofft auch Daimler und treibt die Entwicklung von seiner Seite aus voran: "Wir werden technisch alles dran setzen, dass dies Realität wird. Die S-Klasse hat im PKW-Bereich gezeigt, dass es möglich ist. Wir werden das auch im LKW-Bereich beweisen", stellte Bernhard in Aussicht. Wenn die gesetzlichen Rahmenbedingungen für autonomes Fahren zügig geschaffen würden, sei eine Markteinführung des Highway Pilot Mitte des kommenden Jahrzehnts vorstellbar, erläuterte Bernhard den Zeitplan.
HOMOGENER VERKEHRSFLUSS FÜR MEHR EFFIZIENZ
Als positiven Effekt für die Transportunternehmen nennt er neben den Effizienzvorteilen durch einen homogeneren Verkehrsfluss Kraftstoffeinsparungen von bis zu fünf Prozent. Weniger Staus, weniger Unfälle und eine höhere Verfügbarkeit der Fahrzeuge stehen außerdem auf der Habenseite des autonomen Fahrens und der Vernetzung der Fahrzeuge.
Im Umkreis von 500 Metern informieren sich die Fahrzeuge gegenseitig über ihre Bewegungen und können sofort vorausschauend darauf reagieren, beispielsweise beim Einfädeln von Fahrzeugen auf die Autobahn oder ein herannahendes Stauende. Die durchschnittliche Transportgeschwindigkeit wird durch den besseren Verkehrsfluss erhöht, der homogenere Verkehr spart Kraftstoff.
Während der Demonstration bei Magdeburg war der Future Truck 2025 noch mit Erlkönig-Beklebung und im Cockpit durch einen kaschierenden Überwurf getarnt. Daimler kündigt an, in der Fahrerkabine einen komfortablen und funktionellen Arbeitsplatzbereich für die Phase des autonomen Fahrens darzustellen. Zu sehen sein wird er wahrscheinlich zum ersten Mal während der IAA Nutzfahrzeuge in Hannover. Hier soll das Thema autonomes Fahren auf dem Messestand von Daimler eine wichtige Rolle spielen. Das Unternehmen wird den in Magdeburg vorgestellten Actros in einem weiteren Entwicklungsschritt präsentieren und die vollständige Studie des Future Truck 2025 enthüllen.
Für den Fahrer stellt sich der LKW der Zukunft anders dar, als bisher gewohnt. Die entscheidende Anzeige leuchtet unmittelbar nach dem Anfahren auf: "Highway Pilot verfügbar" steht dann im Display. Der Fahrer aktiviert das System, dann lässt er das Lenkrad los - "Highway Pilot aktiv" signalisiert die Anzeige. Der Zug fährt weiter mit gewünschter Geschwindigkeit. Dann macht man es sich bequem und streckt die Beine aus. Stau, Seitenwind, ein sich näherndes Einsatzfahrzeug - alles egal. Der Highway Pilot hat alles fest im Griff, zumindest auf der Autobahn.