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Trucking in Kurdistan: Auf Öl gebaut

11.07.2016 08:00 Uhr
Trucking in Kurdistan: Auf Öl gebaut
Die Region Kurdistan liegt im Nordirak, grenzt an die Türkei und den Iran
© Foto: Richard Kienberger

Eigentlich hätte die autonome Region Kurdistan alle Voraussetzungen gehabt, um ein kleines Erfolgsmodell im Nahen Osten zu werden. Doch dann kam im vergangenen Jahr die Ölkrise und brachte die Wirtschaft in der irakischen Provinz gewaltig ins Schlingern. Viele Bewohner Kurdistans sehen seitdem mit großer Sorge in die Zukunft.

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Im Auge des Hurricans ist es ruhig. Sagt man jedenfalls. Die autonome irakische Provinz Kurdistan war so etwas wie das Auge eines Wirbelsturms: eine vergleichsweise ruhige und sichere Gegend mit einer Boomtown, in der die Wolkenkratzer und die Erwartungen der Menschen in die Höhe schossen. Umgeben von den notorischen Unruheherden des Nahen Ostens - doch gesegnet mit dem Saft, nach dem vor allem die Industrienationen gieren. Und der sich jetzt als der Fluch Kurdistans erweist.

Seitdem die reichen Ölscheichs rund um den Golf begonnen haben, den Markt mit billigem Öl zu fluten, schlittern einige Länder oder Regionen in existenzbedrohende Krisen. Weil deren Wohlergehen fast nur vom Öl abhängt. Bei uns freuen sich Transportunternehmer und Autofahrer über die niedrigen Treibstoffpreise. Doch kaum jemand denkt dabei daran, dass die zum Beispiel in Mexiko, Venezuela oder in Kurdistan genauso wie in Ländern wie Schottland und Norwegen zu spürenden Folgen mittelfristig negative Auswirkungen auf ganz Europa haben dürften.

FALLENDE ÖLPREISE HEISST STILLSTAND IM GANZEN LAND

Lange Zeit war Erbil eine von vielen Provinzstädten im Irak. Mit einer langen Geschichte, aber wirtschaftlich unbedeutend (s. Kasten). Das änderte sich nach dem Irakkrieg, als Kurdistan eine der wenigen stabilen Regionen in der Region wurde. Plötzlich wollten alle nach Erbil: Die ausländischen Ölfirmen, Investoren, die internationalen Hotelkonzerne und alle möglichen anderen Geschäftemacher ließen sich von dem Goldrausch anstecken - nur dass das Gold diesmal schwarz, übelriechend und flüssig war.

Erbil explodierte geradezu, die Einwohnerzahl verdoppelte sich innerhalb von rund zehn Jahren auf inzwischen geschätzt eineinhalb Millionen (nach dem Auftauchen von ISIS kamen noch zahlreiche Binnenflüchtlinge dazu). Ebenso explodierten die Preise, zum Teil übertrifft das Niveau der Mieten und Lebensmittelpreise in Kurdistan mitteleuropäische Verhältnisse.

In der Downtown von Erbil rollt der Verkehr zwar noch über die diversen Ringstraßen, doch vielerorts sieht die Kurdenmetropole heute aus wie schockgefrostet, erstarrt an einem beliebigen Arbeitstag: Baustellen sind dicht gemacht, Betonskelette, in denen allenfalls ein Wachmann mit seiner Kalaschnikow, aber kein Bauarbeiter zu sehen ist, trotz des schneidenden Winterwindes. Ganze Stadtviertel mit klingenden Namen wie Floria City kommen seit Monaten nicht über das Stadium halbfertig hinaus. In der Ghazna Road, in der viele der Ölfirmen und eine endlose Zahl von Subunternehmen und Servicebetrieben ihre Lager aufgeschlagen haben, stehen sich die Wachleute die Beine in den Bauch, ohne die Tore zu den Lagerhäusern und Yards allzu oft aufmachen zu müssen. Trucks parken dicht an dicht, es gibt nichts zu transportieren. Einige Betriebe haben schon aufgegeben, sind möglicherweise weitergezogen zu lohnenderen Claims. Von Sky Drilling Systems, Eastern Eye oder RSA Logistics sind nur noch leere Höfe und leere Hallen und die Firmenschilder geblieben.

Die Rechnung ist einfach: Für das Öl auf den Feldern in Kurdistan liegt die Schmerzgrenze bei 25 Dollar pro Fass, darunter ist kein Profit zu machen. Im Winter wurde das Schmiermittel der Weltwirtschaft für unter 15 Dollar gehandelt. Folglich hörten die Ölfirmen irgendwann auf, das Öl aus der Tiefe zu pumpen. Seitdem leidet die Region. John Charles McKay wirkt, als könnte ihn nichts so schnell beunruhigen. Doch der Schotte ist als Maintenance Manager momentan hauptsächlich damit beschäftigt, die Truckflotte seines Arbeitgebers Energy Logistics zu reduzieren, Fahrer zu entlassen oder ihre Arbeitszeit zu verkürzen - und darauf zu hoffen, dass es in nicht allzu ferner Zukunft wieder aufwärts gehen wird. Energy Logistics ist eine der Flotten, die sich auf den Transport von Equipment spezialisiert hat, das auf den Ölfeldern benötigt wird. Also Rigs (die Bohrtürme) und die dazugehörige Peripherie ebenso wie Versorgungsmaterial, zum Beispiel Diesel für die Generatoren.

DIE KILOMETERLEISTUNGEN HALTEN SICH IN GRENZEN

In besseren Zeiten umfasste die Flotte der Firma, die trotz des englischen Namens in kurdischem Besitz ist, 34 Trucks, die meisten von MAN und Scania. "Das größte Problem im Irak," berichtet McKay, "sind die Reifen und alle Teile, die irgendwie mit dem Kraftstoff zu tun haben. Denn die Dieselqualität ist hier unvorstellbar schlecht." Das Land sitzt auf gigantischen Ölreserven, verfügt aber nur über Treibstoff, der bei manchen Firmen in Verbindung mit der Sommerhitze - das Thermometer erreicht nicht selten die 50-Grad-Marke - die Ölwechselintervalle auf unter 5000 Kilometer drückt.

"Wir wechseln das Öl nach 10.000 Kilometern. Aber die Dieselfilter und die Patronen in den Wasserabscheidern müssen wir schon vorher tauschen, die halten selten länger als 3000 Kilometer", erzählt der Flottenmanager. Das sei auch der Grund dafür, warum im Irak nur Fahrzeuge mit Motoren zum Einsatz kommen, die man auf Euro 2 "herunterdrehen" kann. "Ein Euro-6-Motor würde hier keine Woche laufen", schätzt der Praktiker. Was die Fahrer von Energy Logistics angeht, hat McKay eine sympathische Meinung: "If you pay peanuts, you'll get monkeys."

Frei übersetzt bedeutet das, dass man für schlechtes Geld keine guten Fahrer erwarten kann. Bei Energy Logistics bekommen die Trucker ein Fixum von rund 1000 Dollar (die Zweitwährung in Kurdistan), obendrauf kommen das Tourengeld, das sich nach den gefahrenen Kilometern richtet, und Spesen. In guten Monaten reicht das für 2000 Dollar netto. Da die Straßen schlecht sind und die Größe der autonomen Region überschaubar, sind die Kilometerleistungen nicht mit europäischen Verhältnissen vergleichbar. Die meisten Fahrzeuge kommen pro Monat nicht über 5000 Kilometer. "Aber wenn ein Truck von Erbil nach Sulaimaniyya fährt, das sind rund 150 Kilometer, dann bekommt er da so viele Schläge ab wie in Deutschland auf 15.000 Kilometern," meint der Mechaniker der MAN-Werkstatt in Erbil.

Dort treffen wir auch Abdulmajid Ahmed, einen der Mitarbeiter von Energy Logistics. Er ist seit 1990 Lkw-Fahrer und seit fünf Jahren bei der Service-Flotte angestellt. Mit seinem Job ist der 57-jährige Kurde rundum zufrieden: "Es ist eine gute Arbeit." An den vielen Checkpoints von Polizei und Peshmerga (das kurdische Militär) gebe es eigentlich nie Probleme und wenn unterwegs an Truck oder Trailer etwas zu machen ist, weiß sich der Routinier selbst zu helfen.

Für irakische Verhältnisse mehr oder weniger normal, für Europäer erstaunlich sind die Familienverhältnisse des Fernfahrers: Er hat es trotz seines Lebens auf der Straße geschafft, mit seiner Frau zehn Kinder zu zeugen. "Die sind alle von Allah gesegnet, Hamdullah. Sie haben gute Berufe, einer ist zum Beispiel Ingenieur, ein anderer Arzt geworden."

Abdulmajid lebt mit vier seiner Kinder und deren Familien unter einem Dach: "Du musst mal an einem Freitag vorbeikommen. Da sind wir 22 Leute, es ist wunderbar." Eine kurdische Familienidylle also, die der Trucker mit seiner Arbeit geschaffen hat.

Im Gegensatz zu seinen türkischen Kollegen, die nicht weit vom Energy-Yard halb in einem Feld neben der Ghazna Road parken, kommt Abdulmajid Ahmed mit seinem MAN nicht ins Ausland. Was daran liegt, dass die Türkei eine protektionistische Regelung eingeführt hat: Irakische Lkw dürfen nicht in das Nachbarland fahren. Also kommen für grenzüberschreitende Transporte nur türkische Transport- oder Logistikunternehmen infrage.

EINE CLEVERE VORSCHRIFT SICHERT DEN TÜRKISCHEN FAHRERN IHR GESCHÄFT

Die türkischen Kurden verladen in Erbil Ausrüstungen von den Ölfeldern auf ihre Lkw, die dann über den Hafen von Mersin nach Deutschland verschifft werden. An der Grenze hätten sie keine Probleme, berichten die Fahrer beim süßen Morgentee in der klirrenden Kälte. Was wohl nicht immer so ist. Als die Türkei kürzlich einen der meist befahrenen Übergänge zwischen der irakischen und der türkischen Kurdenregion dicht machte, stauten sich die Trucks auf der südlichen Seite der Grenze 50 Kilometer lang.

Alte Fahrzeuge haben im Nahen Osten ja eine lange Tradition. In der Region Kurdistan sind die Flotten aber für dortige Verhältnisse vergleichsweise jung, was an den Vorschriften liegt. Richtige Oldies dürfen gar nicht erst eingeführt werden. Alte Scania mit der eckigen Haube, Volvo F12 bzw. F16 sowie Mercedes SK oder die MAN-Baureihen vor der TGA-Serie sind eine Seltenheit.

Wenn am Straßenrand ein Uralt-Vehikel parkt - vielleicht sogar eines aus einer amerikanischen Truckschmiede - trägt es häufig ein iranisches Nummernschild. Zwar sind die offiziellen politischen Beziehungen zwischen der Regierung der Autonomen Region Kurdistan und Teheran nicht sonderlich gut, aber wenn es um gute Geschäfte geht, drückt man schon einmal ein Auge zu.

EIN GANZES STADTVIERTEL LEBT VOM RECYCLING AUSGEDIENTER TRUCKS

Oldtimer und Geschäfte - von dieser Kombination lebt in Erbil ein ganzes Stadtviertel. Ein einzigartiger Mikrokosmos ist das, in dem alles zu Geld gemacht wird, was an einem Lkw nach einem langen Leben auf der Straße nicht zu Rost und Staub zerfallen ist. In einer Ecke stapeln sich alte Sitze, in einer anderen Schmutzfänger und Plastikverkleidungen. Es gibt Spezialisten für Elektronik-Bauteile, für Motoren, Getriebe, Tanks und halbe Fahrerhäuser.

Khalid ist einer der vielen Händler in dieser Recyclingoase. Er weist seines Mitarbeiter an, eine alte Lkw-Plane zurückzuschlagen; unter ihr kommt eine Reihe betagter Mercedes V-Motoren zum Vorschein. 2000 Dollar bekomme er für die Triebwerke noch, behauptet Khalid stolz. Ein Kenner der Szene erzählt später, in Kurdistan seien die alten Aggregate praktisch unverkäuflich. Doch im Süden des Irak gibt es wohl noch zahlreiche Rundhauber aus den Siebzigern und da bestehe durchaus Bedarf nach solchen Raritäten. Ein paar Straßenzüge weiter hat ein anderer Ausschlachter das Spezialgebiet Scania-Achsen. 5000 Dollar will er angeblich für eine Doppelachse. 5000 Dollar dafür? "Die ist doch noch neu," entgegnet der Besitzer des Ladens lachend. Vor allem Achsen mit schnellen Übersetzungen seien gefragt. In Europa wäre die Berufsbezeichnung des Mannes Schrotthändler und das, was er in seinem Hof gesammelt hat, höchstens zum Kilopreis als Altmetall loszuschlagen.

In Kurdistan ist das, Inshallah, ein wertvolles Ersatzteillager.

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