Die Mongolei ist eines der extremsten Länder der Erde. Unendliche Steppen und Sandwüsten treffen auf hohe Gebirge und lange, bis zu -50 Grad kalte Winter auf kurze heiße Sommer. Zwischen Juni und August überziehen oft heftige Niederschläge das Land, das fünf Mal so groß ist wie Deutschland. Dann werden kleine Flüsse zu reißenden Strömen und trockene Erde verwandelt sich in erbarmungslosen, zähen Morast.
Dabei durchzieht nur eine einzige, durchgehend geteerte Straße das riesige Land. Die restlichen Strecken sind ein unerklärlicher Mix aus schlechten Teerstücken, brutalen Überlandpisten, maroden Brücken und oft schwierigen Wasserdurchfahrten. Wer unter solch extremen Bedingungen mit dem Lastwagenfahren seinen Lebensunterhalt bestreitet, muss ein absoluter Profi sein. So wie Berikbol, kurz Birk genannt, und sein Mechaniker Octiabor. Gerade stehen die beiden Mongolen mit ihrem Lkw am Tolbo- See und reparieren ihren Truck, einen chinesischen Mercedes-SK Lizenznachbau der Marke Beiben. Vor einer halben Stunde haben sie festgestellt, dass am Anhänger eines der Zwillingsradpaare samt Bremstrommel fehlt. Da war Umdrehen angesagt und Suchen. Wenig später waren die Räder gefunden - einträchtig in der Steppe stehend, hundert Meter neben der Hauptpiste.
Wer Birk und Octiabor beim Reparieren beobachtet, erlebt ein perfekt eingespieltes Team. Fast wie in einem Ballett arbeiten die beiden drahtigen Männer zusammen. Als ob eine Choreografie abläuft, die schon Hunderte Male durchexerziert wurde. Eine dreiviertel Stunde später sitzen beide Räder wieder fest auf der Nabe. Höchstens zehn Worte wurden dabei gewechselt. Der Rest ist hochkonzentrierte, professionelle Arbeit. Irgendwie erinnert dieses disziplinierte Vorgehen an das Schagain Charval, das Knöchel-Schießen. Das Spiel gilt in der Nomadenkultur der Mongolen als höchster Ausdruck von Selbstbeherrschung und Konzentration. Dabei schnippen Spieler eine flache Scheibe mit dem Finger über eine Holzschiene in Richtung eines Kastens. Ähnlich wie beim Kegeln müssen dort kleine Knöchelchen getroffen werden. Die Spieler sind dabei in tiefer Versenkung und scheinen nur sich, die flache Scheibe und das Ziel wahrzunehmen.
MIT 50 TONNEN DURCHS KIESBETT: OHNE ALLRAD WIRD DAS ZUM PROBLEM
Nach der Reparatur lenken Birk und Octiabor ihren Lkw wieder Richtung Urumtschi, der Hauptstadt der Provinz Xinjiang im Nachbarland China. Dort wollen sie Zement für ihre Heimatstadt Ulgii im Westen der Mongolei laden. 1400 Kilometer werden sie bis dahin mit dem leeren Lkw zurücklegen - zunächst auf Pisten, später auf Asphalt. Doch jetzt steht ihnen erst einmal die anspruchsvolle Strecke über den 2700 Meter hohen Buraatyn Pass bevor. Auf der Bergpiste ist ein Bach mit einem hundert Meter breiten Kiesbett, das gekreuzt werden muss, die größte Herausforderung. Regelmäßig wird es Lastwagen zum Verhängnis. Auch an diesem Tag blockiert wieder ein Lkw die Passage. Fünfzig Tonnen Gesamtgewicht haben die beiden Antriebsachsen des Sattelzuges bis zu den Radnaben in den Kies gedrückt. Da hilft auch die Schaufel nichts, die der Fahrer schwingt, um die Räder aus der Umklammerung der Steine zu befreien. Da ständig Wasser nachfließt, sinkt der Lastwagen beim Schaufeln und bei jedem Anfahrversuch nur noch tiefer ins Sediment.
Kollegialität und Hilfsbereitschaft wird unter mongolischen Fahrern großgeschrieben. Deswegen greifen Birk und Octiabor auch gleich zum Abschleppseil, legen den Havaristen an die Leine und starten den SK. Doch mehr als durchdrehende Räder bringen sie bei ihrer Bergeaktion nicht zuwege. Der Lastwagen sitzt einfach zu fest. "Der Kollege muss jetzt auf einen Schaufellader warten, der ihn aus dem Kiesbett zieht!" erklärt Octiabor. In zwei, höchstens drei Tagen wird er seine Fahrt vermutlich wieder aufnehmen können. So lange kann es dauern, bis schweres Gerät von einer der weit entfernten Baustellen angereist ist. Für den Fahrer des havarierten Fahrzeuges scheint das kein größeres Problem zu sein. "Warum auch?" meint Birk. "Eine Lösung ist in Sicht und Verpflegung und Unterkunft wird er in einer Jurte finden, die Mongolen an der Furt errichtet haben."
Inzwischen ist ein weiterer Lkw, ein 375er Howo aus chinesischer Fabrikation, auf der Passhöhe eingetroffen. Gefahren wird der Truck, in dem viel Technik der Marke Steyr steckt, von Ejanbuk, einem Mongolen kasachischer Herkunft. Auch sein Ziel ist Urumtschi. Ab jetzt fahren die beiden Lkw gemeinsam weiter, passieren das Kiesbett ohne Probleme und holpern wenig später auf zerfurchter Trasse an den Rändern einer sumpfigen Ebene entlang. Der Untergrund ähnelt trockenem Ackerboden. "Würde es jetzt regnen, müssten wir uns hier durch Schlamm kämpfen", erklärt Ejanbuk. "Angenehmer ist es im Winter, wenn der Frost den Untergrund verfestigt. Dann können wir mit den Lastwagen sogar quer durch den Sumpf fahren!"
WANN DIE ASPHALTSTRASSE GEBAUT WIRD, IST HÖCHST UNGEWISS
Wann über den Pass endlich eine Asphaltstraße gebaut wird, ist ungewiss. In den Jahren des Wirtschaftsbooms von 2010 bis 2012 wurden im ganzen Land Strecken mehr oder weniger wahllos asphaltiert. Diesen unter Fahrern berüchtigten Abschnitt scheint man aber vergessen zu haben. Jetzt fehlt das Geld, den Ausbau weiter voranzutreiben.
Dennoch waren die fetten Wirtschaftsjahre für die mongolische Transportbranche zunächst gute Jahre. Wer konnte, hat in Kohletransporte nach China investiert und Lastwagen gekauft. Doch die vergammeln jetzt weit unten im Süden in den Ausläufern der Gobi. Denn China hat die Kohleimporte drastisch reduziert. Jetzt fehlen die Aufträge. In dieser Aufbruchstimmung haben auch Birk und Ejanbuk ihre Lastwagen angeschafft. Beide haben sie aus China importiert - Birk seinen SK Nachbau 2011 für 50.000 Dollar, Ejanbuk seinen technisch moderneren Howo etwas später für 60.000 Dollar. Im Gegensatz zu vielen anderen Unternehmern haben sie das jedoch nie bereut. Ihre Heimatstadt Bayan Ölgii ist dank der Nähe zu Russland, Kasachstan und China weiter im Aufschwung und benötigt ständig Baumaterial. Und das schaffen kleine Transportunternehmer wie sie aus China in die Stadt am westlichen Rand der Mongolei. Einheimische Transportunternehmer mit größeren Fahrzeugflotten gibt es in der Mongolei, außer im Straßenbau, dagegen kaum.
Vier Stunden später haben Ejanbuk und Birk mit den Lastwagen achtzig Kilometer durch das Altaigebirge zurückgelegt. Zwanzig Kilometer in der Stunde - für Gebirgspisten ist das ein respektabler Schnitt. Etwas schneller geht's nur auf den Pisten durch die großen Ebenen der mongolischen Steppe voran. Hier erreichen Lastwagen auch mal für kurze Zeit fünfzig oder sechzig Stundenkilometer. Vorausgesetzt die Waschbrettwellen der Pisten - quer zur Fahrtrichtung liegende, kurz aufeinanderfolgende Erhebungen - halten sich in Grenzen. Je höher die Wellen, desto brutaler setzt das Stakkato der harten Schläge den Rahmen, Blattfedern, Achsen und Aufbauten der Lastwagen zu. Vernünftige Fahrer reduzieren hier die Geschwindigkeit auf oft nur zehn bis 20 km/h; schon allein, um zu verhindern, dass die Ladung, die oft doppelstöckig geladen wird, vom Fahrzeug stürzt.
80 KILOMETER IN VIER STUNDEN: FÜR BERGPISTEN IST DAS OKAY
Wer schneller fährt, riskiert zudem gebrochene Blattfedern, die zu den häufigsten Schäden an mongolischen Lastwagen gehören. So enorm sind die zerstörerischen Kräfte auf den Waschbrettpisten, dass sogar Tanks, Batteriekästen und Reserveräder an älteren Fahrzeugen oft zusätzlich mit Drahtseilen oder mit alten Fahrradketten befestigt werden müssen. Die Originalhalter sind schon dutzendmal gebrochen, geschweißt und verstärkt worden und quittieren dennoch immer wieder den Dienst.
Der schlechte Pistenzustand, das ständige Abbremsen und Wiederanfahren an Hindernissen und der hohe Rollwiderstand treiben auch den Dieselverbrauch in astronomische Höhen. "Hundert Liter auf hundert Kilometer sind normal, wenn wir mit fünfzig Tonnen unterwegs sind!", legt Ejanbuk lächelnd dar. An die gesetzlich erlaubten 44 Tonnen hält sich nach seinen Angaben eh niemand. Polizisten, die Lastwagen kontrollieren, gibt es außer im Umfeld der Hauptstadt Ulan Bator nicht.
Aber auch leer schlucken die Lastwagen schon fünfzig Liter, weswegen die Fahrer große Dieselmengen mit sich führen. Wobei große, fest angebaute Tanks wegen der hohen physikalischen Belastung verpönt sind. Die Halterungen würden auf den schlechten Pisten irgendwann brechen. Mitgeführt wird der zusätzliche Diesel deswegen in Industriefässern mit je 200 Liter Inhalt meist auf der Ladefläche oder festgezurrt auf der Ladung. Umgefüllt wird per Schlauch, Kanister oder elektrischer Pumpe.
OHNE BRÜCKEN HABEN DIE FAHRER GELERNT, FLÜSSE ZU DURCHQUEREN
Am späten Nachmittag, knapp vierzig Kilometer vor Khovd, einem Etappenziel auf dem Weg nach Urumtschi, nähern sich Ejanbuk und Birk dem Fluß Shurag. Vor wenigen Jahren wurde eine Brücke über den Fluss gebaut, doch Lkw-Fahrer nutzen sie nur selten. Denn die sichere Passage ist zehn Kilometer länger als der alte Weg durch die Furt. Auch Ejanbuk und Birk wollen heute Zeit sparen und schwenken auf die kürzere Route durch den Fluss ein. Mit dem Einhalten von Lenk- und Ruhezeiten hat das Zeitmanagement dabei allerdings nichts zu tun. Auf die Frage, ob es Lenkzeitbeschränkungen in der Mongolei gibt, schüttelt Birk nur verwundert den Kopf. "Das macht in einem so großen Land doch keinen Sinn", meint der Transportunternehmer, "hier muss man möglichst viel fahren dürfen, um seine Arbeit zu erledigen!"
Die Bedingungen, den Fluss zu durchqueren, sind an diesem Tag alles andere als ideal. In den Bergen hat es kräftig geregnet, deswegen führt der Shurag jetzt Hochwasser. Doch für mongolische Fahrer gehören solche Herausforderungen zum Tagesgeschäft. Denn bis vor ein paar Jahren waren Brücken die Ausnahme und Furten die Normalität. Und weil in der Regenzeit regelmäßig die Flussläufe anschwellen, haben die Fahrer gelernt, Flüsse selbst unter widrigsten Bedingungen zu queren. Deswegen taucht Birk auch gekonnt langsam mit dem SK in die Wassermassen ein. Ruhig, fast ohne Bugwelle, zieht er den Anhänger zum gegenüberliegenden Ufer. Doch dann, ganz plötzlich, an der steilen Ausfahrt aus dem Flussbett, drehen die Räder durch und die Fuhre bleibt stehen. Ohne Allrad, nur mit zwei angetriebenen Achsen und Sperren, reicht der Vortrieb nicht aus, den Anhänger aus dem Fluss zu ziehen.
Und wieder folgt - in bester Schagain Charval Manier - volle Konzentration auf die Aufgabe, die Bergung des Lkw. Birk und Octiabor klettern über das Fahrerhaus auf die Ladefläche, öffnen die Hecktüren und lösen im reißenden Wasser die Anhängekupplung, Elektrokabel und Luftschläuche. Minuten später sitzt Birk wieder hinterm Steuer, erklimmt mit der Zugmaschine das Ufer und fährt aufs Trockene. Der Anhänger bleibt derweilen im Fluss zurück. An einer Sicherungsleine hangelt sich Octiabor durchs eisige Wasser zum anderen Ufer zurück und befestigt ein Abschleppseil an der Zuggabel des Anhängers. Das andere Ende des Drahtseils zieht Octiabor mit einem Tau auf seine Seite des Flusses, hängt es an den SK, startet den Motor und zieht den Anhänger aufs sichere Ufer. Das alles geschieht mit der Selbstverständlichkeit und Sicherheit einer Feuerwehrspezialeinheit. Nur 45 Minuten hat die Rettungsaktion gedauert. Dann ist der mongolische Lastzug wieder auf dem Weg zur chinesischen Grenze. Regenfälle im Gebirge, die weiter unten in der Ebene Flüsse stark anschwellen lassen, sind in der Mongolei keine Seltenheit. Nicht immer haben Fahrer so viel Glück und Können wie Birk und Octiabor und schaffen es, nachdem sie sich im Fluss festgefahren haben, ihr Auto zu bergen. Immer wieder müssen Fahrer ihr Fahrzeug sogar ganz aufgeben, um das eigene Leben zu retten, wenn der Lkw im Ansturm der Wassermassen zu versinken droht. Dabei sterben regelmäßig auch Menschen.
DAS FAHRZEUG VON NOMADSTOURS BLIEB EIN PAAR NÄCHTE IM WASSER
Einer, der diese extremen Bedingungen zur Genüge kennt, ist der Deutsche Helge Reitz mit Wohnsitz in Ulan Bator. Mit "Nomadstours" ist er einer der erfahrensten Reiseveranstalter der Mongolei und organisiert mit seinem 4x4 Fuhrpark und einheimischen Fahrern Touren durchs ganze Land. Und dennoch hat auch er 2013 ein Fahrzeug im Wasser verloren. "Damals", so berichtet Reitz, "hat mein bester Fahrer einen alten 4x4 Magirus 170D nach Ulanbator überführt. Unterwegs musste er den Fluß Tuin queren, der nach Regenfällen am Anschwellen war. Die Durchquerung war schwierig aber machbar. Das Verhängnis begann erst, als er gebeten wurde, einen Transporter an Land zu ziehen, der sich vor den steigenden Fluten auf eine Insel gerettet hatte. Irgendwann ging es beim Magirus weder vorwärts noch rückwärts. Dann ist er bis übers Dach in den immer tiefer werdenden Wassermassen verschwunden und wurde abgetrieben."
Geborgen werden kann der Magirus erst vier Tage später. Dazu muss allerdings ein Bagger den Tuin mit Kiesbarrieren in ein neues Bett zwingen. Erst dann ist es möglich, den Lkw an Land zu ziehen. Nach aufwendigen Renovierungsarbeiten ist der Allradtruck schon wenige Monate später wieder im Einsatz. "Und dennoch erholt sich ein Auto nie wirklich von einem Wasserunfall", bedauert Helge Reitz, "egal wo am Magirus geschraubt wird, taucht feiner Lös auf. Langfristig ist das für ein Fahrzeug tödlich! Für uns viel wichtiger war, dass unser Fahrer unbeschadet aus der Sache rauskam!"
VIEL VERÄNDERUNG WIRD ES FÜR DIE FAHRER IN NÄCHSTER ZEIT NICHT GEBEN
Lkw fahren in der Mongolei ist ein Abenteuer und wird es auch noch einige Jahre bleiben. Denn die mongolische Wirtschaft hat aktuell nur wenig Chancen, sich zu entwickeln. Zwar besitzt das Land unendliche Bodenschätze, doch ausländische Unternehmen scheuen sich, die für den Aufbau der Infrastruktur nötigen Milliarden zu investieren. Solange wird sich auch im Fernstraßensystem nicht viel verändern. Pisten mit brutalem Wellblech, anspruchsvolle Bergpassagen und schwierige Wasserdurchfahrten werden also auch in Zukunft den Berufsalltag der Fernfahrer in den endlosen mongolischen Weiten bestimmen.