Wenn jemand behauptet, seine sieben 40-Tonner seien für ihn vor allem "Hobby", dann schreit das förmlich nach einem Besuch des TRUCKER.
Bei Michael Reiss ist genau das der Fall. Denn den Hauptumsatz macht sein zehn Jahre junges und in Baden-Baden ansässiges Unternehmen vor allem mit dem Transport von Personen. Über 100 Minibusse sind für Reiss im Schulbusoder Behindertenfahrdienst im Einsatz. Hinzu kommen ein Mercedes-Citaro-Stadtbus, ein nagelneuer Neoplan-Cityliner-Reisebus, den der Chef selber fährt, - und sieben Sattelzüge. "Bei Bussen ist die gestalterische Freiheit viel eingeschränkter als bei Lastwagen", erklärt Michael einen der Hauptgründe für sein Hobby. Und dass er dem intensiv frönt, ist auf den ersten Blick ersichtlich. Lampenbügel und Lowbar sind das Mindeste, was die Reiss-Züge ziert. Hinzu kommen weiterer Chromzierrat, aufwändige Airbrush-Lackierungen und mit Leder veredelte Innenausstattungen.
Für die stolzen Fahrer bedeutet das vor allem: regelmäßiges und gründliches Putzen. Schließlich kann der Chef nach eigener Aussage fuchsteufelswild werden, wenn ein Lkw nicht in dem Zustand auf den Hof rollt, wie er sich das vorstellt. Erschwerend kommt hinzu: Die Reiss-Zugmaschinen ziehen allesamt einen Kippsattel, müssen also regelmäßig unbefestigte, die Verschmutzung fördernde Gefilde ansteuern. Davon kann nicht nur Fahrer Franco Vecchio ein Lied singen. "Mein Baby verbraucht schon sehr viel Wasser", berichtet er grinsend. Sein "Baby" ist ein Actros 1860 Black Edition - firmenintern auch "Black Pearl" genannt - und der einzige noch verbliebene Mercedes im Fuhrpark. "Einer in der Firma muss schließlich einen vernünftigen Lkw fahren!", feixt Franco mit Blick auf seine allesamt DAF lenkenden Kollegen.
Wie es zum Wechsel von den Wörther Produkten zu den Lastwagen aus Eindhoven kam, vor allem wo der Chef eigentlich bekennender Sternen-Fan ist? Dafür ist Martin Wipf, langjährigster Reiss-Fahrer verantwortlich. Der entdeckte 2011 auf einer Messe den DAF XF "Limited Edition" mit Super-Space-Cab. "Den musste ich einfach haben, auch wenn einige Wochen Überzeugungsarbeit bei Chef und Chefin nötig waren," erinnert sich Martin vielsagend.
DIE KIPPER LAUFEN JÄHRLICH BIS ZU 150.000 KILOMETER
In die Hände spielte ihm dabei, dass sie mit dem Service ihres Mercedes-Händlers unzufrieden waren. Also wurde der Messe-DAF kurzerhand gekauft und er machte sich so gut, dass der Fuhrpark bis auf besagten letzten Actros mittlerweile fest in niederländischer Hand ist. Der Griff zu Super-Space-Cab und Megaspace ist trotz des Kippereinsatzes übrigens nicht übertrieben. Die Sattelzüge spulen bis zu 150.000 Kilometer jährlich im Fernverkehr ab. Denn natürlich muss sich auch das Hobby am Ende des Tages bezahlt machen. "Die Kunst ist es, das eigentlich saisonale Kippergeschäft das ganze Jahr über am Laufen zu halten, was uns mittlerweile ganz gut gelingt", schildert Martin.
Seine Alu-Mulden, bei denen Michael aktuell von Schmitz-Cargobull auf die seiner Meinung nach mit mehr Liebe gefertigten Stas-Auflieger umstellt - machen regelmäßig Bekanntschaft mit Altglas, Streusalz oder Stahlspänen und seit jüngster Zeit vermehrt mit landwirtschaftlichen Produkten wie Kartoffeln oder Karotten. Die transportieren seine Fahrer vom Feld bis teilweise nach Dänemark oder Spanien. Weshalb die Arbeitswoche bei Reiss bereits am Sonntagabend beginnt und die Fahrer nicht selten erst nach zwei Wochen zurück in heimische Gefilde kommen. "Allein deshalb möchte meinen Fahrern all das bieten, was ich selbst an ihrer Stelle auch von einem Lkw verlangen würde," versichert der Chef. Dazu zählen auch moderne Sicherheitssysteme. Umso mehr, nachdem der Notbremsassistent der "Black Pearl" einen Fahrer kürzlich vor einem schlimmen Auffahrunfall bewahrte.
Denn auch wenn er aus Zeitgründen momentan fast nur noch den Reisebus im regionalen Verkehr lenkt, kennt der 42-Jährige den Lkw-Alltag genau. Zwar führte schon sein Vater ein Busunternehmen und Michael wurde quasi in den Personenverkehr hineingeboren. Bevor der Junior nach bestandenem 2er-Führerschein Busse fürs Unternehmen lenken durfte, verordnete der Senior ein paar Jahre Gütertransport zum "Hörner abstoßen", wie er es nannte.
LASTWAGENFAHRER IM NEBENERWERB
Und auch als Michael nach dem Tod des Vaters mit zwei Minibussen 2005 sein eigenes Unternehmen gründete, blieb er den Lastkraftwagen treu. "Die ersten Jahre waren alles andere als einfach, da wussten meine Frau und ich teilweise nicht, wovon wir unser Abendessen bezahlen sollten", erinnert sich der gelernte Kfz-Mechaniker. Also nahm er nebenbei erneut einen Job als Lkw-Fahrer an und pendelte mit einem Mercedes Actros MP1 im Baustellenverkehr.
Unverzichtbar dabei für ihn: das Verständnis und vor allem das unermüdliche Engagement seiner Frau Nicole. Die 36-Jährige kümmert sich bis heute um die Disposition der Busse und Lkw, um die Belange der insgesamt 160 Angestellten und ist für die Fahrer nebenbei die gute Seele des Unternehmens. Und falls mal Not am "Mann" sein sollte, setzt sich Nicole auch hinters Steuer von Bussen oder Lkw. "Seit unser Sohn geboren wurde, aber leider viel zu selten," bedauert die Chefin. Nebenbei hat sie stets ein wachsames Auge auf den Fuhrpark. "Es ist unmöglich, einen Steinschlag vor ihr zu verbergen", verrät Fahrer Martin Wipf augenzwinkernd.
Der penibel gepflegte Fuhrpark trägt übrigens ebenfalls zur Erfolgsgeschichte des jungen Unternehmens bei. "Manche Kunden verlangen speziell nach unseren Trucks oder fragen vor Firmenfesten an, ob wir nicht einen Zug auf ihr Gelände stellen können", freut sich Martin. Schließlich lohnt sich sein Hobby dadurch schon wieder etwas mehr.