Wollte man in Mitteleuropa den Lastwagen ein wenig mehr Länge erlauben, zugunsten des Lebensraums ihrer Fahrer, wäre der wütende Protest der Gegner dieses Gewerbes schon vorhersehbar. So darf die Masse der Dieselknechte - und -mägde - ihre Freizeit halt weiter auf schmalen und engen Pritschen verbringen, in kleinen Kabinen, die eher den Begriff Hütte verdient haben als den des "Fahrerhauses". Die Nordländer waren da schlauer und erlauben "ein bisschen mehr".
Scania hatte vor rund zehn Jahren mit dem Konzept "Longline" für großes Aufsehen gesorgt, bei dem die Fernverkehrskarosserie um rund 1,2 Meter verlängert wurde. Das entspricht dem Platz, den die früher gebauten Haubenlastwagen mit ihrem Vorbau zusätzlich beanspruchten und darf in Nordeuropa so als Sattelzugmaschine gefahren werden. Doch fast noch genialer, weil praxisnäher, ist die Verlängerung der Kabine um 60 Zentimeter, wie sie von einigen niederländischen Fahrzeugbauern angeboten wird.
SECHZIG ZENTIMETER MEHR BRINGEN LEBENSQUALITÄT
Andreas Hjorthejm aus Kalmar in Südostschweden hatte bis vor kurzem einen Scania-Haubenwagen, der mit viel Lack und Stil veredelt war. Eigentlich wollte er nach diesem Fahrzeug einen normaleren LKW fahren und mehr Zeit seiner jungen Familie widmen. Doch als fester Transporteur von Stena Stal, einem Handelsunternehmen mit fünfzehn Filialen in Schweden und Norwegen, hat er mehrere Supertruckbegeisterte Kollegen, die ihn immer wieder neu motivieren.
Das sind unter anderem Hokan Runnheden mit seinem Scania-Hauber im Amistil - regelmäßigen TRUCKER-Lesern aus Heft 12/12 ("Sahnehauber") bekannt - und Lasse Bärgarn Hanssen, der sich den Scania R730 mit Triple-X-Lackierung als jungen Gebrauchten aus den Niederlanden gekauft und nach seinem Geschmack modifiziert hat. Und genau der gab mit seiner um sechzig Zentimeter verlängerten Kabine den letzten Anstoß für Andreas, sich so etwas auf der Basis eines neuen Volvo FH mit 540 PS bauen zu lassen.
Die Stena-Trucker fahren Linienverkehre mit festen Abfahrtszeiten, die sich nach dem Bestellsystem der Firma richten. Es gilt darum des Öfteren, längere Standzeiten im Fahrerhaus zu verbringen. Der gute halbe Meter zusätzlicher Innenlänge ist bezüglich des gewonnenen Lebensraums ein Riesenfortschritt. Denn er ermöglicht im oberen Bereich ein 1,2 Meter breites Bett, das sich bei Nichtbenutzung nach oben wegschwenken lässt. Darunter kommt dann eine Sitzgruppe mit seitlichen Bänken und einem zentralen Tisch zum Vorschein.
AUCH VOLVO-INGENIEURE INTERESSIEREN SICH DAFÜR
Sowohl Lasses Scania als auch der neue Volvo sind beim niederländischen Fahrzeugbauer Winkoop in Elmelo entsprechend umgebaut worden. Andreas hat den Innenausbau schlichter gehalten, im vorderen Bereich ist die Volvo-Einrichtung fast unverändert. Dahinter aber lockt eine gemütliche Sitzgruppe zur Rast. Sogar der Lastwagenbauer selbst in Göteborg ist aufmerksam geworden und will Andreas mit seinem Truck ins Werk zur Begutachtung einladen.
Die Zugmaschine ist siebeneinhalb Meter lang, dementsprechend weit sind die drei Achsen auseinander. Trotz erlaubter 60 Tonnen Gesamtgewicht ist nur die zweite Achse angetrieben, die hintere zwillingsbereifte Achse lässt sich zur besseren Traktion wahlweise entlasten oder komplett von der Straße liften. Der Wendekreis ist riesig, aber Andreas hat feste Anlaufstellen, wo das immer passt.
Nach der Vergrößerung der Kabine ging die Zugmaschine zum weiteren Verfeinern zu Sjaak Kentie im niederländischen Schoonhoven, der für die Einrichtung, für eine edle Verkleidung des Rahmens und eine klar strukturierte Rückwand sowie für einen stilgerechten Heckabschluss sorgte. Das Volvo Mediasystem bleibt erhalten, hat aber bessere Lautsprecher und eine Bassröhre bekommen. Für die Lackierung war Lacktyl im schwedischen Ängelholm zuständig. Mehrere Entwürfe wurden verworfen, jetzt unterstreicht das bunte Design die Dynamik der schrägen Seitenlinie, wie sie für den neuen FH typisch ist.
DAS XXL-KONZEPT DIENT AUCH DEM FAMILIENFRIEDEN
Eine nordische Spezialität ist der monobereift e Vierachstrailer des finnischen Fahrzeugbauers Närko, Baujahr 2012, der die Last dank seiner eigenwilligen Konfiguration raffiniert auf der Straße verteilt und mit zwei Achsen mitlenkt. Dank 18,5 Meter Ladefläche und knapp 40 Tonnen Nutzlast sind Logistikabläufe möglich, von denen mitteleuropäische Spediteure nur träumen dürfen. Klug ist auch das System seitlicher Falttüren, mit dem der Frachtraum in kürzester Zeit zugänglich wird.
Beim Lager in Nybro zeigt sich die Leichtgängigkeit des Systems. Der Riesenstapler schiebt sperrige Bleche auf die Ladefläche, ohne dass dafür Rungen und Bretter entfernt werden müssen. Die Fracht ist für Västeras bestimmt, allerdings zum Abladen in verschiedenen Hallen, weswegen sie Andreas mit viel Kalkül auf dem Trailer verteilt. Das Verzurren des Stahls mit Ketten und Gurten ist dann Routine.
Anschließend gibt es noch ein paar Stücke am Heimatstandort Kalmar, wo auch der zweite Sattelzug von Andreas Transportservice steht, ein neuer Scania R 560 Streamline. Mit einem Fahrer und ihm selbst hinter dem Lenkrad gewährleisten die beiden Lastzüge den täglichen Linienverkehr zur Zentrale nach Mittelschweden. Doch diese Woche steht Besonderes vor: Andreas wird den Truck erstmals auf einer Truckshow vorstellen, in Strängnas steht das erste große nordische Treff en dieses Jahres an.
Deswegen kommen auf dieser Reise auch seine Frau Therése und die Junioren Hampus (5) und der zweijährige Hugo mit. Hier zeigt dieser Volvo noch eine besondere Eigenschaft: die der Familienfreundlichkeit. Dank der Größe des Wohnraums lässt sich auch mal ein Schlechtwetter-Wochenende mit dem Nachwuchs ohne Lagerkoller-Gefahr überstehen. Für Andreas ist das eine optimale Sache: Denn so bekommt er seine Freude an besonderen Lastwagen und seine Zuneigung zur Familie bestens miteinander verbunden. Lang lebe sein "Longtrotter"!