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Oktoberfest Spezial: Schaustellerfamilie Kaiser unterwegs

18.10.2015 08:00 Uhr
Oktoberfest Spezial: Schaustellerfamilie Kaiser unterwegs
Das "High Energy" ist nur eines der Fahrgeschäfte der Familie Kaiser
© Foto: Martin Orthuber

Seit mehr als 200 Jahren ist die Familie Kaiser aus Ismaning im Schaustellergeschäft. Zum Oktoberfest in München wurden mehrere Fahrgeschäfte angeliefert.

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Das muss man aufheben, das bringt Glück", sagt Schausteller Siegfried Kaiser, bückt sich und greift nach einem Cent-Stück, das auf dem regenassen Kiesbett des "Augsburger Plärrer" liegt. Obwohl die Familie Kaiser mit mehreren Fahrgeschäften wie High Energy, Rio Rapidos, Skater, Breakdance usw. auch auf lukrativen Spielplätzen wie dem Münchner Oktoberfest vertreten ist, bekommen dort nur die Fahrgäste einen Höhenflug.

Geschenkt kriegt man nix", stellt Siegfried Kaiser fest. "Die Leute unterschätzen immer, was bei uns alles an Arbeit dranhängt." Den ganzen Sommer über ziehen die Kaisers in ihren Wohnwägen - die mit ihren hydraulisch ausfahrbaren Erkern einer kleinen Drei-Zimmer-Wohnung gleichkommen - von Volksfest zu Volksfest. "Darum sprechen wir auch nicht g'schert Bayerisch", sagt das Familienoberhaupt, "weil wir in ganz Deutschland unterwegs sind".

Jedes Mal müssen die Fahrgeschäfte komplett zerlegt und teils mit Schwerlastern weitertransportiert werden. Abbau und Aufbau dauern je ein bis zwei Tage. Je nachdem, wie groß der Termindruck ist. Oft wird noch in der Nacht des letzten Spieltags mit dem Abbau begonnen.

KAISERS HELFER HABEN SCHON NACHTS MIT DEM ABBAU BEGONNEN

Am Montagmorgen nach dem "Augsburger Plärrer", gegen 10 Uhr, steht Siegfried Kaiser mit seinem Filzhut im Regen und überwacht die Arbeiten am "Rio Rapidos". Sohn Sascha sitzt im Ladekran und befördert Stahlstreben auf den Auflieger. Sieben oder acht Arbeiter klettern herum, schrauben, sichern, lösen, tragen, schieben und rangieren. Siegfried prüft, ob die Ladungssicherung gut ist. Die Aufbauten zur Ladungssicherung sind alle selbst ausgedacht und in der eigenen Werkstatt spezialgefertigt. "Sowas kann man nirgendwo kaufen", erklärt Siegfried.

Spanngurt-Ratschen sind fest mit dem Fahrzeug verschraubt. "Hier kommt viel weg: Unterlegkeile, Spanngurte", bedauert Siegfried. "Bring mal eine Leiter", dirigiert er einen seiner Helfer, "der Gummi da oben ist noch nicht richtig verspannt. Das flattert uns nachher davon." Dank Smartphone und Knopf im Ohr ist der Senior jederzeit erreichbar: "Der tut so, als ob er zum ersten Mal aufs Oktoberfest fährt", bemerkt er, nachdem ihn einer der Fahrer auf dem Weg nach München telefonisch gefragt hat, ob die Abfahrt Sendling die richtige gewesen sei. Mehrere Transporte sind schon auf dem Weg nach München, satteln dort ab und kommen für eine zweite Fuhre wieder zurück nach Augsburg. "Wenn die Fahrerei nicht immer wäre", klagt der Schausteller, "Augsburg München ist ja ein Katzensprung, aber rauf nach Düsseldorf zum Beispiel. 150 Kilometer Umweg wegen einer Brücke. Überall wird gebaut."

Im Wohnwagen von Tochter Jasmin hat man sich für ein paar Stunden aufs Ohr gehauen. Jasmin trinkt ihren ersten Kaffee und ist heute noch recht wortkarg, was eigentlich nicht ihrer Natur entspricht. Nebenan stehen mehrere Züge, Anhänger und Auflieger, die zum Abtransport bereit sind. Das "High Energy" ist schon vollständig zerlegt und verladen.

Siegfried geht zu seinem Actros und macht sich bereit: "Der ist Baujahr 1998, hat aber erst 311.000 Kilometer drauf. Im Winter stehen sie ja ganz." Auch die spielfreie Jahreszeit ist für die Kaisers kein Zuckerschlecken. Dann wird repariert, gewartet und gebaut. Die Fahrgeschäfte sind alle selbst ausgedacht. Zuerst geht's mit den Plänen zum Ingenieur, der alles berechnet. "Sicherheit ist oberstes Gebot", betont Siegfried, "da hängen Menschenleben dran".

EIN SCHAUSTELLER MUSS VIELE BERUFE BEHERRSCHEN

Gebaut wird vieles selbst. In Ismaning sind die Kaisers gut ausgerüstet, haben eine eigene Werkstatt, Drehbänke, Lackiererei. Alle Fahrzeuge wurden in metallischem Türkis lackiert, außer dem roten Iveco: "Den wollten wir nicht lange behalten, darum haben wir ihn nicht umlackiert. Aber jetzt macht er sich. Gut zum Rangieren mit der Nachlaufachse." Man arbeite oft von 7 bis 22 Uhr. "Wir müssen viel selber machen. Lässt man viel machen, stimmt das nicht mehr überein mit dem Verdienst. Wir müssen schon schauen, wie wir zurechtkommen."

Sein Vater habe es ihm freigestellt, welchen Beruf er ergreifen wolle, und er habe es seinen Kindern freigestellt. Trotzdem sind alle im Schaustellergeschäft geblieben, die Töchter Jasmin und Tanja ebenso wie Sohn Sascha. Als Schausteller habe man sowieso viele Berufe: Elektriker, Kraftfahrer, Schweißer, Dreher und Kaufmann, erklärt Siegfried.

DIE MOBILE DREI-ZIMMER-WOHNUNG FÄHRT DEN GANZEN SOMMER MIT

"Der kommt jetzt in die Schule", sagt das stolze Familienoberhaupt und deutet auf ein Foto am Lkw, wo viele Stationen der Familiengeschichte abgebildet sind. John Lennon ist auf einem Foto vor einem Fahrgeschäft zu sehen. "Ja, der war mal da", erwähnt Siegfried beiläufig, erzählt aber lieber weiter über Enkel Jayjay: "Der fährt schon Traktor. Ich habe ihm Klötzchen auf die Pedale geschraubt." Er selbst habe mit 14 Jahren den Führerschein Klasse 4 gemacht, durfte im Rahmen des Betriebs fahren. "Ich habe 25 Tonnen am Deutz dran gehabt, aber Moped fahren durfte ich nicht", erinnert er sich und schmunzelt.

Einer der Enkel habe ihn mit 65 Jahren schon zum "Ur" gemacht, erzählt er: "Jetzt muss ich mit einer Urgroßmutter ins Bett gehen." Siegfried klettert ins Fahrzeug, beugt sich aus der Tür und ruft: "Willi, haben wir eine Blinklampe hinten drauf? - Und füll noch ein bisserl Wasser nach. Der hat mir Wasser angezeigt." Siegfried steckt sich ein Zigarillo an. Er habe erst mit 38 Jahren angefangen zu rauchen und nicht auf Lunge. "Kriegen wir heute noch ein Wasser?" ruft Siegfried hinaus. Bis jemand zum Nachfüllen kommt, ist die Zigarillo fast verraucht. "Wir haben nicht mal noch Wasser hier", erklärt Willi. Alles ist schon aufbruchbereit. Die Toilettenanlagen sind geschlossen.

Vorsichtig rangiert Siegfried vom Platz und kommt nach 20 Metern wieder zum Stehen. An der "Leopardenspur" steht ein Fahrzeug mit Ladekran auf der Straße. Die Arme des Karussells Himalaya-Bahn werden nacheinander einzeln abmontiert. Siegfried drückt auf die Hupe und beugt sich aus dem Fenster: "Herr Heindl! - Hier ist Parken verboten!" scherzt er.

Viel los ist nicht auf der A 8. Erst wieder kurz vor München. "Schau ma mal, wie ma da drauf kommen", sagt Siegfried kurz vor der Einfahrt auf die Theresienwiese. Der Wächter winkt ihn durch. Siegfried hängt ab: "Jetzt fahren wir erst mal zu uns und schauen, was da los ist." - Inmitten der Buden und Fahrgeschäfte steht der Wohnwagen der alten Kaisers. Siegfried parkt seine Zugmaschine vor der Tür, geht die Treppe hinauf, zieht seine Schuhe aus, öffnet die Tür und begrüßt liebevoll seine Frau Sylvia, die schon mit einer heißen Tasse Kaffee wartet. "So ein Sauwetter", sagt Siegfried. Es regnet in Strömen.

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