Der Beruf des Kraftfahrers ist oft undankbar. Dafür, dass man die Wirtschaft am Laufen hält, wird man oft noch angefeindet. Dazu begleitet einen stets die Furcht, unverschuldet Opfer eines Unfalls zu werden. Dieses Gefühl kennt seit Jahresanfang auch Markus Dierks aus Bremervörde.
Er ist der Junior eines kleineren Transportunternehmens, das sich im Wesentlichen mit dem Transport von Seecontainern beschäftigt. Die Firma gibt es erst etwa fünf Jahre, der Fuhrpark zählt knapp 30 Lastzüge. Einige der Fahrzeuge sind schon älter, so auch der MAN F2000, mit dem Markus bis vor Kurzem auf Achse war. Viele Fans der Marke schwärmen bis heute von der Qualität der früheren Baureihe.
Die Sattelzugmaschine von Dierks, Baujahr 2000, hatten die früheren Eigentümer erst vor einiger Zeit auf die Abgasnorm Euro 4 umrüsten lassen, was sie zu einem robusten und bewährten Arbeitsgerät mit niedriger Mautbelastung machte. Zusätzlich steckte Firmenchef Bertram Dierks noch zum Jahresende 2013 einige Tausender in Reparaturen und Erneuerungen, um das von seinem Sohn so geschätzte Fahrzeug für die Zukunft fit zu machen.
Nach dem Jahreswechsel ging es wieder auf Tour. Am Abend des 2. Januar nahm der Junior im Hamburger Hafen einen Container auf und fuhr damit Richtung Westen in die niedersächsische Provinz. Tagsüber war noch der Senior mit dem Lastzug gefahren, Markus hatte erst am frühen Abend das Lenkrad übernommen.
Gegen 22 Uhr bog er in Zeven auf die L122 Richtung Gnarrenburg ab, wo ein Hersteller von Leuchten die Containerfracht am nächsten Tag abnehmen sollte. Die Landstraße ist gut ausgebaut und ausreichend breit, sodass zwei Lastzüge leicht aneinander vorbeikommen. Doch gut sechs Kilometer hinter der letzten Kreuzung wird die Fahrt plötzlich zum Albtraum.
Ein entgegenkommender weißer Kühlzug gerät, kurz bevor sich die Fahrzeuge begegnen, ins Schlingern und driftet auf die Gegenfahrbahn. Markus versucht noch mit der Lichthupe zu warnen, doch das hilft nichts mehr. "Du fühlst dich plötzlich nur noch wie ein Zuschauer in einem schlechten Film und kannst nichts mehr tun", erzählt der Kraftfahrer.
DER VERURSACHER HÄLT KURZ - UND FÄHRT DANN WEITER
Es tut einen Schlag, als sich die beiden Außenspiegel treffen, in einem Reflex zieht Markus nach rechts, um sich vor dem Aufprall zu schützen. Dabei gerät er mit dem rechten Vorderrad ins Weiche neben der Straße und verliert komplett die Kontrolle über den 40-Tonner. Vor ihm steht ein 60 Zentimeter dicker Baum, den er voll und mittig erwischt, mit einem mächtigen Knall kommt der MAN zum Stillstand.
Auch der vermeintliche Verursacher hält zunächst an, kümmert sich dann aber nicht weiter um seinen verunfallten Kollegen. So wie Markus Dierks es wahrnahm, sammelt er stattdessen nur einige Teile seines zerborstenen Spiegelgehäuses ein und setzt dann, ohne sich um den Verletzten im MAN zu kümmern, seine Fahrt fort.
Markus hängt benommen im zerstörten Fahrerhaus, zu üblen Prellungen, Schnittwunden und Abschürfungen kommt, wie sich später herausstellt, ein Anriss der Leber. Etliche Autos passieren, ohne sich zu kümmern. Erst eine junge Frau fasst sich ein Herz und reagiert, wie es sich gehört und eigentlich auch gesetzlich vorgeschrieben ist: Sie stoppt, leistet dem Opfer Erste Hilfe und holt Polizei und Feuerwehr.
Markus Dierks steht ziemlich unter Schock. Bei dem Aufprall hat er seine Brille und das Mobiltelefon im Fahrzeug verloren. Durch die zerborstene Frontscheibe seines LKW gelangt er ins Freie und begreift, dass er noch viel Glück im Unglück gehabt hat. Der Motor ist um über einen halben Meter nach hinten verschoben. Dieser Aufprall hätte definitiv auch schlimmer ausgehen können. Dierks geschätzter LKW ist nur noch Schrott, Kraftstoff ist ausgelaufen und verseucht das Erdreich. Der massive Baum ist aus der Erde herausgerissen worden und muss zersägt werden, so stark war der Aufprall.
Doch als ob das alles noch nicht übel genug wäre, setzt sich der Albtraum fort. So schreibt etwa die Freiwillige Feuerwehr Zeven am nächsten Tag in einem Unfallbericht auf ihrer Internetseite, dass es sich um einen "selbst verursachten Unfall" gehandelt habe. Eine solche Feststellung steht den Floriansjüngern eigentlich gar nicht zu, und zudem erscheint es verwunderlich, warum man dem Unfallopfer so bewusst widerspricht. Die Anfragen des TRUCKER diesbezüglich und unsere Bitte um Bilder vom Unfallort blieben übrigens unbeantwortet. Bei allem meist gebotenen Respekt vor der Arbeit der Feuerwehrleute: In diesem Fall geben sie kein gutes Bild ab.
PHANTOMUNFALL? POLIZEI WILL DIERKS NICHT GLAUBEN
Und obwohl Markus Dierks sich in der glücklichen Situation sieht, dass er einen fabrikneuen Container auf dem Chassis hatte, auf dem man die Schleifspur des gegnerischen Spiegels sieht, scheint ihm auch die Polizei nicht recht glauben zu wollen. Der ermittelnde Beamte zum Beispiel redet davon, dass man ein in tausend Stücke zerborstenes Spiegelgehäuse im Dunkeln nicht so einfach einsammeln könne. Woher will man wissen, dass der Spiegel nicht in nur wenige Teile zerbrochen ist, ob der andere Fahrer nicht etwa eine Lampe dabeihatte oder ob es an der Unfallstelle einfach hell genug zum Suchen war?
Immerhin gibt es mittlerweile einen wohl ernst zu nehmenden Zeugen, der den entgegenkommenden Kühlzug gesehen haben will. Nach dessen Angaben handelte es sich um einen neueren DAF mit Hochdach und integrierten Zusatzfernscheinwerfern (Skylights). Das markanteste Detail sollen drei blaue Leuchtdioden in der Frontscheibe gewesen sein, das Kennzeichen soll mit RD oder OD beginnen. Wer dazu etwas weiß, möge seine Hinweise an die Polizei in Bremervörde geben: Tel. 04761/ 99450. Damit Markus Dierks' Albtraum endet.