Ob es sich beim Einschalten der Warnblinker bei nahendem Stau um eine Geste oder um eine Pflicht im Straßenverkehr handelt, urteilte jetzt das Landgericht Hagen und sagt: "Nein."
Ein Lkw-Fahrer fuhr auf dem rechten Fahrstreifen einer dreispurigen Autobahn, hinter ihm fuhr ein Autofahrer mit seinem Lada. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit betrug 100 Stundenkilometer. Auf der rechten Spur bildete sich ein Stau. Deshalb bremste der Lkw-Fahrer innerhalb von 29 Sekunden von etwa 62 Stundenkilometer auf rund 11 runter. Die Warnblinkanlage schaltete er nicht ein.
Der Lada-Fahrer reagierte nicht rechtzeitig und fuhr mit 50 Stundenkilometer auf den Lkw auf. Der Mann wurde sehr schwer verletzt, lag im Koma. Auch nach mehreren Operationen und Behandlungen ist er nicht vollständig genesen und heute pflegebedürftig. Über die Verteilung der Kosten für die Krankenversicherung von gut 155.000 Euro und die Pflegeversicherung von gut 13.000 Euro wurde vor Gericht gestritten.
Das Landgericht Hagen wies die Klage ab. Der Unfall sei für keinen der Beteiligten unabwendbar gewesen. Die Betriebsgefahr des Lkw trete aber hinter dem groben Verschulden des Lada-Fahrers zurück. Das führte das Gericht nach einer Haftungsabwägung aus. Der Lkw-Fahrer sei nicht verpflichtet gewesen, den Warnblinker anzuschalten.
Eine solche Verpflichtung bestehe nämlich nicht bei jedem sich bildenden Stau, sondern nur dann, wenn sich wegen des Staus eine Gefahr für den nachfolgenden Verkehr ergebe. Dabei komme es auf die Gefährlichkeit der Situation und die Erkennbarkeit für den nachfolgenden Verkehr an, so das Gericht.
Wegen des Sichtfahrgebots müssten Verkehrsteilnehmer auch auf der Autobahn damit rechnen, unter Umständen plötzlich bis zum Stillstand abbremsen zu müssen. Komme es auf vielbefahrenen Strecken regelmäßig zu stockendem Verkehr oder Stau (im vorliegenden Fall Rückstau an einer Autobahnausfahrt), brauche es in der Regel keine besondere Warnung, führte das Gericht aus. Das sei anders, wenn das Stauende schlecht zu erkennen (zum Beispiel hinter einer Kurve oder Kuppe) und mit hohen Geschwindigkeitsunterschieden zu rechnen sei.
Auf der rechten Spur einer Autobahn müsse man wegen der hohen Lkw-Dichte und wegen häufigen Rückstaus an Ausfahrten grundsätzlich mit Stau rechnen. Die Sicht war in diesem Fall gut, die Strecke gerade und trocken. Auch habe der Lkw-Fahrer nicht abrupt gebremst. Es könne daher keine Rede von einer unvorhersehbaren Staubildung und entsprechenden Gefahr für den nachfolgenden Verkehr sein.
Vielmehr sei von einem groben Verschulden des Lada-Fahrers auszugehen, der mit rund 50 Stundenkilometer auf den Lkw aufgefahren sei. Denn dieser habe nicht genug Abstand eingehalten. Da der Lkw schon 29 Sekunden vor dem Unfall nur noch etwa 60 Stundenkilometer fuhr, könne aus dem Auffahren auf eine erhebliche Unachtsamkeit des Lada-Fahrers geschlossen werden. Ob er nicht rechtzeitig reagierte, weil er durch ein Video auf seinem Smartphone abgelenkt war, ließ sich nicht feststellen. Hinter dem groben Verschulden trete die einfache Betriebsgefahr des Lkw aber jedenfalls zurück, so das Gericht.
LG Hagen, Urteil vom 31.5.2023, Az.: 1 O 44/22