Immer wieder erreichen uns Leserfragen wegen der Verkehrsregeln für das Überholen mit dem Lkw auf mehrspurigen Autobahnen. Gibt es ein "natürliches" Überholverbot für Lkw, wenn sich ein Stau gebildet hat oder es zu zäh fließendem, stockenden Verkehr kommt? Darf ein Lkw-Fahrer aus dem Stau heraus ausscheren und die anderen Lkw, die im Stau stehen, überholen? Wer täglich auf der Autobahn unterwegs ist, sieht immer wieder teils haarsträubende Verkehrssituationen, von Elefantenrennen bis hin zu Lkw, die die Rettungsgasse blockieren oder sogar befahren.
Grundsätzlich ist es nicht verboten, bei stockendem Verkehr oder in einem Stau auf einer dreispurigen Autobahn die rechte und die mittlere Spur zu nutzen. Aber Achtung bei einem Überholverbot auf diesem Abschnitt: Ein Überholen liegt auch dann vor, wenn auf beiden Fahrstreifen nur in Schritttempo gefahren wird. Und: Es gilt in dieser Verkehrssituation (stockend, Stau) auch das Gebot der Bildung einer Rettungsgasse. Stehen zwei Lkw nebeneinander rechts und in der Mitte und auf der linken Spur ein SUV oder ein Van, wird es eng für die Rettungskräfte. Im Zweifel also rechts bleiben. Irgendwo vorne ist ein Unfall oder eine andere Verkehrsbehinderung - kommen vorne auf beiden Spuren Lkw an, ist das Chaos vorprogrammiert.
Dasselbe gilt für die zweispurige Autobahn: Zwischen zwei großen Lkw wird keine Ambulanz durchpassen. Bleiben Sie rechts.
Es gibt dazu zahlreiche bindende Überholverbote für Lkw in der Straßenverkehrsordnung (StVO). Die Wichtigsten erklärt im Folgenden Ass. jur. Thomas Weik, Jurist und Dozent im SVG Aus- und Weiterbildungszentrum Hessen GmbH in Wetzlar.
ÜBERHOLVERBOT
Die Zeichen 276 (Kfz aller Art), 276 mit Zusatzzeichen und 277 (Kfz über 3,5 t, ausgenommen Pkw, Bus) - elektronisch oder als Schild - verbieten nicht nur den Beginn, sondern auch die Fortsetzung des Überholens. Ein bereits eingeleiteter Überholvorgang muss noch vor dem Verbotsschild abgebrochen werden. Wer sich mit seinem Fahrzeug schräg vor dem zu überholenden Fahrzeug befindet, zu diesem aber noch keinen hinreichenden Sicherheitsabstand gewonnen hat, muss das Überholmanöver abbrechen, gegebenenfalls verlangsamen und sich zurückfallen lassen. Nach einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm konnte sich ein betroffener Lkw-Fahrer auch nicht damit entlasten, dass er mangels ausreichender Lücke zwischen den überholten Fahrzeugen nicht eher nach rechts einscheren konnte. Konsequenz eines fahrlässigen Verstoßes gegen das Überholverbot: Geldbuße von 70 Euro, Eintragung im Fahreignungsregister (FAER) und ein Punkt.
ÜBERHOLVORGANG
Die Geschwindigkeit des Überholenden muss wesentlich höher sein als diejenige des Überholten, damit eine Behinderung des übrigen Verkehrs durch ungewöhnlich lange Überholvorgänge vermieden wird. Obwohl es immer eine Frage des Einzelfalles ist, wann die Geschwindigkeit "wesentlich höher" ist, gibt einige wenige Urteile, die für Lkw-Fahrer von Bedeutung sind. So durfte ein mit 20 km/h fahrender Lastzug auf der Bundesautobahn einen mit 10 km/h fahrenden Lkw nicht überholen (BayObLGSt 61, 14 = VM 61, 26). Das Oberlandesgericht Hamm (Beschluss vom 29.10.2008, Aktenzeichen 4 Ss OWi 629/08) geht von der Faustregel aus, dass der Überholvorgang eines Lkw nach maximal 45 Sekunden abgeschlossen sein muss, was bei einer Geschwindigkeit um 80 km/h einer Differenzgeschwindigkeit von 10 km/h entspricht.
UNKLARE VERKEHRSLAGE
Eine unklare Verkehrslage verbietet das Überholen (§ 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO). Eine solche Situation kann besonders beim Überholen von Fahrzeugkolonnen vorliegen, wenn ständig damit gerechnet werden muss, dass andere Fahrzeuge aus der Kolonne nach links ausscheren. Was genau eine unklare Verkehrslage ist, ist im Gesetz nicht geregelt und wird von Gerichten von Fall zu Fall bestimmt. Als Faustregel gilt: Überholen Sie nicht, wenn Sie nicht abschätzen können, wie sich die Verkehrslage vor Ihnen entwickeln wird bzw. wenn Sie den Überholvorgang voraussichtlich nicht gänzlich ungefährdend werden durchführen können.
SICHTBEHINDERUNG
Ist das Wetter schlecht? Dann verbietet § 7 Abs. 3a StVO das Überholen: Wer ein Kraftfahrzeug mit einer zulässigen Gesamtmasse über 7,5 Tonnen führt, darf unbeschadet sonstiger Überholverbote nicht überholen, wenn die Sichtweite durch Nebel, Schneefall oder Regen unter 50Meter ist. Bei Missachtung: 120 Euro, ein Punkt.
LINKSFAHRVERBOT
§ 7 III c StVO stellt für Lastkraftwagen ab 3,5 Tonnen sowie für alle Kraftfahrzeuge mit Anhänger ein Linksfahrverbot auf Fahrbahnen für eine Richtung mit mindestens drei Fahrstreifen außerhalb geschlossener Ortschaften auf.
Diese Regelung enthält kein ausdrückliches Überholverbot, sondern beschränkt die Benutzung dieses Fahrstreifens ausschließlich für das Einordnen zum Zweck des Linksabbiegens. Wird dabei an anderen Fahrzeugen auf den jeweils rechten Fahrstreifen links vorbeigefahren, ist es zulässig. Die Konsequenzen eines Verstoßes gegen diese Pflicht sind deshalb nicht so gravierend wie die eines Verstoßes gegen das Lkw-Überholverbot (Zeichen 277): 15 Euro Verwarnungsgeld, im Falle einer Behinderung 20 Euro.
RECHTS ÜBERHOLEN
§ 7 Abs 2a StVO erlaubt das Rechtsüberholen einer Fahrzeugschlange. Voraussetzung ist, dass die Fahrzeugschlange auf dem jeweils linken Fahrstreifen steht oder langsam fährt. In diesem Fall darf mit geringfügig höherer Geschwindigkeit und mit äußerster Vorsicht rechts überholt werden. Das bedeutet in der Praxis: Der Verkehr auf dem linken Fahrstreifen steht oder bewegt sich mit einer Geschwindigkeit von höchstens 60 km/h voran. Es darf mit einer Differenzgeschwindigkeit von bis zu 20 km/h rechts vorbeigezogen werden, schneller als 80 km/h darf der Überholende also nicht fahren. Wer das nicht einhält, überholt unzulässigerweise rechts. Die Folgen bei Zuwiderhandlung: 100 Euro und ein Punkt.
Überholverbot auf zweispurigen Autobahnen?
Der zu Redaktionsschluss amtierende Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt hatte das schon leidige Thema Lkw-Überholverbot auf zweispurigen Autobahnen kürzlich wiederentdeckt: Er habe die Bundesanstalt für Straßenwesen (BAST) gebeten, diesbezüglich eine Untersuchung durchzuführen, meldeten Medien Ende August.
Die Idee ist natürlich nicht neu und temporäre Überholverbote an neuralgischen Autobahnabschnitten gibt es bereits. 2002 berichtete TRUCKER über eine Internetumfrage, nach der 55 % von über 1600 befragten Bürgern für ein solches Verbot waren. Im selben Jahr beschäftigte sich der Deutsche Verkehrsgerichtstag mit dem Thema. 2016 schließlich tauchten Überlegungen zum Überholverbot im CSU-Grundsatzprogramm auf.
Doch welche Folgen hätte ein solches Verbot? Kilometerlange Lkw-Kolonnen auf der rechten Spur bei vermutlichem Höchsttempo von 60 km/h? Denn die Mindestgeschwindigkeit auf Autobahnen beträgt nunmal nur 60 km/h. Für die Transportwirtschaft hieße das: längere Transportzeiten, höhere Kosten. Kontrollierbar wäre die Einhaltung flächendeckend wohl ohnehin nicht. Dobrindt hatte das Thema zum Endspurt des Wahlkampfs aufs Tapet gebracht. Wir berichten weiter.