In Deutschland wird wieder gewählt. Vom 1. März bis 31. Mai wählen in vielen Firmen die Arbeitnehmer ihre Vertreter für die nächste Amtszeit. Die Neubesetzung des Arbeitnehmergremiums erfolgt alle vier Jahre. Dass das Interesse der Mitarbeiter daran groß ist, zeigt etwa die Wahlbeteiligung von 2010: 81 Prozent der wahlberechtigten Arbeitnehmer gaben damals ihre Stimme ab.
Doch längst nicht in jedem Betrieb gibt es einen Betriebsrat. Die repräsentativen Daten des IAB-Betriebspanels 2012, einer jährlichen Befragung von Unternehmen im Auftrag des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigen, dass gerade in kleinen und mittleren Firmen häufig kein Betriebsrat existiert: Nur knapp jeder 17. Kleinbetrieb mit bis zu 50 Mitarbeitern hat einen.
EIN POSITIVES KLIMA IM BETRIEB KANN UMSCHLAGEN
Warum ist das so? Kleinere Unternehmen werden oft noch vom Inhaber persönlich geführt. Der agiert nicht selten nach dem Motto: "Meine Tür steht immer offen. Wir brauchen keinen Betriebsrat." Die Initiative, einen solchen zu gründen, wird dann vom Chef mit mehr oder minder offenen Drohgebärden im Keim erstickt. Das ablehnende Klima auf Arbeitgeberseite spiegelt sich auch in der Kommunikation wieder. Das Unwort des Jahres 2009 lautete "betriebsratsverseucht". Es wurde von Abteilungsleitern der Baumarktkette Bauhaus für Filialen mit Betriebsrat verwendet - eine entlarvende, sprachliche Entgleisung.
Dabei ist eine betriebliche Mitarbeitervertretung enorm wichtig. Denn auch ein positives Arbeitsklima und ein guter Draht zum Chef können irgendwann ins Gegenteil umschlagen. Dass der von inhabergeführten Unternehmen häufig propagierte "Runde Tisch" oder ein Fahrer- oder Belegschaftssprecher nicht die gleiche Stabilität haben, zeigen ebenfalls Daten aus dem IAB-Betriebspanel. Unter diesen Gremien gebe es eine große Fluktuation, heißt es in der Erhebung. Ein Großteil von ihnen existiere nur über einen relativ kurzen Zeitraum, gleichzeitig würden viele Jahr für Jahr neu gegründet.
"Diese Gremien haben außerdem nicht die gleichen Mitbestimmungsrechte und Überwachungspflichten, die das Betriebsverfassungsgesetz Betriebsräten gibt", sagt Detlef Dreyer, Referent im Bereich Logistik bei der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. "Ein Betriebsrat ist unter anderem zuständig für die Überwachung der Einhaltung von Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen und anderen Schutzvorschriften", so Dreyer. Er wacht auch über die zu Gunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze und Verordnungen und vertritt die Belange besonders schutzbedürftiger Personen wie Schwerbehinderter, Jugendlicher, älterer und ausländischer Arbeitnehmer.
In zahlreichen Bereichen darf er auch selbst aktiv werden und Verbesserungsvorschläge machen, mit denen der Arbeitgeber sich dann auseinandersetzen muss. "Er ist zudem Ansprechpartner, wenn es um Interessenausgleich und Sozialplan bei Betriebsänderungen und -schließungen geht - ohne Betriebsrat gibt es keinen gesetzlich verankerten Rechtsanspruch darauf", so der Gewerkschafter. Seine Kompetenzen sind vor allem in den Paragrafen 87 bis 113 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) geregelt. Dreyer: "Der Betriebsrat muss zum Beispiel vor jeder Neueinstellung oder Versetzung von Kollegen unterrichtet werden und zustimmen. Außerdem ist er vor jeder Kündigung anzuhören. Eine ohne die Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung wäre allein schon aus diesem Grund unwirksam." Echte Mitbestimmungsrechte - die stärkste Form der Beteiligung im Betrieb - stehen ihm in sozialen Angelegenheiten zu. Wolle der Arbeitgeber etwa Arbeitszeitregelungen für Fahrer treffen oder Urlaubspläne aufstellen, bestimme der Betriebsrat auf Augenhöhe mit, so Detlef Dreyer.
Doch wie kommen Mitarbeiter in der Transport- und Speditionsbranche zu einem Betriebsrat, wenn es noch keinen gibt? "Auch wenn Betriebsratswahlen turnusmäßig alle vier Jahre stattfinden - wer noch keinen hat, muss nicht bis 2018 warten", sagt Alexander Bredereck, Fachanwalt für Arbeitsrecht in der Kanzlei Bredereck und Willkomm, Berlin. "Gibt es bisher noch keinen Betriebsrat, kann auch außerhalb dieses Zeitraumes jederzeit gewählt werden." Die erste Amtszeit würde sich dann entsprechend verkürzen oder verlängern, um in den Vierjahresturnus hineinzukommen, so der Anwalt.
Gewählt werden darf auch schon in ganz kleinen Betrieben: Es bedarf lediglich fünf ständig wahlberechtigter Arbeitnehmer, von denen drei wählbar sein müssen (§ 1 BetrVG). "Wahlberechtigt", erklärt Bredereck, "sind alle Arbeitnehmer, die am Wahltag 18 Jahre alt sind." Dazu zählten auch Aushilfen, Auszubildende, Teilzeitkräfte, Mitarbeiter im Außendienst und in der Elternzeit. "Auch Leiharbeitnehmer werden mit eingerechnet, wenn sie länger als drei Monate im Betrieb sind. Wählbar sind alle volljährigen Mitarbeiter mit mindestens sechsmonatiger Betriebszugehörigkeit", sagt Bredereck. Leiharbeitnehmer könnten im Einsatzbetrieb allerdings nicht in den Betriebsrat gewählt werden.
FÜR DIE GRÜNDUNG REICHEN DREI WÄHLBARE MITARBEITER
Die Wahl selbst läuft in zwei Schritten ab: Zunächst müssen drei wahlberechtigte Arbeitnehmer oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft die Initiative ergreifen. Sie laden die Mitarbeiter zu einer Betriebsversammlung ein. Auf dieser ersten Versammlung wird von der Mehrheit der anwesenden Arbeitnehmer ein Wahlvorstand gewählt, der sich um die Organisation der Betriebsratswahl kümmert. Später erfolgt dann die eigentliche Wahl.
Wer in dem ganzen Paragrafen-Dschungel nicht durchblickt, kann sich helfen lassen. So unterstützt zum Beispiel die Gewerkschaft Verdi bei der Gründung eines Betriebsrats. Man kann aber auch, davon ist Arbeitsrechtsanwalt Bredereck jedenfalls überzeugt, eine Betriebsratswahl ohne externe Hilfe hinbekommen: "Inzwischen gibt es im Internet und von Verlagen gute Handlungsanleitungen. Oft ist es gar nicht so schwierig."
KÜNDIGUNGSSCHUTZ FÜR DIE BETRIEBSRATSMITGLIEDER
Viele Mitarbeiter fürchten jedoch, dass es ihnen so oder so ähnlich geht wie 2012 den Kollegen in der Offenbacher Niederlassung von Dachser: Drei Arbeitnehmer aus dem Lagerbereich hatten die Initiative ergriffen. Die Geschäftsleitung war nicht begeistert. Beschäftigten, die "unerlaubt" zur Wahlversammlung gingen, wurde mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen gedroht. Die Versammlung selbst wurde so gestört, dass sie nach einer Stunde abgebrochen werden musste. Die Dachser-Zentrale hatte zudem versucht, die Versammlung vorab durch eine einstweilige Verfügung zu unterbinden. Letztlich bestellte das Arbeitsgericht Offenbach einen Wahlvorstand. Den Betriebsrat konnte Dachser nicht verhindern.
Das zeigt, dass der Chef eine Betriebsratsinitiative nicht so leicht abbügeln kann. Das BetrVG sagt sogar: "Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer die Wahl eines Betriebsrates behindert oder durch Zufügung oder Androhung von Nachteilen oder durch Gewährung oder Versprechen von Vorteilen beeinflusst" (§ 119 BetrVG). Dass es dem Gesetzgeber ernst ist, beweist er auch an anderer Stelle. "Einem Betriebsratsmitglied darf während seiner Amtszeit und ein Jahr darüber hinaus nicht ordentlich gekündigt werden, er genießt besonderen Kündigungsschutz", erklärt Christopher Koll, Fachanwalt für Arbeitsrecht in der Düsseldorfer Kanzlei Bell und Windirsch. Das regelt § 15 des Kündigungsschutzgesetzes. Trennt sich der Arbeitgeber dennoch, ist die Kündigung unwirksam. "Geschützt sind aber nicht nur amtierende Betriebsratsmitglieder, sondern auch schon die Arbeitnehmer, die zur Wahlversammlung einladen, der Wahlvorstand und Wahlbewerber", so der Anwalt.
Das ist allerdings kein Freibrief. "Eine außerordentliche, fristlose Kündigung ist immer möglich", erklärt Koll. "Dazu muss allerdings ein wichtiger Grund vorliegen, wie beispielsweise ein Griff in die Kasse. Und: Der Arbeitgeber benötigt die Zustimmung des Betriebsrats." Der erfahrene Anwalt - er führt unter anderem Schulungen für Betriebsratswahlen durch - hat allerdings schon miterlebt, dass solche Straftaten vom Arbeitgeber fingiert werden. Das macht Arbeitsgerichte allerdings hellhörig, sie sehen hier genau hin. Gibt es im Betrieb noch keinen Betriebsrat und müssen die Mitarbeiter über die Einladung zur Wahlversammlung gehen, rät der Anwalt zur Vorsicht: "Ich empfehle, sich zwei zuverlässige Mitstreiter zu suchen und die Initiative im stillen Kämmerlein zu beschließen. Die Belegschaft und der Arbeitgeber erfahren so erst mit der Einladung zur Wahlversammlung von der Initiative. Damit kann der Arbeitgeber nicht schon im Vorfeld gegen die Initiatoren vorgehen. Ab der Einladung zur Wahlversammlung genießen sie dann schon besonderen Kündigungsschutz."
BETRIEBSRATSMITGLIEDER SIND EHRENAMTLICH TÄTIG
Wie sensibel das Thema Betriebsrat ist, zeigt auch, dass sich kaum jemand offiziell über seine Arbeit äußern möchte, wie uns das etwa im Falle von Greiwing-Fahrer und Betriebsrat Hannes Rohr (siehe Heft 11/2012) vor anderthalb Jahren gelang. Oft heißt es: "An die Öffentlichkeit würden wir nur gehen, wenn es extrem schlecht oder extrem gut läuft." Beides scheint wohl selten der Fall, man arrangiert sich.
Wie viele Mitglieder ein Betriebsrat hat, richtet sich nach der Anzahl der wahlberechtigten Arbeitnehmer. "So besteht in Speditionen mit fünf bis zu 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern der Betriebsrat aus einer Person, bei 21 bis 50 Mitarbeitern sind es drei Mitglieder", sagt Anwalt Bredereck. Bei der Betriebsratstätigkeit handelt es sich zwar um ein Ehrenamt. Das heißt aber nicht, dass es in der Freizeit wahrgenommen werden muss. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die Mitglieder des Betriebsrats im erforderlichen Umfang von ihrer beruflichen Tätigkeit freizustellen. In großen Betrieben ab 200 Arbeitnehmer muss mindestens ein Mitglied komplett freigestellt werden. Bredereck: "Findet ein Termin betriebsbedingt außerhalb der Arbeitszeit statt, hat das Betriebsratsmitglied Anspruch auf Freizeitausgleich."
Dass viele Fragen aus der täglichen Arbeit des Betriebsrates einen juristischen oder wirtschaftlichen Hintergrund haben, mag abschreckend wirken. Doch das Knowhow lässt sich aneignen. Einige Schulungsanbieter haben sich auf die Vermittlung von Betriebsrats-Wissen spezialisiert. Auch die Gewerkschaften sind im Fortbildungsbereich hervorragend aufgestellt. "Die Kosten für die erforderlichen Seminare, also Seminargebühren, Reise-, Übernachtungs- und Verpflegungskosten und die Freistellung für den Seminarbesuch trägt der Arbeitgeber, ebenso wie die übrigen durch die Tätigkeit des Betriebsrats entstehenden Kosten", sagt Verdi-Mann Dreyer. Für Sitzungen, Sprechstunden und die laufende Geschäftsführung sind in erforderlichem Umfang Räume, Schreibmaterial, aktuelle Gesetze und Kommentare, Telefon, Fax und Computer zur Verfügung zu stellen.
BESSERER ZUSAMMENHALT IN DER FIRMENBELEGSCHAFT
Vielen Arbeitgebern ist es ein Dorn im Auge, dass sie ihren vermeintlichen "Feind" auch noch finanzieren müssen. Man kann das Ganze jedoch auch aus einem anderen Blickwinkel betrachten: Gemeinsam getroffene Entscheidungen werden durch die Belegschaft mitgetragen. Damit verbessert sich nicht nur der Zusammenhalt in der Firma, sondern es herrscht auch eine andere Kommunikation. Das kann sich gerade in Krisenzeiten bezahlt machen.
Anwalt Bredereck rät Arbeitgebern daher, den Betriebsrat möglichst als das zu betrachten, was er ist: "Ein zusätzliches Instrument im Betrieb. Wichtiger als eine Wahl mit allen Mitteln zu verhindern, ist, wer letztlich im Betriebsrat sitzt und wie derjenige seine Tätigkeit ausübt", sagt er. Vielleicht können diese Argumente helfen, auch einen kritischen Chef mit ins Boot zu holen. Mit einer ideologiefreien Betrachtungsweise können vielleicht auch skeptische Chefs der Gründung bzw. dem Bestehen eines Betriebsrats etwas Positives abgewinnen.