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Von Yunnan nach Tibet: Auf dem Weg nach Shangri-La

05.11.2018 08:00 Uhr
Von Yunnan nach Tibet: Auf dem Weg nach Shangri-La
Auf dem Weg über den Himalaya sind Lkw-Fahrer in sagenhaften Höhen unterwegs
© Foto: Claude Barutel

Um die Provinzen Südchinas mit Tibet zu verbinden, baute man eine Straße über den Himalaya. Lkw-Fahrer sind hier in sagenhafter Höhe unterwegs.

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Eine Schar Kipplader hinterlässt eine Staubwolke auf der holprigen Straße. Weiter unten fließt ruhig der Jangtsekiang. Hier gleicht der asiatische Rhein noch nicht jener "Fluss-Autobahn", die China auf einer Länge von über 6380 Kilometern in zwei Teile teilt und dabei drei Viertel der Reisfelder im ganzen Land bewässert. Dumpfe Detonationen durchbrechen die Stille der Berge um uns herum. Inmitten der Gebirgslandschaft wird eine Passage für die Eisenbahnstrecke gesprengt, die später die Provinz Yunnan mit Tibet verbinden wird. Es ist eine ingenieurtechnische Herausforderung, an die wir dank der Behörden in Peking gewöhnt sind. Die Chinesen sind wahre Meister der Baukunst, schon immer haben sie gewusst, dass der Handel von den Kommunikationswegen abhängt.

LKW-FAHRER MÜSSEN TALENT HABEN, UM ES ÜBER DIE PÄSSE ZU SCHAFFEN

In nur wenigen Jahrzehnten entstand ein immenses Netz aus Straßen, Luftwegen und Eisenbahnstrecken, die sich durch das Land schlängeln. Eine Eisenbahnstrecke in Höhenlagen über 5000 Metern, die Lhasa mit dem Rest des Landes verbindet, haben die Chinesen innerhalb weniger Jahre fertiggestellt, ohne dass der Rest der Welt etwas von dem Bau mitbekommen hat. Lee, dessen Hände das Lenkrad fest umklammern und der eine Zigarette nach der anderen raucht, hat keine Augen für die beeindruckende Brücke, die sich über ihm aufbaut. Seinen Lkw steuert der rundliche Chinese mit dem Feingefühl einer Ballerina.

Der Mann ist vom Fach. Wenn man das nicht ist, überlebt man keine zehn Jahre auf den Straßen des Himalaya. Neben einer ordentlichen Prise Glück muss man auch ein gewisses Talent haben, um mit Steinschlägen, der Höhenkrankheit, atemberaubenden Schluchten und der selbstmörderischen Fahrweise der Chinesen zurechtzukommen. Los ging es in Kunming, der Provinzhauptstadt von Yunnan. Die geladenen Baustoffe müssen nach Lhasa. Wie 80 Prozent der lokalen Fahrer ist auch Lee Eigentümer seines Lkw. Es gibt also keinen Grund, unterwegs den Fuß vom Gas zu nehmen.

MITTELSMÄNNER UND SCHMIERGELDER SCHMÄLERN DEN GEWINN

Lee hat vier Tage gebraucht, um eine Ladung mit Ziel Lhasa zu finden. Das ist die Achillesferse seines Berufsstandes. Während die chinesische Regierung Unsummen in den Bau von Flughäfen und Strecken für den Hochgeschwindigkeitsverkehr steckt, werden 80 Prozent der Waren innerhalb des Landes noch immer mit dem Lkw transportiert. Die Fahrer benötigen mehrere Tage, um eine Ladung zu finden. In den Großstädten stehen Tausende von Lkw auf riesigen Parkplätzen inmitten des unerträglichen Gestanks der Abgase.

Die Lebensbedingungen der Fahrer lassen sogar die Hartgesottensten unter uns erschaudern. Als neue Sklaven der Straße müssen sie zunächst eine Vielzahl von Mittelsmännern passieren, um an Kunden zu kommen. Der Spielraum, der ihnen angesichts der Zielorte gewährt wird, ist klein. Die zumeist familiengeführten Transportunternehmen müssen sich beim Lkw-Kauf hoch verschulden und viele Schmiergelder zahlen, um ihre 35-Tonner ausladen zu können. Die Fahrer sind unterbezahlt, die Gewinne minimal und die Arbeitsbedingungen entsetzlich. Aber das ist der Preis, wenn sie sich über Wasser halten wollen. Mit Sicherheit erklärt dies auch den Zustand von Lee: Er ist müde, schon bevor er das Lenkrad in die Hände nimmt. Aber Energie wird er benötigen, um die Tour zu schaffen, die vor ihm liegt: über 2000 Kilometer durch Berge mit oftmals 7000 Höhenmetern.

Die Strecke ist wunderschön. Ein perfektes Straßennetz durchzieht die Landschaft. Schwer vorstellbar, dass hier vor nicht allzu langer Zeit Karawanen mit Yaks und Maultieren unterwegs waren, um Tee über Tausende Kilometer nach Tibet zu befördern. Der wertvolle Tee - besonders die Mönche schätzen ihn - wurde gegen Pferde eingetauscht, die die chinesische Kavallerie benötigte, um sich vor den nomadischen Völkern aus dem Norden zu schützen.

REPORTER WIE TOURISTEN WERDEN VON DER HÖHENKRANKHEIT GEPLAGT

Auch heute noch ist die Route aus strategischer Sicht und für den Handel von höchster Bedeutung. An die einstigen Maultierpfade erinnert jedoch nichts mehr. Über Brücken in schwindelerregender Höhe, sich aneinanderreihende Tunnel und Serpentinen werden 4000 Meter hohe Gebirgspässe bezwungen. Die unzähligen Lkw sind vollgestopft mit allem, was China produzieren kann. Wie die meisten seiner Kollegen fährt auch Lee mit weißen Handschuhen. Ich kann nicht sagen, ob er dabei an saubere Hände oder eher an ein sauberes Lenkrad denkt.

Je höher wir fahren, desto trockener und dünner wird die Luft. Ich bekomme dumpfe Kopfschmerzen und habe das Gefühl, dass mein Kopf in einen Schraubstock eingezwängt ist: die ersten Anzeichen einer Höhenkrankheit. Lee bietet mir Tee an, den er in seiner Thermoskanne immer griffbereit hat. Ich muss trinken. Wir befinden uns praktisch auf Höhe des Mont Blanc, die Luft enthält hier 40 Prozent weniger Sauerstoff als am Meer. Damit sich der Körper an die ungewohnte Höhe anpassen kann, muss der Aufstieg langsam und stufenweise erfolgen. Vor uns hat gerade ein chinesischer Reisebus gehalten. Ein Dutzend Touristen erbricht sich am Straßenrand und schert sich nicht um die atemberaubende Schönheit der Landschaft.

Lee schenkt ihnen keinerlei Beachtung. Er konzentriert sich voll auf seinen Lkw und der Sauerstoffmangel macht ihm nichts aus. Er stammt aus einem kleinen Dorf in den Bergen.

Seine Lunge ist an die dünne Luft gewöhnt und praktisch doppelt so groß wie meine. Schwierigkeiten hat er eher in tieferen Gefilden oder bei hohen Temperaturen.

Lee steuert einen chinesischen Lkw, einen Howo von Sinotruck mit 440 PS und sechs Zylindern, der die Gebirgspässe mit Leichtigkeit bezwingt. Der Lkw der neuesten Generation wird in Zusammenarbeit mit MAN gebaut , aber die Qualität im Hinblick auf die Konstruktion und die verwendeten Materialien lässt zu wünschen übrig. Bereits nach einigen Hunderttausend Kilometern beginnt der Lkw zu vibrieren. Um einem chinesischen Fahrer die Lust zu nehmen, reicht das aber nicht. Er ist Schlechteres gewohnt. Im Gegensatz zu früher hat Lee jetzt eine komfortable Kabine, in der er sich richtig ausruhen kann. Das Fahrzeugdesign kommt einem ohnehin sehr bekannt vor. Dass das Urheberrecht munter ignoriert wird, sieht man an diesem chinesischen Lkw mit dem überraschenden Namen JAC, der einem Scania zum Verwechseln ähnlich sieht ...

IN DIESER REGION IST ES NICHT DER SCHNEE, DER DIE LKW BREMST

Anders als man denken könnte, stellen winterliche Fahrbedingungen nicht die größte Herausforderung dar. Es ist vielmehr der Monsunregen im Sommer, den die Fahrer am meisten fürchten. Denn in dieser Zeit fallen 90 Prozent des Jahresniederschlags. "Durch Erdrutsche und Schlammlawinen kann die Straße dann über mehrere Tage unpassierbar sein", erklärt Lee. "Es ist aber auch Hochsaison und der Tourismus verschafft uns die meiste Arbeit." Bei der wirtschaftlichen Entwicklung dieser Region setzt die Regierung in erster Linie auf den Tourismus. Vor einigen Jahren hat sie dieser Stadt am Ende der Welt in 3200 Metern Höhe den sagenumwobenen Namen Shangri-La gegeben, um Besucher anzuziehen. Mit dem entsprechenden Großaufgebot an Marketing scheint das auch zu funktionieren. So findet sich in Lees Anhänger während der Sommermonate all das, was die Touristen brauchen.

DER REGIERUNG IST DIE ZERSPLITTERTE BRANCHE EIN DORN IM AUGE

Lee hat das gesamte Geld seiner Familie in den Kauf des Lkw gesteckt. Zwei Drittel der neun Millionen Transportunternehmen Chinas haben nur ein einziges Fahrzeug. "Ich verbringe praktisch die Hälfte der Zeit mit der Suche nach einer Ladung", erläutert Lee. In seiner Stimme schwingt Empörung mit: "Und mit den Mautgebühren, die ich auch zahlen muss, komme ich wirklich nur schwer über die Runden." Mit einem Lkw, der nicht fährt, verliert man Geld.

Die zergliederte Transportbranche ist für die chinesische Wirtschaft ein rotes Tuch. Die Regierung will nun einen Vermittlungsdienst à la Uber für die Transportbranche schaffen, in dem jeder Lkw lokalisiert wird, sodass Fahrer schneller eine Ladung finden. Auch soll vermieden werden, dass sich zu viele Fahrer an einem Ort konzentrieren. 2017 haben sich die zwei größten "Uber For Trucks"-Unternehmen zusammengeschlossen, arbeiten jetzt mit über fünf Millionen Lkw zusammen und helfen so, mehrere Milliarden Euro für Kraftstoff zu sparen. Die fusionierten Unternehmen wollen künftig ihren Fahrern auch Versicherungen, Darlehen und Mautkarten anbieten. Eine wahre Revolution für die Branche, die Lee kaum erwarten kann. Claude Barutel

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