Die Motoren der Lastwagen auf dem großen, von Kautschukbäumen gesäumten Parkplatz laufen. Auf Hochglanz poliert stehen sie - die Helden des Tages - perfekt in Reih und Glied. Auf einem Gabelstapler ist ein wahrer Festschmaus angerichtet. Gebratenes Schwein, gegrillter Fisch, Alkohol in Hülle und Fülle: Das chinesische Neujahrsfest wird gebührend gefeiert, auch, um allen zu zeigen, wie gut die Geschäfte laufen. Die Eignerfamilie des Transportunternehmens hat sich mächtig ins Zeug gelegt. Mit Räucherstäbchen in der Hand geht einer der Söhne die Lastwagen ab. Vor jedem Wagen hält er inne und spricht ein inbrünstiges Gebet, damit die Geschäfte florieren und es zu keinen Unfällen kommt. Denn alle Astrologen sind sich einig: Im Jahr des Feuerhahns muss noch härter gearbeitet werden, um Wohlstand zu erlangen. "Nur persönlicher Einsatz wird belohnt", flüstert mir der Vater der Geschwister zu: "Gute Umsätze werden nur mit harter Arbeit erzielt." Nun kann die Feier beginnen.
Nachdem vor jeden Lastwagen ein Glas Bier gestellt wurde, fallen Angestellte, Fahrer und Chefs über das Essen her und schon nach kurzer Zeit ist alles verspeist. Ein Trinkgelage ist allerdings nicht vorgesehen, denn dieses neue Jahr muss in Hochform angegangen werden.
Das morgendliche Ritual ist immer gleich: Noch vor Sonnenaufgang, im Schein einer Stirnlampe, schneidet der "Zapfer" die Stämme seiner fünfhundert Kautschukbäume mit einem Messer ein, sodass der wertvolle Milchsaft austritt, der anschließend als Naturkautschuk zu breiten Matten verpresst wird. Zu dieser frühen Stunde ist der Latex flüssig und die Temperaturen sind erträglich.
Wenige Kilometer entfernt wartet der Lkw-Fahrer Chuwit geduldig darauf, dass sich der Tank seines Anhängers mit dieser unglaublichen und vielfältig verwendbaren Flüssigkeit füllt. Wenn der Tank voll ist, fährt Chuwit nach Sadao an die malaysische Grenze, wo sich eines der größten Werke für die Herstellung medizinischer Handschuhe befindet. Chuwit ist um die dreißig, er hat eine freundliche Ausstrahlung, einen betont maskulinen Schnauzbart und einen Pferdeschwanz, der ihm einen modernen Look verleiht. Seit einigen Jahren ist er als Fahrer tätig und arbeitet ausschließlich im Latextransport. Der Beruf gefällt ihm, da er gut verdient und bei seiner Familie bleiben kann.
Der Radius seiner Tätigkeit beschränkt sich auf den Süden Thailands, sodass er praktisch jeden Abend nach Hause fahren kann. Es sind jedoch schwere Zeiten angebrochen und die Zu--> kunft seines Berufsstands ist ins Wanken geraten. Denn in den vergangenen Jahren lag der Kautschukpreis auf niedrigstem Niveau. Zum Glück für Chuwit stabilisierte sich 2017 der Markt wieder etwas (siehe Kasten oben).
DER VERGESSENE KRIEG IM SÜDEN SPALTET DIE BEVÖLKERUNG
Entlang der Tour gibt es mehr und mehr Sicherheitsabsperrungen und Polizeikontrollen. Während er eine Zigarette nach der anderen raucht, sieht Chuwit immer wieder aufmerksam in den Rückspiegel. Vor einer knappen Stunde haben wir die unsichtbare Grenze zwischen dem buddhistischen und dem gefährlichen muslimischen Thailand passiert. Nun sind Moscheen, verschleierte Frauen und überbewaffnetes Militär allgegenwärtig. Nur 600 Kilometer vom Touristenidyll Phuket entfernt vergeht nicht ein Tag ohne einen Bombenanschlag, Beamtenmord oder Brandanschlag auf öffentliche Gebäude. In elf Jahren starben über 6500 Menschen in dem vergessenen Krieg zwischen der thailändischen Armee und muslimischen Separatisten, die Unabhängigkeit fordern.
Wie fast 90 Prozent der thailändischen Bevölkerung ist auch Chuwit Buddhist. Er kann es nicht lassen, mit hasserfüllten Blicken auf die "Libyer" zu schauen. "Libyer" werden sie hier genannt, da man glaubt, dass sie in der ehemaligen Terrorhochburg Gaddafis ausgebildet wurden. Wild gestikulierend zählt Chuwit Gräueltaten der muslimischen Rebellen auf, vor allem jene an buddhistischen Mönchen, die geköpft oder bei lebendigem Leib verbrannt wurden, da sie für die Regierung in Bangkok stehen. "Morgens, wenn die Mönche Almosen von den Gläubigen sammeln, werden sie zu ihrem Schutz von bewaffneten Soldaten begleitet", erklärt er angewidert von so viel Hass und Gewalt.
Dabei ist der Süden Thailands keineswegs unterentwickelt, im Gegenteil: Milliarden Dollars hat der Staat in den Straßenbau und öffentliche Dienste investiert, um die Bevölkerung zufriedenzustellen. Doch mittlerweile gleicht die Region mit ihren 60.000 verängstigt patrouillierenden Soldaten einem Militärcamp. Auf sieben Haushalte kommt ein Soldat oder Polizist - ohne großen Erfolg. Chuwit betont immer wieder: "Ich bin hier geboren und habe nicht vor, wegzugehen. Sie werden es nicht schaffen, mich von hier zu vertreiben."
KÜHLTRANSPORTER AUS DEM GANZEN LAND ERWARTEN DIE FISCHKUTTER
Etwas weiter im Norden, am Fischereihafen Ranong, herrscht buntes Treiben. Auf der Terrasse einer Bar lässt es sich ein rotgesichtiger, tätowierter Europäer gut gehen und eine zierliche Thailänderin auf seinen Knien hopsen, die ihm gerade mal bis zur Schulter reicht. Schon zu dieser frühen Stunde ist sein Blick glasig. Er wartet auf die Öffnung des Zolls, um einen kurzen Abstecher ins benachbarte Burma zu machen und so sein thailändisches Visum zu verlängern.
Es ist auch die Zeit, zu der die Bäuche der Fischerboote Tonnen von frischem Fisch freigeben, der von unzähligen Fahrern von Kühltransportern aus dem ganzen Land bereits ungeduldig erwartet wird. Ranong ist der wichtigste Fischereihafen Thailands: Unentwegt gleiten Fischkutter durch die Andamanensee. Zwei Drittel des in den Vororten abgepackten Fischs sind für den Export nach Europa und Amerika bestimmt. Hier treffen wir den Fahrer Wimon. Nachdem er seine Tom Yam, die für Thailand typische Suppe, verspeist hat, die dank ihrer Gewürze selbst robusteste Krankheitserreger abtötet, beruhigt Wimon seine brennende Kehle mit einem lauwarmen Tee, während er überwacht, wie die Fische sortiert werden.
Ich versuche, möglichst wenig aufzufallen. Hier sind Fotografen nicht willkommen, und dies aus gutem Grund: Der Erfolg der Fischerei-Industrie im Süden Thailands basiert größtenteils auf illegal eingereisten Birmanen, die über den schmalen Meeresarm gekommen sind, der die beiden Länder voneinander trennt, um auf den Fischerbooten und in den Verarbeitungsbetrieben zu arbeiten. Für einen miserablen Lohn und unter entsetzlichen Arbeitsbedingungen schneiden, sortieren und waschen sie den Fisch, der in die ganze Welt exportiert wird.
Wimon interessiert das alles nicht. Er ist Fahrer für eines der größten Transportunternehmen der Stadt. Die Lastwagen fahren zwischen Ranong und Bangkok hin und her, über 1200 Kilometer für eine Hin- und Rückfahrt. Ein Luxusjob, verglichen mit der Arbeit der Birmanen, die er aufgrund der wiederholten Kriege zwischen den beiden Ländern verachtet. Am Zielort, dem Hafengelände von Bangkok, das pure Chaos: Kühltransporter, mit tropfendem Fisch überladene Dreiräder, Großhändler, beschämende Prostitution, bittere Armut.
SEHR GUT AUSGEBAUTE STRASSEN, JEDOCH UNZÄHLIGE VERKEHRSTOTE
Die Straße nach Bangkok ist zwar lang, aber gut ausgebaut. Auf vier Spuren werden Städte umfahren, eine zusätzliche breite Fahrbahn auf beiden Seiten ist für Fahr- und Motorräder gedacht. Ein hervorragendes Straßennetz, das einen Vergleich mit Europa nicht scheuen muss, und dennoch ist Thailand eines der Länder mit den meisten Verkehrstoten weltweit.
Allein in der letzten Jahreswoche 2016 sind trotz verstärkter Polizeipräsenz und Straßenkontrollen fast 500 Menschen ums Leben gekommen. Beim schwersten Unfall, bei dem ein Lastwagen frontal mit einem Bus zusammengestoßen ist, starben 25 Menschen. Drogen, Amphetamine, Alkohol und Geschwindigkeit sind verantwortlich für diesen mörderischen Wahnsinn. Die Behörden sind sich dessen sehr bewusst und haben vor einigen Monaten für das Fahren unter Alkoholeinfluss eine neue Strafe eingeführt, die schockierend wirken soll: Verkehrssünder müssen nunmehr ein Praktikum in einer Leichenhalle absolvieren. Angesicht der Gewalt, die in dieser Region herrscht, ist nicht sicher, ob diese Maßnahme Früchte tragen wird.
Wie seine thailändischen Kollegen gibt auch Wimon Vollgas, ohne sich groß für Verkehrsteilnehmer mit kleineren Gefährten zu interessieren. Dass heute neben ihm ein Ausländer sitzt, scheint keinen Einfluss auf seine Fahrgewohnheiten zu haben. Er erklärt mir, dass er keine Zeit zu verlieren hat, wenn er pünktlich auf dem Markt in Bangkok sein will. Zudem ist sein Verdienst direkt an die zurückgelegten Fahrten gekoppelt, die er monatlich schafft. Also zögert er nicht und gibt Gas.
Während wir in einem Restaurant zu Mittag essen, zeigt das Fernsehen Bilder des letzten Bombenattentats in Yala, einer Stadt ganz im Süden des Landes. Mehrere Tote, Verletzte - Routine. Die Fahrer schenken dem Beitrag keine Beachtung und widmen sich ganz ihrem Teller. Verkehrstote und dieser Krieg ohne Namen ... Der Tod ist Teil des Alltags. Lautes Stühlerücken. Dann wankt eine Gruppe volltrunkener Fahrer zu ihren Lastwagen. So wie es aussieht, wird sich also erst einmal nichts ändern ... Claude Barutel