Am liebsten wäre er am nächsten Tag gleich wieder ins Fahrerhaus geklettert und hätte weitergemacht, als wäre nichts gewesen, erzählt Gerhard Hohler. Der Herzinfarkt kam für den Fahrer aus Ottobeuren bei Memmingen völlig überraschend, die Diagnose war ein Schock. Das war 2011. Doch erst einmal musste er eine dreimonatige Zwangspause einlegen, die nach einem Infarkt für Fahrer vorgeschrieben ist. Umso glücklicher war er, als er endlich wieder fahren durfte. Denn für Gerhard war das Truckerleben Liebe auf den ersten Blick.
Angefangen hat diese Liebe bereits in der zweiten Klasse. Damals spielten seine Schulkameraden und er nachmittags bei der nahe gelegenen Kiesgrube, zu der täglich Lkw zum Beladen fuhren. "Jeder von uns hatte einen bestimmten Fahrer, bei dem er regelmäßig mitfahren durfte", erzählt er. "Das hat mich als Bub sehr fasziniert und ich wusste damals schon, dass ich auch mal Lkw fahren wollte."
WER DIESEN JOB LIEBT, DER BRAUCHT DIESEL IM BLUT
Eine Faszination, die Gerhard nicht mehr losgelassen hat. Heute fährt der 62-Jährige für das Baustoffwerk KBH in Lachen bei Memmingen. Mit seinem 40-Tonner, einem Mercedes Axor mit Kippauflieger, transportiert er Schlamm, der bei der Produktion im Werk anfällt, zum Entsorgen und nimmt anschließend wieder Kies für das Werk in einer nahe gelegenen Grube auf. Für die Tour benötigt er gut eineinhalb Stunden. "Ich liebe Lkw, egal welcher Fahrzeugtyp. Das Beherrschen der Kraft, die so ein Fahrzeug hat, gefällt mir. Das hat man im Blut und man kann es später auch nicht mehr lernen."
Dabei hat Gerhard auf einem ganz anderen Fortbewegungsmittel angefangen. Gelernt hat er bei der Bundesbahn, nachdem er mit 15 die Schule verließ. Als Bundesbahnassistent im mittleren Dienst verkaufte er jede Woche im Wechsel Fahrkarten am Schalter oder war Fahrdienstleiter im Stellwerk. Doch die Lkw faszinierten ihn weiterhin so sehr, dass er mit 21 den Führerschein und anschließend einen Lehrgang bei der Dekra zum Berufskraftfahrer machte. Seine erste Anstellung war dann auch genau bei dem Kieswerk, bei dem er als Schuljunge immer mitgefahren war. Im Laufe seiner Karriere ist Gerhard für Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen gefahren. Dazwischen war er auch zehn Jahre lang selbstständig, hatte als Unternehmer mehrere Fahrzeuge im Nachtexpress als KEP-Dienstleister und fuhr später auch im Fernverkehr quer durch Europa bis nach Spanien.
WIE DER VATER, SO DIE SÖHNE: SEINE JUNGS FAHREN AUCH LKW
Privat ist Gerhard Vater von drei Söhnen (31, 27 und 20), die alle selbst Berufskraftfahrer geworden sind und für ein anderes Baustoff-Transportunternehmen in derselben Gegend wie er fahren. Und alle drei schlagen nach dem Vater: Sie sind Fahrer aus Leidenschaft. Wen wundert es, denn Gerhards Ältester ist schon als Kind bei ihm mitgefahren. Wenn er für den Nachtexpress das Haus verlassen hat, wollte der Junge unbedingt mit. Also nahm er seine Frau und den Sohn kurzerhand auf die Tour mit. "Während ich gefahren bin, haben die beiden hinten auf der Liege geschlafen. Beim Ausladen wollte der Kleine dann unbedingt auf meinem Schoß im Gabelstapler mitfahren", erzählt Gerhard. "Als mal ein anderer Fahrer beim Abladen die Hebebühne nicht bedienen konnte, hat ihm mein sechsjähriger Sohn gezeigt, wie das geht. Da war ich schon sehr stolz."
Auch die anderen beiden Jungs sitzen mit Begeisterung hinter dem Steuer. "Die sind so blöd wie ich früher", sagt Gerhard und grinst. "Die sind immer am Polieren. Und natürlich braucht der Truck auch Lampenbügel, Halogenscheinwerfer und Alufelgen. Man muss bei ihnen im Fahrerhaus sogar die Schuhe ausziehen." Heute sind für ihn geregelte Arbeitszeiten wichtiger als das Äußere des Fahrzeugs. Das ist für ihn ein Arbeitsgerät. "Aber natürlich darf es auch schön aussehen", sagt er mit einem Augenzwinkern.
DAS TRUCKERLEBEN HAT SEINE LICHT- UND SCHATTENSEITEN
Den TRUCKER liest Gerhard bis heute regelmäßig - seit 40 Jahren. Besonders die Fahrzeugtests und Technik-News interessieren ihn. Und während die Fahrzeugtechnik sich größtenteils zum Positiven entwickelt habe, sieht er die ganze Branche eher mit gemischten Gefühlen. "Meine Söhne sind glücklich als Fahrer, aber sie müssen viel mehr arbeiten als ich. Fast jeden Abend sammle ich sie nach der Arbeit ein, da die Lkw-Stellplätze außerhalb im Industriegebiet liegen." An seinem jetzigen Job schätzt Gerhard das Vertrauen seines Chefs und die Freiheit, die er ihm lässt. Wegen dieser Freiheit hat er den Beruf überhaupt erst ergriffen und sich später selbstständig gemacht. In Zeiten des Fahrermangels werden Fahrer über 60 sowieso wieder händeringend gesucht. In seinen Augen hätte hier die Branche früher reagieren müssen. Die meisten würden für einen Subunternehmer fahren und schlecht verdienen. Dazu kämen die teilweise extremen Arbeitszeiten. Darauf müsste man die jungen Fahrer in der Lehre besser vorbereiten.
Fahren will Gerhard in jedem Fall noch bis 2022. Dann muss er seinen Führerschein verlängern und die Weiterbildungsmodule noch mal machen. Danach hält er sich offen, noch weiterzufahren, eventuell nur in Teilzeit. Das hängt vielleicht auch von seinen privaten Verpflichtungen ab. Denn Gerhard wünscht sich so sehr ein paar Enkelkinder, um die er sich als Opa kümmern kann. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.