Auf der kleinen Karibikinsel Barbados leben die Leute hauptsächlich von und mit dem, was irgendwo anders auf der Welt hergestellt wird. Die Zündhölzer sind aus Trinidad und Tobago importiert, die Marmelade aus Grenada. Der Instantkaffee kommt aus dem einstigen Mutterland Großbritannien, die Spielzeuge und Elektronikartikel (wie im Rest der Welt auch) mehr oder weniger ausschließlich aus China. Pkw stammen aus Japan, dort fährt man ja ebenfalls Rechtslenker, und in bescheidenerem Umfang aus den USA. Kaugummis und Erdnüsse holt man aus Florida. Ebenso wie die Mehrzahl der gebrauchten Trucks: Deutlich unterrepräsentiert sind die europäischen Marken, von denen man hauptsächlich solche sieht, die in Großbritannien produziert werden oder irgendwie mit dem Land in Verbindung stehen. Nur der Rum wird im eigenen Land produziert, hier wurde er angeblich auch erfunden.
Eine Mitarbeiterin von Calvin Alkins Customer Services CACS drückt die Situation auf Barbados in einem Satz aus: "Wir müssen alles importieren, einfach alles." Sie muss es wissen, denn CACS sitzt an der Schaltstelle zwischen Barbados und seinen zahlreichen Handelspartnern. Das kleine Unternehmen, zu dem auch ein Logistikdienstleister gehört, hat ein bescheidenes Büro am Rand des Hafengeländes von Bridgetown, erledigt für seine Kunden die Zollformalitäten und organisiert den Transport der Waren aus dem Hafen, über den der weitaus größte Teil der Importe abgewickelt wird, an den Bestimmungsort irgendwo auf der östlichsten der karibischen Inseln.
Das Transportgeschäft auf Barbados ist eine durchaus übersichtliche Angelegenheit. Kein Wunder, denn in dem Land leben gerade einmal so viele Menschen wie in einer mittelgroßen europäischen Stadt. Für zusätzliches Transportaufkommen sorgen dann noch die zahlreichen Kreuzfahrtschiffe, die in Barbados andocken, und Tausende sonnenhungriger Touristen, von denen die Wirtschaft des Landes zu einem großen Teil abhängt. In welchen Dimensionen sich das Truckinggeschäft hier abspielt, wird schnell klar, wenn man sich bei CACS umhört. Es gebe ein größeres Transportunternehmen, berichten die Mitarbeiter - das habe zwanzig Trucks laufen. Eine Flotte, die in Europa noch als Kleinbetrieb betrachtet wird, zählt also auf Barbados zu den ganz Großen.
DER ZWEITJOB EINIGER FAHRER: TRUCKING IN NORDAMERIKA
Die meisten Transportbetriebe haben auf der Karibikinsel nur eine Handvoll Fahrzeuge im Einsatz, es gibt viele selbstfahrende Unternehmer. Weil das Transportvolumen begrenzt und aufgrund der anhaltenden Wirtschaftsflaute zudem zurückgegangen ist, hat sich der Wettbewerb zwischen den Transporteuren weiter verschärft. Trotzdem gilt der Truckerjob hier noch als erstrebenswerter Beruf, in dem man gutes Geld verdienen kann. Üblich sind fixe Gehälter, der Wochenlohn liegt im Schnitt bei rund 500 Barbados-Dollar (umgerechnet etwa 250 US-$ oder 225 Euro). Vermutlich weil es mehr Leute mit Lkw-Lizenz als Cockpits gibt, haben sich manche Fahrer neben dem Job zu Hause eine Art zweite Existenz aufgebaut und gehen regelmäßig für einige Monate im Jahr nach Kanada, um dort als Trucker zu arbeiten. Im Norden des Kontinents finden sie ganz andere Arbeitsbedingungen vor, jedenfalls wenn sie auf kanadischen Highways unterwegs sind: Überspitzt ausgedrückt ist in Nordamerika eine Fahrbahn fast schon so breit wie zwei Spuren auf den engen Straßen in Barbados. Was auf der Insel als Highway bezeichnet wird, geht in Europa allenfalls als Gemeindeverbindungsstraße durch. Die kurvigen Straßen sind extrem schmal und oft von einem tiefen Graben begrenzt. Glaubt man den Fahrern, gibt es trotzdem vergleichsweise wenige Unfälle.
Für einen Zweitjob hoch oben im Norden hat Lkw-Fahrer Winston keine Zeit. Er wartet in der kurzen Kabine einer dreiachsigen Ford-Sattelzugmaschine aus der 9000er-Serie im Hafengelände von Bridgetown auf einen Zuruf von der anderen Straßenseite. Dort wird in einer Halle sein Trailer mit einem Container beladen. Vor kurzem hat Winston, der seit zwölf Jahren als selbstfahrender Unternehmer arbeitet, einen zweiten Truck gekauft. Den will er jetzt herrichten, danach den alten Ford, um ihn für einen guten Preis loszuschlagen. Am "neuen" Peterbilt stimmt die Gesamthöhe nicht, deshalb muss sich der Kleinunternehmer jetzt neue Felgen und Reifen besorgen, um den Ami auf seine Bedürfnisse zurecht zu stutzen. 90.000 Barbados-Dollar (41.000 Euro) hat der 257er gebraucht gekostet, inklusive Verschiffung aus Florida nach Barbados. Wenn der alte Ford einigermaßen instandgesetzt ist, soll er noch 25.000 bringen, hofft der freakig aussehende Trucker.
Wie die meisten seiner Kollegen auf Barbados bevorzugt Winston amerikanische Trucks und Trailer aus einem einfachen Grund: Bei Bedarf lassen sich Ersatzteile wesentlich leichter und vor allem auch schneller besorgen als für die europäischen Laster.
"FLEETBOARD" AUF BARBADOS: BETRIEBSZAHLEN KENNT KEINER ...
Und er ist irgendwie typisch für einen karibischen Kleinunternehmer: Über seine Zahlen hat der Trucker allenfalls eine ungefähre Vorstellung. Wie viele Kilometer im Jahr er fährt, weiß er ebenso wenig wie das genaue Alter seiner Fahrzeuge. 200 Liter Diesel pro Woche brauche er ungefähr, fällt ihm schließlich noch ein. Wie weit er damit kommt, hat er noch nie ausgerechnet: "Ich fahre ja ohnehin nur kurze Strecken." Der Treibstoff kostet auf Barbados einen Tick weniger als in Europa, gut einen Euro pro Liter. Für Europäer ist es immer wieder erstaunlich zu erleben, wie unwichtig in anderen Ecken der Welt Zahlen und Fakten sind, die ein (Transport-) Unternehmer bei uns bis auf mehrere Stellen hinter dem Komma erforschen würde. Aber die Frage, ob ein anderer Truck vielleicht einen halben Liter weniger Diesel verbrauchen würde, stellt sich für die Kleinunternehmer auf Barbados erst gar nicht: Sie kaufen im Internet oder bei einem bekannten Händler ein gebrauchtes Fahrzeug, dessen Preis im Rahmen ihrer Möglichkeiten liegt - und müssen dann sehen, dass sie mit dem Truck irgendwie zurecht kommen. Meist bleibt am Ende des Monats genug übrig, um ein einigermaßen an genehmes Leben zu führen. Jedenfalls fand sich kein Fahrer, der über seinen Beruf gejammert hätte, egal ob er hinter dem Steuer eines großen Ami-Trucks oder eines "kleinen Japaners" sitzt. In der Leicht- und Mittelgewichtsklasse haben die asiatischen Hersteller das Sagen. Eurocargo und dergleichen sind seltener als Regen in der Sahara.
"TEUFELSZEUG" WIE EIN DIGITACHO IST HIER VOLLKOMMEN UNBEKANNT
Vor allem Lkw-Fahrer Julian St. Hill hat keinen Grund zur Klage. Ganz im Gegenteil. Mit einem breiten Lachen sitzt er in seiner Kabine und winkt den Fotografen heran, um ihm das Schmuckstück zu zeigen. Julian darf einen nagelneuen Mack fahren - ein neuer Truck ist eine Rarität auf der Insel. Zwei neue Macks habe sein Patron gekauft, erzählt der stolze Fahrer. Einen im vergangenen Jahr, einen erst kürzlich. Der neue Kurzhauber ist sogar mit einem automatisierten Getriebe ausstaffiert, was ihn unter all den anderen importierten Fahrzeugen mit typisch amerikanischer Crash-Box zum Exoten stempelt. Für viele Urlauber ist Barbados ein kleines Paradies, mit seinen wunderschönen Stränden, den entspannten Menschen (wobei sich die tiefenentspannte Grundstimmung nicht selten nach dem Genuss von Rum oder speziellen Rauchwaren einstellt) und dem tropischen Klima mit viel Sonnenschein. Unterhält man sich mit einem Barbados-Trucker über die Vorschriften auf der Karibik-Insel, kommt das aus europäischer Sicht paradiesischen Zuständen recht nahe: Als Fahrer ist man auf der kleinen Insel jeden Tag zu Hause, sonntags arbeiten die Trucker nur in seltenen Ausnahmefällen, mit der Polizei gibt es keinen Ärger, wenn man sich einigermaßen an die Geschwindigkeitsvorschriften hält - und was ein Fahrtenschreiber oder ein digitaler Tachograf ist, muss man einem karibischen Chauffeur mühsam erklären. Derlei "Teufelszeug" ist auf Barbados völlig unbekannt, hier arbeiten die Fahrer ihre Aufträge ab, danach ist Feierabend. Wie viele Stunden man letztlich für den Job gebraucht hat, interessiert niemand.