Der amerikanische Soulbarde James Brown sang 1966 "It's a Man's Man's Man's World". Seitdem ist eine lange Zeit vergangen, in der sich in Sachen Gleichberechtigung viel getan hat. Doch wenn Antonella Gallo erzählt, wie sie wurde, was sie heute ist, bekommt der alte Gassenhauer plötzlich eine ungeahnte Aktualität.
Einerseits ist Antonella eine typisch italienische Frau - die natürlich nicht im gewöhnlichen Alltagsoutfit zum Fototermin erscheint. Sondern sorgfältig geschminkt, gekleidet und "gestiefelt", um "bella figura" zu machen. Andererseits trifft man da eine überhaupt nicht äußerliche Person, die es geschafft hat, sich gegen viele Widerstände durchzusetzen. Männliche Widerstände waren das wohl in erster Linie, auch wenn es in ihrer Umgebung viele Frauen geben dürfte, die mit Antonellas Biographie nichts anzufangen wissen und sie sogar anstößig finden.
Die Süditalienerin erzählt, sie sei schon immer begeistert gewesen von den großen Trucks, ihr Traum war es, so einen Laster selber zu fahren und eine eigene Transportfirma zu gründen. "Aber in Kalabrien, wo ich herkomme, war das völlig unmöglich. Dort sagte man, 'Eine Frau am Steuer eines Lastwagens? Non è possibile, das geht nicht!'. Also bin ich hierher gekommen," erzählt Antonella, die ihre Heimatstadt Spinetto bei Catanzaro verließ und ein Stück weiter Richtung Süden zog. Vor zwölf Jahren war das. Und in Sizilien war offenbar möglich, was in Kalabrien nicht ging: Antonella Gallo baute sich mit viel Fleiß ihr eigenes Transportunternehmen auf. Inzwischen gehören der Powerfrau 18 Trucks unterschiedlicher Größe.
DIE ITALIENISCHE MEERJUNGFRAU STEHT AUF MUSKELBEPACKTE FAHRZEUGE
Gallo beschränkt sich auf nationale Transporte und pendelt regelmäßig zwischen ihrem Standort in Milazzo, einer kleinen, malerischen Küstenstadt zwischen Messina und Palermo, und den norditalienischen Industriezentren wie Turin oder Mailand. Mit Sattelzügen holt sie von dort Lebensmittel wie Schinken und Salami und verteilt sie dann mit kleineren LKW. Die Rückladungen in den Norden bestehen meistens aus dem, was Sizilien dem Festland anzubieten hat. Also Obst und Gemüse wie Auberginen, Tomaten oder Zitrusfrüchte. "Ich liebe meinen Job," schwärmt Antonella Gallo vom Leben als Fahrerin. Im Durchschnitt mache sie zwischen 2500 und 2600 Kilometer pro Woche. Mit einem gewöhnlichen Truck gibt sich die Selfmade-Woman allerdings nicht zufrieden.
Understatement ist ihre Sache nicht, Antonella steht auf muskelbepackte Fahrzeuge. Ihr privater Fuhrpark kommt aus Bayern, zwei PS-starke BMW stehen da in der Garage. Und der neue Truck ist ein echter King of the Road - Scanias Topmodell R 730 musste es schon sein, wofür schuftet man schließlich jeden langen Tag?
Bekannt wurde Antonella Gallo in den letzten Jahren allerdings nicht als Vorkämpferin für Frauenrechte. Zumal sie da wenig bewirkt hat, in Süditalien ist sie immer noch eine Ausnahmeerscheinung mit Exotenstatus. Sondern mit der auffälligen Gestaltung ihres Fahrzeugs. "Da steht meine erste Liebe," sagt die Unternehmerin und deutet auf einen etwas älteren Scania. Der 620er zieht einen weißen Auflieger, aber die Zugmaschine ist mit Motiven aus dem Märchen um die Meerjungfrau Arielle beklebt. Auf italienisch heißt die Geschichte "La Sirenetta" - und unter diesem Namen findet man Antonella auch im Internet. Die erste Edition von La Sirenetta ist inzwischen fünf Jahre alt. Von außen sieht man dem Truck das Leben auf der Straße schon an, doch in der Hütte wirkt noch alles wie aus dem Ei gepellt. Das Armaturenbrett ist ohne den kleinsten Kratzer, alles auf Hochglanz poliert. Sie achte noch immer selbst darauf, dass der Fahrer das Auto pfleglich behandle, sagt die Unternehmerin, und man kann sich durchaus vorstellen, dass die Meerjungfrau zur Furie werden kann, wenn der Mitarbeiter zum Beispiel mit Straßenschuhen am Steuer sitzt.
"LA SIRENETTA 2" IST DER NEUESTE, MIT VIEL AUFWAND GESTALTETE ZUG
Vor zwei Jahren kam dann "La Sirenetta due" in die Firma. Ein Sattelzug, bei dem Zugmaschine und Trailer mit viel Liebe zum Detail verschönert und aufgepeppt wurden. Das Fahrerhaus ist innen ganz in Weiß gehalten und unglaublich aufwändig gestaltet. Manches an der Ausstattung wirkt, als wäre es weniger dem persönlichen Geschmack der Besitzerin geschuldet, als vielmehr der Notwendigkeit, auf Truckertreffen erfolgreich um die Pokale kämpfen zu können. Auch ihr eigener Scania ist natürlich picobello sauber - und es ist "a Women's World". Was Antonella Gallo auch gar nicht verbergen will: Diverse Kosmetikutensilien und Parfumflakons liegen so selbstverständlich im Fahrerhaus wie bei männlichen Kollegen Zigaretten oder ein Taschenmesser.
Aber hilft es einer Frau am Steuer eines Lastwagens, ein gutes Parfum aufzulegen, um leichter durchs Trucker-Leben zu kommen? "Keineswegs, das funktioniert nicht," lacht Antonella. Und fügt mit bemerkenswerter Offenherzigkeit an, dass viele Kollegen nicht charmant, sondern im Gegenteil "maleducato" seien. Schlecht erzogen oder unhöflich also - die Frau, die es gewagt hat, sich erfolgreich in einer klassischen Männerdomäne einzurichten, erntet im Alltag häufig keine Anerkennung für ihre Leistung. Sondern sieht sich im Gegenteil mit dumpfen Macho-Reflexen konfrontiert. Antonella Gallo wirkt darüber aber eher amüsiert, den Schlaf raubt ihr solche Rüpelhaftigkeit sicher nicht.
DIE POLIZEI IST STRENGER GEWORDEN, ANTONELLA FÄHRT NACH VORSCHRIFT
Auch im Umgang mit den Ordnungshütern gibt es keinen Frauenbonus. "Die sind inzwischen sehr streng," erklärt die Unternehmerin. Früher sei sie schon mal weit über das erlaubte Limit hinaus am Steuer gesessen, einmal sogar 36 Stunden am Stück, aber das sei lange vorbei. "Inzwischen halte ich mich exakt an die Vorschriften. Das geht nicht anders, denn im Schnitt werde ich fünf Mal pro Woche kontrolliert." Kaum zu glauben, wo man sich gleichzeitig wundert, wie selten die anarchischen sizilianischen PKW-Fahrer mit Radarkontrollen behelligt werden.
"La vita è dura", sagt "La Sirenetta" zum Abschied, "das Leben ist hart". Besonders gilt das wohl für eine Frau wie Antonella Gallo, die sich täglich gegen Machos behauptet - und gegen die konservativen Traditionen ihrer Umgebung. Aber was zählt das schon, wenn man es geschafft hat, sich seinen großen Traum zu erfüllen - fast wie im Märchen von Arielle.