Es war keine einfache Reise, gibt es doch auf dem indischen Subkontinent eine große Anzahl an Restriktionen für Schwertransporte. Zwar ist das indische Straßennetz mit einer Länge von rund 3,3 Millionen Kilometern eines der größten der Welt, allerdings ist davon nur etwa die Hälfte asphaltiert. Und es gibt nur wenige mehrspurig ausgebaute Fernstraßen. Für den Transport von Hunderte von Tonnen schweren Gütern - wie Statoren, Generatoren, Transformatoren, Kabeltrommeln oder Turbinen - sind das alles andere als günstige Voraussetzungen.
Kein Wunder also, dass die Spezialisten des Schwerlastunternehmens Lee & Muirhead ihre Goldhofer-Seitenträgerbrücke vom Typ Faktor 5 nach dem hinduistischen Affengott "Hanuman" benannt haben. Der verfügt im Volksglauben über enorme Kräfte - hat er doch der Legende nach einen Berg aus dem Himalaja gerissen. "Auch wir müssen mit unseren Schwertransporten sinnbildlich formuliert manchmal Berge versetzen", so Pankaj Gadhia, CEO von Lee & Muirhead. Deshalb ist "Hanuman" der perfekte Name.
Und es war im wahrsten Sinne des Wortes Schwerstarbeit, die verrichtet werden musste. Auf der gut 500 Kilometer langen Transportstrecke mussten mehr als 150 Brücken über- oder unterfahren und zahlreiche andere Hindernisse bewältigt werden. So konnte beispielsweise ein 15 Kilometer langer Streckenabschnitt aufgrund der zahlreichen engen Kurven überhaupt nicht befahren werden, weshalb der 405 Tonnen schwere Stator auf eine 18-achsige Splitkombination umgeladen und die Faktor 5 komplett zerlegt werden musste.
ZERLEGT, UMGELEITET - DIE FAKTOR 5 MACHTE VIEL MIT
Als die Engstelle passiert war, wurde die Brücke wieder zusammengebaut und der Konvoi setzte wie geplant seine Fahrt fort. "Dank der Unterstützung durch Goldhofer haben wir auch solche schwierigen Passagen ohne große Probleme meistern können", sagt Ruchit Saraf, der als Project- & Transportation-Manager den ersten Einsatz von "Hanuman" verantwortete.
Ein anderes Mal musste die Faktor 5 aus Platzgründen eine Mautstelle seitlich umfahren. Weil die Topografie aber gänzlich ungeeignet war für einen Schwertransport dieses Ausmaßes, wurde das abschüssige Gelände extra aufgeschüttet. Zudem musste für das Überfahren von 25 Zentimeter hohen Randseiten eine neue Fahrbahn gelegt werden. In anderen Bereichen der Transportstrecke war eine zweite und dritte Zugbzw. Schubmaschine nötig, weil die Steigungen so steil waren.
Zum Überwinden einiger anderer Hindernisse wurde die Seitenträgerbrücke teils auf mehr als 1,5 Meter angehoben. Was allerdings aus technischer Sicht kein großes Problem war: Der vertikale Hub der Faktor 5 liegt - ohne Berücksichtigung des Hubs der Schwerlastmodule im Lastaufnahmebereich - bei stolzen 1,80 Metern.
Eine besondere Herausforderung für den Konvoi war das Unterfahren mehrerer Eisenbahn- und Straßenbrücken. So musste die Faktor 5 einmal komplett abgesenkt werden und schliff fast auf dem Boden, als eine Eisenbahnbrücke unterfahren wurde. Die Höhenreserve betrug gerade mal noch vier Zentimeter. Zudem durfte kein Zug zu diesem Zeitpunkt über die Eisenbahnbrücke fahren, denn unter dessen Gewicht hätte sich die Brücke durchgebogen und den Stator beschädigt.
Für die Verantwortlichen von Lee & Muirhead - das 1945 gegründete Unternehmen ist heute eines der bedeutendsten Transportunternehmen Indiens - hat die erste Fahrt mit "Hanuman" vor allem eines bewiesen: Die Investition in ordentliches Equipment zahlt sich aus. "Wir haben jetzt dank der Faktor 5 die Möglichkeit, solche großen Schwertransportprojekte besonders effizient zu realisieren", betont CEO Pankaj Gadhia.
SCHWERTRANSPORTE DIESER DIMENSION SIND NORMAL
Bei der Modernisierung des Landes nimmt der Bau von neuen Kraftwerken eine Schlüsselrolle ein. So sind in ganz Indien mehr als 30 große Energieprojekte in den kommenden Jahren geplant - alle ausgestattet mit Statoren, Generatoren oder Transformatoren, die zwischen 350 und 450 Tonnen schwer sind. Pankaj Gadhia ist sich sicher: "Dafür haben wir jetzt das perfekte Equipment."
Dank der präzisen Detailplanung, in enger Abstimmung mit allen amtlichen und nichtamtlichen Behörden sowie dem Engagement des Lee-&-Muirhead-Teams, lief das Projekt pünktlich ab und der Stator wurde am 20. Juni 2017, zwei Tage vor dem geplanten Termin sicher am Projektgelände angeliefert. Erich Traub