Man könnte die Geschichte mit einem Scherz beginnen, nämlich dass ein Unternehmen der Deutschen Bahn ausgerechnet einen kombinierten Verkehr mit Schiff, Bahn und Flugzeug organisiert. Doch genau das entspricht dem Leistungsprofil des Logistikkonzerns, möglichst ganzheitliche Lösungen auch für ungewöhnliche Aufgaben zu verwirklichen.
Eine Fabrik nahe der westkanadischen Stadt Edmonton gab beim Berliner Industrieanlagenbauer Borsig einen Abhitzekessel in Auftrag. So ein Teil kühlt Prozessgas im Verlauf der Düngemittel-Produktion und erzeugt aus der überschüssigen Wärme heißen Hochdruckdampf als Energiequelle für Turbinen. Normal hätte die Lieferzeit 16 Monate betragen, doch der Kunde benötigte das neue Kernstück seiner Fabrikation wesentlich schneller, nämlich in zwölf Monaten.
Kein einfaches Unterfangen, denn die 15 Meter lange Röhre mit zweieinhalb Metern Durchmesser wiegt samt seines Transportrahmens nicht weniger als 140 Tonnen! Über Schenker Kanada ging das Projekt an die Schwerlastspezialisten von DB Schenker, die vielfältige Planungen für den möglichst optimalen Ablauf eines solch globalen Spezialauftrags anstellen mussten. Die erste Etappe beginnt im Hafen des Berliner Stadtteils Tegel, Borsig betreibt dort einen eigenen Verladepier. Freitagmorgen übernimmt Schiffsführer Harald Wolf mit seinem Schubschiff Eddi von der Reederei ED-Line und einem davor gespannten Lastkahn die schwere Röhre und bringt sie über das Wochenende zum Hafen von Aken.
EIN TRANSPORT AUF SCHIENEN WURDE GEPRÜFT, WAR ABER NICHT MÖGLICH
Der hat sich zum bedeutenden Umschlagplatz für Sondertransporte in Mitteldeutschland entwickelt und rühmt sich, über die Technik mit den größten Hubkräften an der Elbe zwischen Hamburg und Dresden zu verfügen. Das Gewicht dieses Transports beeindruckt die Hafenwerker nicht besonders. Ihre Kräne schaffen Einzelhübe bis 270 Tonnen und kombinierte Hübe bis zu 600 Tonnen. Hier sind drei Tage zuvor schon Heiko Gegner und Stefan Frank mit zwei ähnlichen Schwerlastzügen eingetroffen, je ein MAN Schlepper samt eines dahinter gekoppelten Schwerlastanhängers von Scheuerle mit zehn Achsen. Auf dem Hafengelände haben sie aus ihren beiden Anhängern dann eine zwanzigachsige Lastplattform zusammengestellt, bestehend aus vier Dreier- und zwei Vierermodulen.
Während das Binnenschiff mit einem akustischen Gruß aus dem Horn von der Hafenmauer ablegt und wieder leer nach Berlin schippert, um dort den nächsten Schwertransport zu übernehmen, schwebt der Kessel an armdicken Drahtseilen aufgehängt über dem Schwerlastzug. Mit routinierten Handgriffen schneiden die beiden Fahrer Antirutschmatten zu, um den Stahlrahmen möglichst sicher abzustellen.
Leer wölbt sich die Lastplattform des Zwanzigachsers noch stark nach oben durch, diese Vorspannung ist gewollt, damit sich die Ladefläche beim Aufsetzen der Last nicht durchbiegt. Kleine Stahlstücke als Abstandhalter zwischen den Achsmodulen müssen dafür geschickt bei der Montage platziert werden. Wer das falsch einschätzt, schafft sich durch die dann erforderlichen Justierungsarbeiten unnötigen Stress. Nach dem Absetzen des Kessels zeigt sich, dass die beiden Fahrer alles richtig gemacht haben, kerzengrade steht der beladene Anhänger da. Nun müssen nur noch die schweren Ketten zur Lastsicherung eingehängt und angespannt werden.A
UF NICHT WENIGER ALS 184 RÄDERN ROLLT DER TRANSPORT ZUM FLUGHAFEN
Danach besprechen die Spezialisten den geplanten Straßentransport. Zum Team gehört neben den beiden Fahrern noch Marcel Mund, der das firmeneigene BF3-Sicherungsfahrzeug lenkt. DB Schenker setzt auf eigene Begleiter, weil die mit der spezifischen Technik ihres Arbeitgebers besser vertraut sind und weil sie bei Arbeiten während eines Transports meist aktiver mitarbeiten als gecharterte Helfer.
Auch der Leiter der Spezialverkehre von DB Schenker, Karl Hammerschmidt, und der für die Planung des Transports verantwortliche Disponent Carsten Markwart sind wegen der Bedeutung dieser Aktion von der Zentrale in Hagen hierhergekommen. Gemeinsam fahren die Männer nochmal die geplante Fahrtstrecke ab. Die Planungen und die Durchführung des Genehmigungsverfahrens haben Monate gedauert, nun geht es darum, den Weg noch ein letztes Mal zu prüfen.
Danach haben alle Beteiligten noch einige Stunden Ruhe, die Schwerlastprofis gehen zum Liegen in die Koje, um noch etwas auszuruhen. Beim Abendessen dann erzählen die beiden Fahrer von ihrer speziellen Arbeit, bei der kaum ein Auftrag wie ein anderer ist und bei der die Vorbereitungen oft wesentlich mehr Zeit in Anspruch nehmen als die Zeit am Steuer der Zugmaschinen.
Heiko Gegner fuhr nach einer Ausbildung im Agrarbereich Kipper und Fernverkehr mit Vierzigtonnern, doch seine Begeisterung für schwerere Einheiten brachte ihn vor zwölf Jahren als Fahrer zu DB Schenker. Der gebürtige Spreewälder lebt im rheinischen Dinslaken. Früher war das Hobby des 40-Jährigen das Motorradfahren, als Familienvater sucht er heute die verdiente Erholung eher auf Touren mit dem Wohnwagen.
Stefan Frank ist erst seit zwei Jahren bei den Schwerlastspezialisten. Vorher war er schon fünf Jahre im Unternehmen als Fernfahrer mit Wechselbrückenzügen beschäftigt. Dem 31-Jährigen gefallen die Herausforderungen seiner neuen Tätigkeit. Wenn ihm seine junge Familie noch etwas Zeit lässt, vergnügt er sich als Ausgleich zum LKW-Job beim Kartfahren.
BEI DER NACHTFAHRT ÜBER KLEINE STRASSEN GIBT ES EINIGE HINDERNISSE
Abends gegen neun Uhr laufen die Motoren warm, und das Team kontrolliert nochmal, ob die zwanzig Achsen und die Plattform sauber ausgerichtet sind. Die Hoffnung, dass die Polizei vielleicht etwas früher kommt, erweist sich als Trugschluss. Die Ordnungshüter müssen erst einen Windkraft-Transport abarbeiten, bis sie endlich am Hafen auftauchen.
Gegen 23 Uhr geht es schließlich los. Wenn sich 293 Tonnen in Bewegung versetzen, ist das schon ein faszinierendes Schauspiel. Über Wandlerschaltgetriebe bringen die beiden V8 mit je 680 PS ihr wuchtiges Drehmoment besonders effektiv auf die Straße, an den Auspuffrohren flimmert die Luft vor Hitze. Aus Aken heraus und an Köthen vorbei läuft es erst mal flüssig, die Polizei schafft dem Konvoi vorne Platz.
Doch bald geht es auf zweitrangige Straßen. Bei dem Zustand des bundesdeutschen Verkehrsnetzes kann man bald froh sein, wenn man eine Strecke findet, die ein solches Gewicht überhaupt noch zu tragen vermag. Irgendwo bei Bitterfeld muss der Konvoi die A9 überqueren. Das Gutachten, das die Statik der dafür genutzten Brücke bemisst und eine der Grundlagen der Transportgenehmigung ist, umfasst nicht weniger als 85 Seiten! Das erste Mal richtig eng wird es nahe des Dorfs Quetzdölsdorf, wo der 51 Meter lange Konvoi rechtwinklig abbiegen muss. Heiko Gegner, der den vorderen MAN fährt, koppelt dafür ab, weil der Kurvenradius so eng ist, dass für seine Maschine nicht genug Raum ist. Dafür greift er sich eine kleine Fernbedienung, mit der er den Anhänger steuern kann. Stefan schiebt von hinten, sieht nicht viel und bekommt von seinem Kollegen angesagt, wie er am besten lenkt.
Ein Stück weiter taucht besagte Brücke auf, um das Gewicht in Grenzen zu halten, wird nun der hintere MAN abgekoppelt. Mit Ballast wiegt jede der Zugmaschinen 35 Tonnen, so sind es immer noch knapp 260 Tonnen, die das Bauwerk überqueren müssen. An einer weiteren Engstelle wechseln die Schwerlastschlepper die Fahrtrichtung, jetzt zieht Stefan das letzte Stück.
EIN SCHIENENSYSTEM ERMÖGLICHT DIE VERLADUNG STARRER FRACHTEN
Morgens um vier hat der Konvoi schließlich sein letztes Zwischenziel erreicht, den Flughafen in Leipzig. Nun haben die Fahrer fast 30 Stunden Ruhe, denn die Entladung ist erst auf den darauffolgenden Tag terminiert. Dann wartet nämlich nicht weniger als das größte Flugzeug der Welt, die sechsachsige Antonov 225, um den Weitertransport des Abhitzekessels zu übernehmen. Der ukrainische Flugzeugbauer hat das Gerät einst gebaut, um den russischen Raumgleiter Buran, das Gegenstück zum Space Shuttle, transportieren zu können. Nachdem der längst eingemottet ist, erledigt der Gigant der Lüfte nun andere Transportaufgaben. Kleinere Antonovs sind sogar hier stationiert, der Riesenvogel aber ist ein seltener Gast und zieht Neugierige in Scharen an.
Bisher bewegte die sechsstrahlige Maschine nur rollbare Lasten, doch ein neu gebautes Schienensystem, das im Bauch der Maschine mitgeführt wird, ermöglicht nun auch die Verladung von starren Teilen. Mit einem Synchronhub heben zwei fünfachsige Kräne das Frachtstück an und setzen es vor dem geöffneten Maul des Fliegers ab. Das Hereinziehen per Winde ist dann eine relativ einfache Angelegenheit.
Leider erst in der folgenden Nacht und damit ziemlich unfotografierbar startet die Antonov Richtung Westen, erst nach Island, dann nach Neufundland, dann zum Zielflughafen Edmonton in Westkanada. Hier werden Spezialisten von Mammoet Kanada den Express-Koloss im Auftrag von DB Schenker das letzte Stück seines Weges verfrachten, bis er dann endlich bald seiner ihm zugedachten Aufgabe nachkommen kann.