Zwanzig Kilometer vor dem eigentlichen Ziel beginnen sich die orangefarbenen Fahrzeuge mit rotem Schriftzug zu verdichten: Sattelzugmaschinen, Silos, Betonmischer, Kipper, Transporter, Pkw - alle Arten von Fahrzeugen schwärmen geschäftig in jede Fahrtrichtung. Als das Navi wegen einer Straßensperrung nicht weiter weiß, folgen wir dem Strom, bis er sich neben der B 299 durch die Tore 1 und 2 in ein Meer aus Baufahrzeugen, Kränen und Maschinen ergießt - dem Stammsitz der Firmengruppe Max Bögl in Sengenthal. 1000 Pkw, 660 Transporter, 350 eigene und - je nach Saison - bis zu 200 angemietete Lkw, 1600 Container, 940 Großgeräte und 55.000 Kleingeräte disponiert das Team des Bereichsleiters Logistik, Erhard Wolfrum, wie wir später erfahren. Highlight ist ein Liebherr-Kran, der 1200 Tonnen hebt!
435 Mitarbeiter arbeiten in Wolfrums Bereich, der 87 Millionen Euro Umsatz im Jahr erwirtschaftet und alles transportiert, was gebraucht wird: Schüttgut, Stahl, Beton und Windkraftanlagen - per Lkw, Bahn und Binnenschifffahrt.
Erst im Jahr 2016 hat Bögl ein modernes Transportlogistiksystem eingeführt. "Es gibt gute Einzelprogramme für Planen- und Schwertransporte, Betonmischer oder Schüttguttransporte", erläutert Wolfrum, "aber finde erst mal eines, das alles abdeckt." Ein solches hat man dann mit Opheo gefunden, das von einer Nürnberger Softwarefirma entwickelt wurde: "Da steckt sehr viel Bögl drin", lacht Wolfrum.
Im Jahr 2017 habe man 11.000 Ausnahmegenehmigungen für Sondertransporte gebraucht, verdeutlicht der Bereichsleiter einen Teil des Arbeitsaufwandes seiner Abteilung. Jede Genehmigung umfasse rund 50 Seiten und "außerhalb von Bayern wartet man sechs Wochen darauf". 200 Binnenschiffe hatte man 2017 eingesetzt. Vorteil: Sie sind umweltfreundlich und man braucht keine Sondergenehmigung.
ZWEI LOKOMOTIVEN UND 15 LOKFÜHRER GEHÖREN ZUR FIRMENGRUPPE
Da wir uns einen Überblick verschaffen wollen, fahren wir die B 299 hinunter, bis wir nach gut drei Kilometern am Ende des Werksgeländes bei Tor 5 landen. Dort stehen zwei Lokomotiven, ebenfalls orange mit rotem Max-Bögl-Schriftzug. Bögl gehört die Gleisanlage vom Werk bis zum Bahnhof in Neumarkt. Für die beiden Loks beschäftigt man 15 Lokführer und einen Bahnbetriebsbevollmächtigten. Baumaterial, Schüttgut, Betonringe usw. werden per Bahn befördert.
Im Werksgelände fährt ein kleiner Zug über den Asphalt, der den Gepäckzügen an Flughäfen ähnelt. Wolfrum wird später erklären: Der Routenzug liefert Materialien aus dem Lager an die Mitarbeiter. "Das ist besser, als wenn die Mitarbeiter selbst zum Lager gehen, unterwegs noch eine Leberkäs-Semmel essen, sich mit Kollegen unterhalten und vor der Mittagspause wieder zurückkommen", begründet er schmunzelnd. PÖ Die Intralogistik ist bestens getaktet. Dafür sorgt ein Vorstandsmitglied Industrie, das zuvor bei BMW tätig war und auch maßgeblich für den Aufbau der Fertigteilproduktion verantwortlich war. "Bei der Steuerung der internen Prozesse hat die Automobilindustrie die Nase vorn", erklärt Marketingleiter Jürgen Kotzbauer.
Beim Wenden vor Tor 5 denkt man erneut an einen Flughafen. Auf der anderen Straßenseite, zwischen der B 299 und einem Baggersee, gleitet ein führerloser Triebwagen auf Betonschienen mit Stelzen vorbei. Der sieht aus, als ob er zwei Flugterminals verbinden würde. Tatsächlich ist es eine Magnetschwebebahn, wird Kotzbauer aufklären, eine vollständige Eigenentwicklung von Bögl. 40 Ingenieure und Doktoren beschäftige man für das Bögl TSB genannte Transportsystem. Auf der 820 Meter langen Fahrstrecke entlang des Sees, die Kurven und Steigungen enthält, absolviert die Bahn ihre Fahrtests. Bis zum Ende des Jahres rechnet man mit der Zulassung. Im Gegensatz zum Transrapid fährt das TSB mit maximal 150 km/h.
MAGNETSCHWEBEBAHN UND FLUGTAXIS SOLLEN DIE INNENSTÄDTE EROBERN
In China soll er sogar für 200 km/h zugelassen werden, sagt Kotzbauer. Und vor allem soll er billiger oder höchstens genauso teuer sein wie eine Straßenbahn. Die Technik ist umweltfreundlich, wartungsarm und nahezu verschleißfrei, sodass auch die laufenden Kosten geringer wären.
Mit dem TSB will Bögl die Innenstädte erobern. Da es aufgeständert gebaut werden kann, könnte es beispielsweise über dem Mittleren Ring in München schweben, meint Kotzbauer. "In zwanzig Jahren haben wir unten den Individualverkehr, darüber die Magnetschwebebahn, und in der dritten Etage Flugtaxis." So stellt sich Kotzbauer das vor. Auch der Einsatz zum Transport von Containern in Häfen sei denkbar.
Hinter der TSB-Teststrecke lädt der türkisblaue Baggersee, aus dem Bögl seinen Sand fördert, zum Baden ein. "Wir haben 20 Meter Sandsohle", erklärt Kotzbauer. Auf dem Areal habe man Vorrat für bis zu 100 Jahre. Bögl mischt seinen Beton selbst, im Gegensatz zu anderen, die "nicht mehr wissen, wie Beton riecht und nur noch Baumanagement machen", stichelt Kotzbauer. Bögl verfüge dagegen über eigene Ressourcen, eigene Mitarbeiter und eigenes Know-how. Die komplette Ausführung bis hin zu Logistik und Gerätschaften liegt in einer Hand. Dadurch sei man zeitlich schlagkräftiger als andere, sagt Kotzbauer. Was viele nicht wüssten: "In den vergangenen 20 Jahren ist die Zahl der Beschäftigten in der Baubranche stark gefallen und hat sich seit 2006 auf rund 750.000 in Deutschland eingependelt.
BÖGL IST IN DEN VERGANGENEN JAHREN STETIG WEITER GEWACHSEN
Im gleichen Zeitraum habe Bögl die Anzahl seiner Mitarbeiter fast verdoppelt auf rund 6300. Davon arbeiten 46 Prozent im kaufmännischen Bereich und 49 Prozent gewerblich. Fünf Prozent, also 300 Auszubildende, beschäftigt man bei Bögl in 25 Ausbildungsberufen und drei dualen Studiengängen. In zwei bis drei Jahren will Bögl 500 Azubis haben. Man habe dafür eigens einen Mitarbeiter eingestellt, der ausschließlich für Personalmarketing auf Xing, LinkedIn, Facebook und auf Messen zuständig sei. Damit will Bögl Personalproblemen entgegenwirken, die auch in Sengenthal zu spüren sind. "Wir haben auch ausländische Fahrer", gibt Logistikleiter Wolfrum zu, "ohne die geht es nicht mehr."
Einem dieser Fahrer begegnen wir wohl, als wir uns auf dem Weg vom Parkhaus 2 zum "Innovation-Center" verlaufen, zwischen Wohncontainern landen und einen jungen Mann nach dem Weg fragen. "Ich nicht spreche ...", meint der. Vor einem Bürogebäude unterhalten sich zwei Kolleginnen auf Oberpfälzisch. Ich versuche mein Glück erneut. "Just up there to your right", antwortet die eine freundlich. Englisch? - Vielleicht weil ich "Innovation-Center?" gesagt habe. Bei Bögl ist man international.
Tiefbau, Hochbau, Stadien, Einkaufszentren, Autobahnkreuze, Windkraftanlagen, Bahntrassen und -tunnel ... in Deutschland, Skandinavien, Wien und Shanghai, Rumänien, Thailand und China ... ein kurzer Trailer in englischer Sprache zu Beginn des kommenden Vortrags im "Innovation-Center" zeigt das Leistungsspektrum von Bögl. "Alles außer Privathäuschen", sagt Kotzbauer.
Von "gewaltigen logistischen Herausforderungen" spricht er. Von Projekten mit 1000 Mitarbeitern und 1,5 Jahren Bauzeit, standardisierter Abwicklung auf allen Baustellen. Die Probleme bei mehrjährigen Projekten: "In drei Jahren ändern sich zwei bis drei Mal die Brandschutzverordnungen, die Komplexität nimmt zu und die Anforderungen steigen oder ändern sich während der Bauphase." 30 Standorte hat Bögl in Deutschland und macht 1,7 Milliarden Euro Umsatz im Jahr, 40 Prozent mit Infrastruktur, 28 Prozent mit Windkraft, 28 Prozent im Hochbau, den Rest mit der Produktion.
Heutzutage könne man mit Hochtief durchaus auf Augenhöhe sprechen, das sei vor 20 Jahren nicht so gewesen. Ein Grund dafür ist laut Kotzbauer einerseits die Unternehmensstruktur - in der dritten Generation inhabergeführt, alle Gewinne fließen zurück ins Unternehmen, dennoch aufgestellt wie eine Aktiengesellschaft (Vorstand, Aufsichtsrat, Lean Management usw.) - aber auch die Innovationskraft.
Bögl investiert fast ein Prozent des Umsatzes in Forschung und Entwicklung. Die deutsche Bauindustrie gibt im Durchschnitt nur 0,04 Prozent dafür aus, hebt Kotzbauer hervor. Bei Bögl ist man daher stolz auf Errungenschaften wie die Magnetbahn, das modulare Bauen von Wohnanlagen mit extrem verkürzter Bauzeit, das Fertigteilwerk, das man mit Porsche entwickelt hat, Pumpspeicherkraftwerke und On-Shore-Windkraftanlagen mit Hybridtürmen.
Der untere Teil eines solchen "Hybridturms" steht neben der Straße zum Innovation-Center. Er erinnert an einen Leuchtturm, weil man ein Glashäuschen oben drauf gesetzt hat. Wie bei einem Nut-und-Federsystem (auf ein 100stel Millimeter genau gefräst) werden Beton-Halbringe aufeinandergestellt, bis sie eine Höhe von 80 Metern erreichen. Der obere Teil ist dann aus Stahl, was ihm die nötige Flexibilität verleiht. Laut Kotzbauer verbaut Bögl im Jahr 40.000 Tonnen Stahl für Windkraft und Brücken: "Mehr verbauen nur noch Werften."
ÜBERALL SAUBER GEFEGT UND ORDENTLICH AUFGESTELLT
Am Fuß des Turms liegt ein Stück Betonröhre, das ebenfalls aus Fertigteilen zusammengesetzt wurde, die Bögl herstellt. Das sogenannte Tübbingsystem wird etwa beim U-Bahn-Bau verwendet. Der Vorteil ist, dass die Röhre gleich hinter dem Bohrer zügig aufgebaut werden kann. Dem Rohr entspringt ein Gleis und führt zum denkmalgeschützten und offenbar frisch renovierten Bahnhofsgebäude "Greißelbach" zur Linken, das als Gästekantine dient.
Direkt gegenüber auf der anderen Seite des Gleises liegt das Innovation-Center, das ebenfalls wie ein Bahnhofsgebäude aussieht, aber modern: Beton, Stahl, Glas, Flachdach. Es steht im Kontrast zum alten Bahnhofsgebäude aus Naturstein, wirkt aber nicht wuchtig. Zusammen stehen sie da wie ein Paar, eine geglückte Kombination aus Tradition und Moderne. Das Gleis wurde offenbar nur gelegt, damit das Szenario stimmig ist. Hinter den beiden Gebäuden endet es. Trotzdem wirkt es nicht wie ein Bahnhof, es fehlen Kaugummis, Müll und Schmierereien an den Wänden ...
Im Untergeschoss des Innovation-Centers begrüßen Johannes Doll und Rebelein, beide BVL, sowie Jürgen Kotzbauer die Gäste mit "frisch gebrühtem" Kaffee aus der Kanne und Süßteilchen. Nach der Info-Veranstaltung wartet draußen am "Bahnhof" ein Bus für die Werksrundfahrt. Es geht vorbei am Rohbau des neuen Bürogebäudes. Derzeit sind die Mitarbeiter noch eher notdürftig in Containern und Altbauten aus den 70er-Jahren untergebracht: "Der Schuster hat immer die schlechtesten Schuhe", kommentiert Kotzbauer die Situation.
Wir fahren vorbei an den sorgfältig aufgereihten Stahlrohren, den Oberteilen der Hybridtürme, am Lagerplatz für die 20.000 Austauschschwellen, die zu jederzeit für die Deutsche Bahn auf Vorrat gehalten werden, an den 6,5 Meter langen und 3,5 Meter breiten Modulen für den Wohnungsbau, den Halbringen, den Tübbingsystemen, den Werkstätten, den Betonmischanlagen.
Draußen vor dem Tor 1 ist jetzt auch die riesige Parkfläche gefüllt mit orangefarbenen Fahrzeugen. Es ist Feierabend in Sengenthal.