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Jobreport: Schokoladen-Fahrer aus der Türkei

24.12.2012 08:00 Uhr
Jobreport: Schokoladen-Fahrer aus der Türkei
In der Türkei wird die Schokolade produziert.
© Foto: Richard Kienberger

Hochsaison für Schokoladenfabrikant Tören Gida aus der Türkei: In aller Herren Länder liefern seine Fahrer die süße Sucht.

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Pressemitteilungen gibt es viele, vor allem darüber, welcher Hersteller an wen wie viele Fahrzeuge verkauft hat. Oft ist das kaum der Rede wert, doch an dieser Nachricht aus dem Haus Daimler blieben wir hängen: Großauftrag in der Türkei, Tören Gida aus der südostanatolischen Millionenstadt Gaziantep kauft 202 neue Actros. Schon die schräge Zahl ließ aufhorchen, aber jetzt kam der Clou: Die Firma wurde als Schokoladenhersteller vorgestellt. Ein Schokoladenfabrikant aus der Heimat des Nikolaus, das weckte unsere Neugierde. Als sich bei einem jüngsten Termin in Istanbul ein Zeitfenster auftat, griffen wir zu, um "schnell" zu Tören Gida nach Gaziantep im Südosten des Landes zu fahren. Wobei die Türkei eben riesig groß ist und "schnell" ziemlich lang sein kann: Die Stadt liegt nicht weit entfernt von der syrischen Grenze, aber ewig weit weg von Istanbul.

Der freundliche Juniorchef Mahmut Tören muss über die einleitende Frage des kakaosüchtigen Reporters, wie viele Tafeln oder Schoko-Nikoläuse in einen 40-Tonner passen, herzlich lachen - und stellt zu Beginn unseres Gesprächs klar, dass Transporte von Schokolade aus der eigenen Fabrik nur etwa ein Viertel des Sendungsvolumens ausmachen.

KONKURRENZBEWUSST: REKORDAUFTRAG ERTEILT

Und wieso ausgerechnet 202 LKW? Wieder schmunzelt der Unternehmer: "Wir wollten den Rekord knacken." So einfach ist das - ein Konkurrent kauft 200 Lastwagen, also ordert man selber einen Tick mehr, um als "größter Auftrag" Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Das Unternehmen hat mit dem Kauf der Actros-Sattelzugmaschinen zugleich einen kompletten Wechsel der Hausmarke vollzogen. Bis dato waren MAN TGA im Einsatz, diese werden nach rund fünf Jahren im Unternehmen gegen die Marke mit dem Stern getauscht. Für Mahmut Tören haben die Actros-Baumuster viele Vorteile, zudem sei der höhere Wiederverkaufswert ein wichtiges Argument für den Wechsel gewesen. Die automatisierte Powershift-Schaltung im Mercedes-Truck kompensiert nach seiner Überzeugung so manchen Fehler der Fahrer. Weil das Unternehmen vor allem grenzüberschreitende Transporte erledigt, war es Tören auch wichtig, dass die neuen Sattelzugmaschinen über eine kraftvolle Motorisierung verfügen: "Wir haben uns gegen den Axor und für den Actros entschieden, weil im Axor das angebotene Leistungsspektrum bei 400 PS zu Ende ist. Unsere neuen Fahrzeuge sind mit 440-PS-Motoren ausgestattet."

DIE SCHOKO-TRUCKER WERDEN GUT BEZAHLT

Die Einkaufstour von Mahmut Tören und seinem Vater Abdullah, der die Firma aufgebaut hat, ist mit der Rekordbestellung nicht zu Ende. Im Lauf des Jahres will er weitere 103 Trucks bestellen. Natürlich vom neuen Hauslieferanten.

Ein Viertel Schokolade, ansonsten weißes Fleisch (Geflügel und Fisch), Bananen und als Rückladung Nahrungsmittel oder Produkte aus der chemischen Industrie: Das Logistik-Unternehmen hat sich ein effizientes Netzwerk aufgebaut, in dem die Fahrer eine wichtige Rolle spielen. Die werden nach Mahmut Törens Aussage durchweg überdurchschnittlich bezahlt - sicher nicht aus Menschenliebe. Rund 1650 Türkische Lira setzen Transporteure als monatlichen Aufwand für ihre Fahrer an, die Firma aus Gaziantep kalkuliert mit weit über 2200 Lira.

Gut angelegtes Geld, ist Mahmut Tören überzeugt. Denn der türkische Unternehmer gehört erfreulicherweise zu den Arbeitgebern, die über den Produktionsfaktor Chauffeur eingehend nachgedacht haben. Für ihn stellt ein zufriedener Fahrer einen Aktivposten in der Firma dar, der beispielsweise mit dem Lastwagen verantwortungsvoller umgeht als ein Kollege, der sich über seinen Arbeitgeber ärgert. "Ein schlecht bezahlter Fahrer wird der Firma schaden," lautet Törens Credo, und als weiteren Beleg führt er den "Dieselklau" an: Bei anständig entlohnten Truckern kein Problem.

EXTRA-WURST: FRACHT-ANTEILE ALS BONUS

Die Flottenverbräuche sprechen für sich und geben dem Boss recht: 30 l/100 km sind vor allem angesichts der teils anspruchsvollen Topographie in der Türkei kein schlechter Durchschnitt - für die beladenen Sattelzüge wohlgemerkt. Bei Leerfahrten verringert sich der Schnitt nochmal, auf 25 l/100 km.

Neben gutem Lohn bekommen die Trucker als speziellen Bonus "Anteile" an der Ladung: Wer Bananen fährt, kann sich eine Kiste mit heim nehmen, wer Schokolade fährt, erhält eine Schachtel Süßes als Wegzehrung oder Mitbringsel. Die Fahrer aus dem Südosten des Landes kommen weit herum. Viele Touren führen in den Irak, andere Ladungen müssen nach Tadjikistan oder in den EU-Raum. Weil die Firma als Beiladung Orangen und Baumwolle auf der gleichen Relation befördert, wird Geflügel-Fleisch, das aus den USA, Brasilien oder Argentinien stammt und im türkischen Mittelmeerhafen Mersin angelandet wird, von dort bis nach Polen gefahren.

Die Touren nach Tadjikistan machen nur einen geringen Teil bei von Tören Gida aus, doch das Land hört sich nach ungezähmten Straßen und jeder Menge Abenteuer an. In der Tat, erzählt Mahmut Tören, müssen seine Chauffeure, die Richtung Wilder Osten unterwegs sind, in der Lage sein, sich notfalls selber durchzubeißen: "Für kleinere Reparaturen unterwegs sind die Fahrer ausgerüstet, haben auch die nötigen Ersatzteile dabei." Wie überall auf der Welt wird es allerdings problematisch, wenn die Elektronik der modernen Maschinen ein tiefes Schlagloch übel nimmt und streikt.

Im Winter 2010/2011 verlor Tören einige Lastwagen in dem wilden Land, in dem es zwar jede Menge Schnee, aber keinen richtigen Winterdienst gibt: "Deshalb sind wir letzten Winter fast fünf Monate nicht nach Tadjikistan gefahren." Seine gute Laune lässt sich der Firmenchef davon aber nicht verderben, denn "das Leben wird durch Herausforderungen erst schön".

IRAK-TRIPS: MULMIGES GEFÜHL FÄHRT MIT

Weniger entspannt sehen das einige Fahrer. Obwohl sie nicht tief in den Irak fahren müssen - Tören hat dort ein eigenes Lagerhaus, in dem die Ladungen bei Bedarf auf irakische Trucks umgeladen werden - haben die meisten ein mulmiges Gefühl, wenn sie über die Grenze in den unruhigen Nachbarstaat wechseln. Wobei es "fahren" nicht ganz trifft, die meiste Zeit stehen die Trucker bei diesen Touren. Die Fahrstrecke beträgt zwar gerade mal 500 Kilometer einfach, trotzdem dauert der Rundlauf mindestens acht Tage: je drei Tage verbringen die Lastwagen bei der Ein- und Ausreise an der Grenze. "Im Irak sind wir wegen der Nummernschilder leicht zu identifizieren. Aber die türkischen Fahrer versuchen, sich gegenseitig zu schützen," erzählen die Tören-Mitarbeiter. Zuletzt hat sich die Sicherheitslage derart verschlechtert, dass Tören einstweilen auf Touren in den Irak verzichtet. Ihm wurden an der Grenze wohl auch einige Fahrzeuge abgefackelt.

Trotz mancher Härten sind die Fahrer glücklich. Einer macht es "wegen des Geldes", für ihn ein anstrengender Job, in dem er aber gut verdient. Sein Kollege sieht es anders: "Viele Leute kommen ihr ganzes Leben nicht aus ihrem Dorf. Ich habe durch meinen Beruf 32 Länder gesehen und jede Menge interessanter Menschen kennengelernt. Dafür bin ich dankbar." Ein anderer stimmt zu: "Ich will kein Chef sein, für mich passt das. Es ist ein wunderbarer Beruf." Für uns war es hingegen wunderbar, solche Fahrer zu treffen - und (noch) spannender als Schokolade.

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