Er erinnert an den Fels in der Brandung: Während um ihn herum Handwerker wie Ameisen auf der Baustelle umherwuseln, bleibt Volker Meyer in Ruhe an seinem Arbeitsplatz. Auf dem Bau dürfte wohl kein Arbeiter einen kleineren Bewegungsradius haben als er, der nur eine Maschine zu bedienen hat: seinen Spezial-LKW. Und dennoch kommt dem 46-Jährigen und seinem Arbeitsgerät eine tragende Rolle auf dem Bau zu. Sein Estrich bildet den Untergrund für Fußbodenbeläge im Rohbau, in diesem Fall eines Studentenwohnheims, das er einige Tage lang mit dem grauen Teig füttert.
Auf Baustellen finden gewöhnlich zwei Techniken Anwendung. Entweder wird der Estrich in fester Konsistenz geliefert, in großen Silos gelagert und in einer Putzmaschine mit Wasser einsatzfähig gemacht. Oder es werden Fahrmischer eingesetzt, die den fertigen Belag anliefern. Meyers "Mixmobil" - so nennt sein Arbeitgeber die selbst gebaute, mobile Estrichmisch- und -förderanlage - hingegen macht Silos und Fahrmischer überflüssig: Der Bodenbelag wird im LKW vor Ort hergestellt. Nachdem der Estrich im Wageninneren produziert wurde, gelangt er unmittelbar danach durch einen Schlauch an seinen Einsatzort. Wenn nötig - wie in diesem Fall - auch ins dritte Stockwerk.
"Wenn du Silos bestellst, brauchst du viel Lagerkapazität. Mich bestellst du heute, und morgen bin ich weg", erläutert Meyer den Vorzug des Mixmobils. Wo andernorts viel Logistik benötigt wird, braucht es hier nur diesen einen Sattelzug, der nach getaner Arbeit die Baustelle sauber verlässt. Einzig einen Wasseranschluss muss der Betreiber zugänglich machen. "Ansonsten bin ich komplett unabhängig. Ich habe sogar ein eigenes Stromaggregat an Bord", erzählt der schnauzbärtige Fahrer und Maschinist.
BEINAHE UNABHÄNGIG: NUR EINE FUHRE SAND BRAUCHT ES ZUR PRODUKTION
Doch ganz unabhängig ist Meyer doch nicht: Die wichtigste Zutat zur Herstellung des Estrichs trifft gerade ein. Ein Kipper bringt eine Ladung Sand an die Baustelle. Die zweite von vier an diesem Tag. Er klettert auf den Mini-Bagger am hinteren Teil des Aufliegers, wo er sich daran macht, die 28 Tonnen Sand von dem anliefernden LKW in den Container seines Anhängers zu verladen. Nach 15 Minuten ist die Ladefläche voll. "So, jetzt kann der Estrich hergestellt werden", erläutert Meyer und erklimmt die Treppe, die im Mittelteil des Trailers in das Herzstück des Sattelzugs führt. Von hier aus überwacht der Sachse die Steuerungszentrale des Mixmobils.
Zusätzlich befindet sich in diesem Raum der Mischtank. In diesen Behälter fließt neben Wasser und Sand das Bindemittel Anhydrit ein. Weil sich hinter dem Namen des Bindemittels eine natürliche Calciumsulfat-Verbindung verbirgt, besteht der Bodenbelag am Ende ausschließlich aus umweltverträglichen Zutaten. "Die Bestandteile werden computergesteuert gewogen und gemischt. Nach anderthalb Minuten Mischzeit bekommt man 500 Liter Estrich heraus", erklärt der Fachmann.
MIT ZWÖLF KUBIKMETER PRO STUNDE "BETANKT" MEYER DIE BAUSTELLE
Der erzeugte Fließestrich ist fast so dünnflüssig wie Wasser und wird mit einer Zwei-Kolben-Pumpe durch einen 200 Meter langen Schlauch in die entsprechenden Räume des Rohbaus gepumpt. Die einzelnen Zimmer hat Meyer vorher schon mit Klebeband voneinander abgetrennt. Denn jeder Raum wird gesondert mit Estrich "betankt", damit der Belag nicht reißt, wenn die Zimmer unterschiedlich beheizt werden. Über Funk teilt ihm ein Bauarbeiter aus dem Inneren des Gebäudes mit, wann er die Estrich-Zufuhr abstellen soll - nämlich dann, wenn die Handwerker den Bodenbelag in einem Raum fertig verteilt haben. So geht das Zimmer für Zimmer.
Zwölf Kubikmeter Fließestrich pro Stunde lässt Meyer ins Gebäude laufen. Das macht bei einer Estrichdecke von fünf Zentimeter Dicke rund 2000 Quadratmeter, die er an einem Tag herstellt und anliefert. Anders als viele Berufskraftfahrer macht der Fahrer bei seinen Touren nicht viele "Meilen" im Jahr. Auf gerade einmal 400.000 Kilometer bringt es der Zähler seines 13 Jahre alten DAF 95 XF mit Spacecab und 480 PS, den Meyer seit dessen Erstzulassung fährt. "Bald", meint Meyer, "werde ich wohl ein neues Arbeitsgerät bekommen." Einstweilen tue es aber noch das alte, auch wenn die Jahre Spuren am Vehikel hinterlassen haben. Insbesondere die Kühlwasservorrichtung tropft vor sich hin.
Für seinen Arbeitgeber, die Spaansen GmbH, klappert er täglich Baustellen zwischen München und Bamberg ab. Seit 16 Jahren fährt er für das in Holland ansässige Unternehmen, das hauptsächlich die so getauften Mixmobile einsetzt. Über seine Firma kann er kein schlechtes Wort verlieren: "Wenn Kollegen immer wieder berichten, dass sie ihr Gehalt später bekommen, dann kann ich das kaum glauben. Ich kriege es immer pünktlich. Und die Höhe der Bezahlung stimmt ebenfalls", äußert sich Meyer zufrieden.
Das Unterwegssein vermisst er derweil nicht: "Früher hat das Fahren noch Spaß gemacht, heute sind schon kurze Strecken auf der Autobahn durch die vielen Baustellen und Staus eine Tortur." Kurze Touren, geregelte Arbeitszeit, guter Lohn: Da bleibt der Sachse lieber bei seinen bayrischen Baustellen - und lässt es hier laufen, respektive fließen.