Im Jahr 1968 nahm alles seinen Anfang: Statt an die Uni zu gehen und fleißig zu studieren, packte mich die Leidenschaft fürs Lastwagenfahren ... Nach ersten "Übungen" auf Beton- und Kieslastern startete ich 1969 zwar dann doch noch einen Versuch mit einem Studium an der Uni Freiburg - landete aber bald wieder auf der Straße auf einem Kühlzug.
Da gab es Kollegen, die waren schon in Barcelona oder Mailand gewesen! Ein Traum. Ich selbst fuhr BRD, etwas DDR und CSSR. Ein Wechsel auf einen Büssing Commodore führte mich dann bis fast nach Belgrad. Das war schon besser. Aber Spanien? Der Wunsch ging nicht in Erfüllung. Nach einem erneuten Studiumsversuch kehrte ich endgültig zurück in den Fernverkehr und lernte eine Firma in Chalon sur Saône kennen. Die fuhren Portugal! Das war damals sehr weit weg.
Bei der heute noch vielen älteren Fahrern in Erinnerung gebliebenen Firma mit dem Namen Trans-Europ fuhr ich fast nur international: von Frankreich nach Deutschland und Österreich und wieder zurück an Orte in ganz Frankreich. Aber mein Fernweh blieb. Ja, als Urlauber hätte man vielleicht nach Spanien reisen können, aber das interessierte mich nicht.
ENDLICH! "FRONNMANN, TU CHARGES POUR LE PORTUGAL"
Im Juli 1975 bekam ich nach der Entladung auf dem Kölner Großmarkt die Order: "Fronnmann, tu charges pour le Portugal",(*Fronemann, du lädst nach Portugal). Das "e" in meinem Nachnamen war im Französischen zum "n" geworden. Ich sollte endlich nach Portugal fahren! Ein Carnet TIR hatte ich dabei, wusste aber über die Abwicklung wenig. Geladen wurde nahe Karlsruhe: Vorprodukte für Elektroausrüstungen für eine Tochterfirma in Espinho bei Porto.
Nach der Beladung wurde von einem Zollspediteur die Ladung minutiös in das damals noch aus zehn und mehr aneinanderhängenden, doppelt langen zwei DIN A4-Blättern bestehende Zolldokument eingetragen. Darin wurden auch der genau Streckenverlauf mit Grenzübergängen sowie die zur Verfügung stehende Transportdauer eingetragen.
Die festgelegte Route verlief über Kehl/ Straßburg, das Rhônetal hinab und dann über Sête und Toulouse nach Henday/Irun. Von dort ging es über den Echegarrate-Pass auf der N1 und anschließend N 620 über Burgos und Salamanca nach Fuentes de Oñoro/Villar Formoso zur letzten Grenzabfertigung.
Die Fahrt führte großenteils über Landstraße; entweder gab es keine Autobahn oder die Spedition wollte, etwa im Rhônetal, die Maut sparen. Man kam auf den Fernstraßen zügig voran und hatte viele Restaurants, etliche mit dem Zeichen der Chauffeursorganisation "Les Routiers". Kollegen hatten mir den Routenverlauf und die Verhaltensweisen an den mit viel Bürokratie verbundenen Grenzübertritten erklärt.
STEMPEL NACH STEMPEL: HÜRDENLAUF MIT DEM CARNET TIR AM ZOLL
Mit geduldigem Warten, Angaben zum Tankinhalt, Ausfüllen von Statistikformularen und immer wieder Abstempeln des Laufzettels kam schließlich der spannende Augenblick der Carnet-TIR-Abfertigung, mit Stempeln und Abtrennen des einen und Weiterstempeln für den nächsten Zoll des anderen DIN-A4-Blatts.
Danach musste man einen Zöllner mit Zollschnur, Plomben und Plombenzange zum Lkw begleiten. Dort wurde der Zollverschluss genau geprüft. Die Ösen des innen einen Draht führenden Planenseils durften nur einen bestimmten Abstand zueinander haben. War alles geprüft, wurden die beiden Enden des um den ganzen Auflieger an einem Stück geführten Verschlussseils mit Zollschnur verbunden und die Plombe angebracht.
Wartezeiten von drei oder vier Stunden waren nicht ungewöhnlich, vor allem am spanischen Zoll, wo noch die Leute der Franco-Diktatur das Sagen hatten, denen das von den Faschisten befreite Portugal ein Dorn im Auge war. Folglich wurden die Auflieger dort immer wieder zur Kontrolle vollständig entladen und nach der Feststellung, dass alles stimmt, wieder beladen. Den Preis für die Stauer durfte der Chauffeur für sein Unternehmen bezahlen!
BASKENLAND: NACH DEM ZOLL ENDLICH WIEDER FREIE FAHRT
Die Fahrt durch das Baskenland führte durch schöne Orte und Landschaften. Die Einhaltung aller Verkehrsregeln empfahl sich dringend, denn überall standen Männer der Guardia Civil, die für ihre Schärfe berüchtigt waren. Inzwischen war es 14 Uhr und der Hunger meldete sich. 'Hoffentlich gibt's jetzt noch etwas Warmes zu essen', dachte ich und hielt an einem der riesigen Fahrerrestaurants. Die Landessprache kam mir wahrhaftig "spanisch" vor, ich verstand kein Wort. Zum Glück sprachen viele etwas Französisch. So erfuhr ich, dass es hier erst 13 Uhr war und vor 14 Uhr eh keine Mahlzeit serviert würde. Andere Länder, andere Sitten!
Die Nationalstraße N 620 führte größtenteils zweispurig über die Meseta, das spanische Hochland. Bei Burgos heißt das: bis zu 1200 Meter hoch. Ab November liegt hier häufig Schnee, so auch auf mancher meiner Touren. Die Fahrt führte teilweise dicht an Stadtzentren vorbei, wie in Burgos. Ich legte hin und wieder die Pause so, dass ich nur über eine Brücke durch ein Stadttor gehen musste und schon die berühmte Kathedrale vor mir hatte. Ein Imbiss in einem typischen Restaurant war zeitlich drin.
Auch Ciudad Rodrigo, kurz vor der Grenze zu Portugal, lud zu solchen Tourismuseinlagen ein. Die Abfertigung am schon erwähnten Grenzübergang dauerte zwischen zwei und vier Stunden. Mittags machten die Zöllner zwei Stunden Pause. Mehrere "restaurantes" auf beiden Seiten der Grenze boten günstige und gute Menüs an. Man saß unter Fahrern zusammen, tauschte sich aus und verabredete sich zum Kaffee oder Abendessen auf dem Weg nach Porto.
Die Weiterfahrt nach der Grenzabfertigung verlief über eine gerade Straße. 'Was haben die Kollegen denn da wieder verzapft?', dachte ich. 'Wo sollen hier denn die engen Kurven um Felsblöcke und auf und ab führenden Straßen sein?' Kaum zu Ende gedacht, öffnete sich vor mir ein steil abstürzender Abhang, den die Fahrbahn in Schlangenlinien hinab- und kurz darauf gegenüber wieder hinaufführte. Zwischen riesigen Felsblöcken bearbeiteten Bauernfamilien winzige Felder mit Ochsengespannen und einfachsten Pflügen. Dörfer duckten sich an die Felsblöcke.
VERZOLLUNG AM FLUSS, DICHT AN DER ALTSTADT
Vor Coimbra ging es in die Ebene und weiter nach Porto. Das war kurz nach der Nelkenrevolution und überall gab es Kundgebungen. Kollegen hatten mir den Weg zum Zollamt am alten Hafen erklärt. Doch zuerst einmal blieb ich eine halbe Stunde in einer Demonstration stecken, von allen Seiten freundlich begrüßt dank französischem Laster! Durch enge Straßen gelangte ich zum ehrwürdigen Zollgebäude. Einige Fahrer standen da, vor allem Franzosen und Schweizer. Alles sprach damals noch Französisch, also kein Verständigungsproblem. Am Montag brachte man die Zolldokumente zum Zollspediteur, der sie dann meist erst Dienstagnachmittag mit der Warenfreigabe zurückbrachte. Das langte noch, um zum Kunden zu fahren, den Auflieger abzusatteln und zurück nach Porto zu fahren.
Mittwochabend war der Auflieger ent- und wieder beladen. Zurück in Porto reichte es vielleicht noch, die Papiere beim Deklaranten abzugeben. Hatte man Glück, konnte man am Donnerstagabend die Rückfahrt antreten. Das hieß, erneut dreieinhalb Tage Fahrt und rund 2500 Kilometer, davon 1000 durch Portugal und Spanien. Mein Traum war in Erfüllung gegangen.
Bei Trans-Europ ging es auch an die Mittelmeerseite Iberiens, nach Barcelona, Valencia und weiter. Nach wie vor waren Spanien wie auch Portugal nicht EU-Land. Anfangs ging es noch auf der Nationalstraße über den Pass bei Le Perthus, später dann auf der Autobahn, leider! Ich liebte die Überlandstraßen, weil es viel mehr zu sehen gab und überall gute "restaurantes" waren, wo man Kollegen aller Herren Länder traf. Die Zollabfertigung in La Junquera - heute ein riesiger "In"-Truckstopp - nahm ebenfalls trotz inzwischen verwendeter T3-Papiere viel Zeit in Anspruch. Allein die Parkplatzsuche konnte eine Stunde dauern! Und immer wieder gab es Karambolagen wegen der engen Parklücken.
"MÖRSCH, MALSCH, MADRID!"
WAR EINE LEGENDÄRE FLOSKEL
Während der Abfertigung durch die Zolldeklaranten war genug Zeit zum Plausch mit Landsleuten. Der Frucht- und Gemüsehandel beherrschte vor allem in der kalten Jahreszeit einen Großteil der Transporte. Das war eine Domäne vieler Nordbadener und Pfälzer. Sie hatten ihren eigenen Humor und waren immer für einen Spaß zu haben. Auf die übliche Frage "Wo fahrsch na?" (Wo fährst du hin?) hatten sie die legendäre Floskel geprägt: "Mörsch, Malsch, Madrid!"
1975 führte die N2 von der Grenze nach Madrid. Es ging recht nah am Stadtzentrum vorbei. Wer bei Barcelona entladen musste, fuhr zum alten Hafen hinunter und dann zum dort gelegenen Zollhof. Abends ging man gemeinsam auf die nahen Ramblas, die Flaniermeile. Ende der Achtzigerjahre hatten wir dort einmal die Zollformalitäten und die Veterinärskontrolle mit einer Ladung von 16 Löwen, 15 davon ausgewachsen, in einem Hängerzug durchzuführen. Damals war ich schon Journalist und begleitete den Chauffeur als zweiter Fahrer von Recklinghausen nach Alicante.
Mitte der Siebziger führte die Autobahn von Barcelona nur bis Tarragona, dann ging es auf der N340 über Castellón am Meer entlang. Zurück geladen habe ich dann meist im Großraum Valencia Apfelsinen, Zwiebeln oder Zitronen. Die musste man bei der Ausfuhr-Qualitätskontrolle in nahen Orten vorführen und erhielt erst dann die Transport- und Ausfuhrdokumente.
ÜBER DEN FRASNO-PASS BIS NACH MADRID
Andere Aufträge führten auf der N2 nach Madrid. Selbst als die dortige Autobahn fertig gestellt war, wählte ich die viel interessantere und kostenlose N2 über Lerida und Zaragossa. Nach Zaragossa, der Stadt des Malers Goya, ging es durch ein Gebirge mit dem etwa 1200 Meter hohen Frasno-Pass, wo zwei Restaurants einluden. Das war oft Treffpunkt von Schweizern, Deutschen, Franzosen und spanischen Fahrern an einem Tisch. Nach Madrid fuhr ich mehrmals Zeitungspapier aus Augsburg. Nach der Entladung ging es leer über die N3 durch die Mancha, das Land von Don Quichotte, und das Küstengebirge "hinüber" nach Valencia.
Später, als Journalist, bin ich als zweiter Fahrer mit einem Iveco Eurostar der Spedition Dreier in Suhr über Algeciras mit der Fähre bis Ceuta in Nordafrika gefahren. Inzwischen führten dank der EU-Zugehörigkeit moderne Maut-Autobahnen und kostenlose "Autovias" (Fernstraßen) durchs Land. Damit war für mich das einstige Fernfahrerleben zu Ende. Die Erinnerungen daran möchte ich, so wenig wie viele Kollegen aus dieser Zeit, auf keinen Fall missen. Wenn wir unseren jüngeren Kollegen heute davon erzählen und diese mit oft leuchtenden Augen lauschen, kann ich sie aber trösten: "Wir haben die erlebnisreichen Geschichten hinter uns, ihr dafür noch vielversprechende Lebensjahre vor euch!" Gerlach Fronemann