Nach zwei Lehrjahren im Inlandsverkehr bekam ich 1972 meinen ersten Job als Fernfahrer bei einer Wiener Spedition. Der Chef teilte mir zunächst einen betagten „Pausbacken“ MAN 415 zu: Mit 115 PS und einem Gesamtzuggewicht von über 20 Tonnen war das schon eine echte Herausforderung, den LKW samt Fracht in halbwegs einer vernünftigen Zeitspanne ans Ziel zu bringen. Die Destinationen meines Dienstgebers, der VINZENZ SCHREIBER GmbH, waren Messestädte im damaligen Ostblock, wie Brünn, Posen, Plovdiv und Moskau. Als Jurastudent war ich natürlich ein Außenseiter in der Runde der Berufsfahrer, ein „weißer Elefant“ gewissermaßen. Nach kurzer Zeit gelang es mir jedoch, das Vertrauen der Kollegen und der Chefs zu erringen.
Start nach Griechenland
1973 erhielt ich dann als Urlaubsvertretung erstmals einen Sattelzug, und zwar einen neuen LKW der Marke Steyr 1290 mit „sagenhaften“ 230 PS und Turboaufladung. Zur Einschulung fuhr bei meiner ersten Tour nach Griechenland der Berufsfahrer mit, Hans Schöninger mit Namen, der mir viele wertvolle Tipps zur Fahr- und Ladetechnik gab, aber auch lustige Stories über seine Erlebnisse als Fernfahrer zu erzählen wusste.
Es war Juni und die Temperaturen in Griechenland erreichten bereits respektable 40 Grad, eine Hitze, die wir in Mitteleuropa damals noch nicht kannten. Griechenland konnte man von Österreich entweder über die slowenisch-kroatische Grenze über Spielfeld und weiter über den Autoput durch Kroatien, Serbien und Mazedonien erreichen, oder, um die berüchtigte Todesstrecke Zagreb-Belgrad zu vermeiden, den Weg über Ungarn nehmen. Dazu brauchte es allerdings, wie im gesamten damaligen Ostblock, ein Transitvisum, das zum Unterschied von der CSSR problemlos an der Grenze gelöst werden konnte.
Grenzkontrollen im Ostblock
Jede Grenze war eine Herausforderung: Die Grenz- und Zollbeamten prüften die Beförderungsdokumente, in der Regel Carnet T.I.R., Zollverschlussgutachten etc. sehr genau, anschließend auch den Wagen auf mitgeführtes Schmuggelgut oder blinde Passagiere. Je nach Laune der Grenzer dauerte eine Abfertigung zwischen zwei und sechs Stunden, selbst dann, wenn nur wenige Fahrzeuge an der Grenze standen.
Wir nahmen also den Weg über Ungarn. Der Transit durch das Land der Magyaren war problemlos, aber alles noch auf zweistreifigen Staatsstraßen und mit Durchquerung der Städte wie Györ, Budapest, Kecskemet und Szeged. Restaurants mit schmackhaftem Essen zu sehr günstigen Preisen lagen auf der Strecke. Während in Ungarn die Straßen damals schon einen recht passablen Straßenbelag aufwiesen, erwartete uns in Serbien eine sehr schlechte Straße mit zahlreichen Löchern und Bumps. Einer diese Bumps, den mein Kumpel in der Nacht offenbar zu spät erkannt hatte, beförderte mich mit meinen schon damals über 100 kg Lebendgewicht in der Schlafkoje liegend an den Himmel des Fahrzeuges. Ja, auch das war damals üblich, dass man seine Ruhepause während der Fahrt im Bett verbrachte.
So richtig abenteuerlich wurde die Fahrt dann auf dem Autoput südlich von Belgrad Richtung Nis: Ausgebrannte Wracks säumten den Fahrbahnrand, Rasthäuser gab es kaum, die Parkplätze in einem für heutige Begriffe unbeschreiblichen Zustand.
Unfallgefahr und Abenteuer
Zur Unfallhäufigkeit möchte ich auf die Verkehrsopfer der 1970er Jahre verweisen, wo es allein in Deutschland über 20000 Tote im Straßenverkehr gab, heute sind es meines Wissens ca. 4000. Österreich wies eine ähnliche Verkehrsunfallstatistik auf, am Balkan war es mit Sicherheit noch schlimmer: Das Fahren war damals im wahrsten Sinne lebensgefährlich.
Mit knapp über 20 Jahren denkt man natürlich weniger an die Gefahren als an die Abenteuer: Dem Beruf des Truckers haftete damals noch ein Hauch von Abenteurertum und Kühnheit an. Wegelagerer gab es in Gestalt der Polizei, mit der man sich, zum Unterschied zu heute, mit einem vergleichsweise lächerlichen Betrag zwischen drei und zehn Euro einigen konnte, manchmal genügte auch eine Schachtel Kent oder Marlboro Zigaretten. Lenkzeitvorschriften gab es damals zwar auch schon, Aufzeichnungen mittels Tachografenscheiben, die jedoch auf dem Balkan und in Griechenland meiner Erfahrung nach nicht kontrolliert wurden.
Griechenland – bezahlter Urlaub!
Nachdem wir Jugoslawien durchquert hatten erreichten wir die griechische Grenze: Griechenland empfing uns im Sommer mit dem typischen Geruch der Macchien, gleichzeitig heizte die Temperatur weiter auf. In der Bucht von Volos, laut meinem Kumpel ein typischer „Glutmugl“, war es auch bei Nacht unerträglich heiß. Klimaanlagen gehörten noch nicht zur Ausstattung von LKWs. Auf der Strecke von Volos nach Piräus, dem Ziel dieser ersten Griechenlandfahrt, sah ich morgens einen umgekippten LKW und sehr viel Rotes auf der Fahrbahn liegen: Ich erschrak furchtbar, da ich zunächst annahm, dass sich hier ein ganz schlimmer Verkehrsunfall ereignet haben musste, es sich bei dem roten „Material“ um Unfallopfer handelte. Tatsächlich waren es durch den Aufprall auf dem Asphalt aufgesprungene Wassermelonen, die tiefrot in der Morgensonne glitzerten!
Endlich war der Hafen von Piräus erreicht. Aufgrund eines Streiks konnten wir aber nicht abladen. In den nächsten Tagen wiederholte sich dann dasselbe Ritual: Wir fragten an, ob wir unsere Ladung loswerden könnten, die lakonische Antwort lautete jeweils: „Streik“. In kurzer Zeit bildete sich eine Gruppe von ca. zwanzig oder mehr Fernfahrern aus Österreich und Deutschland. Rund um den hellblauen Kiosk, der zugleich die einzige Kommunikationsmöglichkeit mit dem Heimatland, ein hellgraues Telefon, anbot, lagerten die Fernfahrer. Für ein Ferngespräch musste man bis zu zehn Mal wählen, auch die Verbindung war meist sehr schlecht. Fernfahrergarn wurde eifrig gesponnen. Bald kam einer auf die Idee, tagsüber ans Meer baden zu fahren. Die meisten Fahrer hatten bereits abgesattelt, nach der Information „Streik, nix abladen“ setzten sich zahlreiche Zugmaschinen Richtung Strand in Bewegung. Es war wie ein bezahlter Urlaub!
Ausflug auf die Akropolis
Als kulturbewusster Mitteleuropäer schlug ich einmal vor, die Akropolis zu besichtigen. Ich konnte allerdings nur eine kleine Zahl von Kollegen für diesen Ausflug begeistern. Trotzdem erreichten wir mit der Zugmaschine und vier bis fünf Kollegen in der Kabine – das war damals üblich und wurde auch toleriert – die Akropolis. Ich versuchte, den Fernfahrern die kulturelle Bedeutung dieses Ortes zu vermitteln. Trotz meiner lebhaften Schilderung hielt sich das Interesse der Fahrerkollegen über meinen Geschichtsvortrag in Grenzen…
Nachtleben in Piräus
Wesentlich mehr Interesse weckte bei den Kollegen das Nachtleben von Piräus, Barbesuche waren angesagt: Sehr bald kamen schon die ersten Meldungen, dass das gesamte Tourengeld verbraucht war. Die Chefs in Österreich und Deutschland waren weder über den Streik noch über die Mittellosigkeit ihrer Fahrer sonderlich erfreut: Den Streik konnten sie nicht lösen, die mangelnde Liquidität durch Bekanntgabe einer griechischen Bank, wo sich die Fahrer einen gewissen Betrag holen könnten, allerdings schon.
Nach etwa zehn Tagen war der Streik beendet, wir konnten abladen und die Rückfahrt nach Österreich antreten.
Ich war dann noch mehrere Male in Griechenland, öfter in Saloniki als in Athen, im Winter in Nafplion, um Orangen zu laden. Der Großhändler in Österreich, bei dem ich die Ladung ablieferte, sah mich einmal streng an, weil sich das Gewicht um etwa eine halbe Tonne gegenüber dem Wert bei der Beladung verringert hatte. Ich beteuerte, nichts von der Ladung an mich genommen zu haben. Der Großhändler hörte sich meine Beteuerungen eine Weile an und lachte mich dann aus: Tatsächlich verlieren die Orangen aufgrund der Erschütterungen während der Fahrt Gewicht, sie „schwitzen“, wie die Obsthändler sagen, und das Thema war erledigt.
Entwicklung
Von den damals bestehenden kleinen und mittleren Transportunternehmen im Fernverkehr gibt es zumindest im Osten von Österreich nur noch sehr wenige: Die Klein- und Mittelbetriebe haben die Stürme der Zeit und zuletzt die Krise 2008 großteils nicht überstanden. Auch die Firma VINZENZ SCHREIBER, für die ich drei Jahre als Fernfahrer unterwegs war, gibt es längst nicht mehr. Doch ein Unternehmen, das damals schon mit gelben Volvozügen stark präsent war, mit der weißen Aufschrift GRAD LINZ auf den grauen Planen, zählt heute zu den Titanen auf dem österreichischen Logistikmarkt: Es ist die Firma TRANSDANUBIA in Linz Pasching, mit ca. tausend ziehenden Einheiten. Und das hat ein Mann geschafft, mit viel Ausdauer, Ideenreichtum und einem starken familiären Zusammenhalt: Franz Grad, heute weit über siebzig, gibt noch immer Gas! Schon damals war er für seine Fahrer stets erreichbar, die Telefonate waren nicht immer freundlich, aber er stand hinter seinen Fahrern, wenn es Probleme gab. Und ein wichtiges Detail: die Windschutzscheiben mussten täglich gereinigt werden: der Kübel mit dem Zubehör zur Scheibenreinigung war morgens ein Erkennungsmerkmal der GRAD - Chauffeure!
Rückblick
Was bleibt, ist die Erinnerung an abenteuerliche Fahrten quer durch Europa, fast ohne Kommunikationsmöglichkeit, mit schwach motorisierten Fahrzeugen, hohes Unfallrisiko – aber mit einer im Vergleich zu heute sehr guten Bezahlung und wenig Zeitdruck. Ein Telefonat mit dem Chef pro Tag war schon das Höchste, was er sich erwarten konnte. Hinter dem Eisernen Vorhang hörte die Kommunikation überhaupt auf, was einem als Fahrer einen großen Spielraum gab.
Schön war’s, abenteuerlich und einige Kollegen von damals treffe ich noch heute!
Dr. Johannes Sääf, Unternehmensberater, Wien