Wir treffen Mike und Karen an einem Montagnachmittag auf einer kleinen Farm außerhalb von Fort Pierce im amerikanischen Bundesstaat Florida. Hier steht der Lkw des Ehepaars, ein neuer Kenworth T680-18, vor einer großen Scheune auf der Wiese. Der Chrom blitzt, der Lack glänzt - Mike hat letztes Wochenende einige Stunden damit verbracht, Truck und Trailer zu waschen und zu polieren. Er will uns sein Arbeitsgerät im besten Licht zeigen.
In den nächsten zehn Stunden werden wir das Ehepaar auf der anstehenden 48-Stunden-Tour begleiten. Es geht zunächst 400 Kilometer in den Süden nach Miami und dann wieder hoch durch fünf Bundesstaaten bis nach Virginia. Wir wollen uns den harten Markt der Spediteure ansehen, die frischen Fisch und Meeresfrüchte die Ostküste hinauftransportieren, einige von Miami ganz im Südosten bis hinauf nach New York City. Mike ist mit der Abfahrtkontrolle beschäftigt. Er startet die Kühlung, damit der in der Hitze stehende Trailer auf Minustemperaturen abkühlt, ehe wir den ersten Ladeplatz erreichen. Danach checkt Mike die Flüssigkeiten. Der Motor ist ein Cummins X-15 T Twin Turbo Diesel mit 500 PS. Angetrieben wird er von einem Eaton-Ultra-Shift-Plus mit zehn Gängen. Die Hinterachsen haben eine Übersetzung von 3:25.
KEINE UNNÖTIGEN PAUSEN, DER PROVIANT IST MIT AN BORD
Im Pick-up ist der Proviant für die Tour, Mike reicht das Essen und jede Menge Softdrinks durchs Seitenfenster an Karen, die alles auf die Staufächer verteilt. "Während der nächsten 48 Stunden", erklärt sie, "halten wir ausschließlich zum Be- und Entladen an. Eine Extrazeit zum Essen und Ausruhen ist nicht eingeplant."
Seit über 25 Jahren ist Mike in der Branche tätig. Er ist gelernter Dieselmechaniker, der Ausbildungsbetrieb zahlte ihm den Lkw-Führerschein, damit er die Kundenautos bewegen konnte. Einer der größten Kunden der Werkstatt war die örtliche Müllabfuhr - und mit der Zeit begann das dem jungen Mann zu "stinken". "Ich wollte lieber fahren, als den ganzen Tag mit Müllwagengeruch in der Nase zu werkeln", erinnert sich Mike an diese Zeit. Er bekam einen Job als Schwertransportfahrer zwischen Miami und Texas. Später trat er in eine Firma ein, die frischen Fisch zwischen Miami und New York beförderte - das gefiel ihm. 1997 beschloss er zu kündigen und als Subunternehmer weiterzumachen. "Mein Vater hat mir das beigebracht", meint Mike, "er ist Herzchirurg. Und er hat mir als Kind immer gesagt: Egal, was du machst, sorge dafür, dass du das Beste aus dir herausholst."
Etwa fünf Jahre später kam Karen in Mikes Leben. Sie arbeitete damals bei einer Firma in Jersey und disponierte die Touren für 40 Fahrer. Mike und sie kannten sich per Telefon. "Ich hatte mich immer gefragt, wer wohl dieser Kerl ist, der immer höhere Preise für seine Touren verlangte als andere Spediteure", erzählt Karen lachend. Eines Tages - das war vor 17 Jahren - spazierte Mike ins Büro und lud Karen zum Kaffee ein. Seit fast so vielen Jahren sind die beiden nun ein Ehepaar.
Zeit für die Arbeit. Gleich im Ort ist die erste Ladestelle. Die Firma Inlet Fishmarket hat am Hafen in Ft. Pierce ein kleines Lagerhaus, Mike öffnet die Tore mit einem eigenen Schlüssel. Während er die Paletten aus dem Kühlraum holt, startet Karen einen Gabelstapler, um die Fracht sofort in den Auflieger zu laden.
Ganze elf Minuten braucht das Paar für den Stopp, Mike zeigt uns das auf dem Tachografen, der mit seinem iPad auf dem Armaturenbrett verbunden ist. Das ELD - Electronic Log Device - zeichnet sämtliche Fahrzeugbewegungen auf. Der Tachograf ist erst seit Dezember 2017 Pflicht, das sei eines der Hauptgesprächsthemen der Branche, erzählt Mike. Er darf maximal zehn Stunden fahren, dann heißt es pausieren. Es gebe mehrere Lobbyisten-Gruppen, die die Regierung dazu bringen wollen, das Gesetz zu kippen - er selbst findet die Regelung in Ordnung.
Die Lenk- und Ruhezeiten sind mit Schuld daran, dass Karen zum Fahren kam. Statt einen Fahrer anzuheuern, machte sie den Führerschein - "so teilen wir uns das Fahren und wir können zusammen sein", sagt das Paar zufrieden. Will Mike nicht expandieren? "Ich habe ausgerechnet, dass ich mindestens fünf Lkw laufen lassen müsste, um dieselbe Wirtschaftlichkeit zu erreichen wie heute", erklärt er und ergänzt: "Und ich selbst würde im Büro landen, um mich um die Logistik und den Papierkram zu kümmern, und das will ich nicht."
NACH MIKES SCHICHT ÜBERNIMMT SEINE FRAU DAS STEUER
Noch bis vor einigen Monaten war das Paar auf längeren als 48-Stunden-Touren unterwegs, doch die Strecke New York-Boston-Miami ist Vergangenheit. Die beiden fahren jetzt für die lokale Firma Mid Atlantic Transport, die neun eigene Trucks unterhält und inklusive Mike drei Selbstfahrer als Subunternehmer beschäftigt.
Wir rollen auf dem Highway 95 südwärts in Richtung Fort Lauderdale. Dort lädt das Paar in kürzester Zeit vier Paletten. In Miami wird der Auflieger voll ausgeladen, dann geht es in den Norden. Die Tour wird von Floridas Südspitze durch Georgia, South Carolina und North Carolina bis Virginia führen. Karen hat sich zurückgezogen, sie schläft und übernimmt nach zehn Stunden.
Mike plaudert über seinen Lkw. Er hat ihn vor zehn Monaten gekauft. Einmal pro Monat ist ein Ölwechsel fällig. "Nach rund 500.000 Kilometern tausche ich meine Autos aus, das ist ungefähr alle drei Jahre", berichtet er. "Ich kaufe nur Lkw mit einer verlängerten Garantie, die den Motor, das Getriebe und die Abgasanlage abdeckt." Es sei sehr wichtig, einen zuverlässigen Truck zu haben: "Wenn wir wegen einer Panne einen Tag stehen, möchten die Kunden die Ware nicht mehr. Sie können am nächsten Tag frischeren Fisch haben. "
So wichtig wie der Lkw ist der Kühlanhänger. Mike hat für das neue Modell Utility 3000R 53 knapp 6000 Euro bezahlt. Die Temperaturskala reicht von -28 bis +28 °C. Der Trailer ist innen leicht zu reinigen, hat einen wasserdichten Aluminiumboden und ist innen vollständig versiegelt, sodass keine Feuchtigkeit zwischen Innenund Außenwand dringt. Das Lastgewicht beträgt 25 Tonnen. "Ich habe die Felgen gegen Kenworth-Originalfelgen aus poliertem Aluminium getauscht", grinst Mike stolz, "die kosten zwar 1300 Euro das Stück, aber es sieht eben schöner aus."
Um 21 Uhr erreichen wir Miami. Auf dem Armaturenbrett hat Mike neben dem GPS sein Handy befestigt, mit dem er den Verkehr verfolgt. Auf der geschäftigen sechsspurigen Autobahn geht es langsam voran, das Handy zeigt, dass der Verkehr vor uns wegen eines Unfalls stillsteht. Wir nehmen die erstbeste Ausfahrt und Mike umfährt auf kleineren Straßen den Stau. "Bei unserem knappen Zeitplan können wir es uns nicht leisten, zu stehen", sagt er.
ES GIBT KEINE WAAGE, ALSO VERTRAUT MIKE AUF SEIN GEFÜHL
Eine halbe Stunde später sind wir bei G & S Seafood Handling, einem der größten Frischfisch-Händler Miamis. Mike steuert den Kenworth in Richtung Ladedock. Die Jungs von G & S beladen unseren Trailer mit Krabben, Muscheln, Schwertfisch, Hummer und Austern. Die Paletten werden nach Bestimmungsort sortiert gestapelt, deswegen müssen wir jetzt warten. Ein Transporter mit acht Paletten Krabben eines einheimischen Fischers verspätet sich, die Krabben müssen aber in die Mitte des Trailers.
Bis sein Truck fertig ist, tauscht Mike News mit dem Besitzer der Firma, George Reolid, aus und sortiert die Lieferscheine nach Route. Wenig später ist der Anhänger bis auf den letzten Millimeter vollgepackt. Mike begutachtet die Fracht skeptisch, er macht sich Sorgen wegen des Gewichts. Es gibt hier keine Lkw-Waage, also muss er seiner Erfahrung und dem Bauchgefühl vertrauen. Er entscheidet sich dafür, dass zur Sicherheit zweieinhalb Paletten wieder rausmüssen. Ein anderer Lkw, der später fährt, wird den Fisch mitnehmen.
Auf dem Highway 95 gibt es einige Kontrollstationen, die rund um die Uhr besetzt sind. Kurz vor der jeweiligen Station erfasst eine Bodenwelle das Gewicht des Trucks und signalisiert, ob die Weiterfahrt okay ist. Bevor Mike sich herausrufen lässt, geht er lieber auf Nummer sicher. "Heutzutage gibt es Punkte für Überladung und wenn das öfter passiert, steigt die Versicherungsprämie", ärgert er sich, "früher hat man dafür nur ein Bußgeld bezahlt." Um 23.40 Uhr starten wir voll ausgeladen nach Norden. Die heutige Fracht hat einen Wert von annähernd 350.000 Euro, das Krebsfleisch alleine kostet rund 200.000 Euro. Ein Drittel des Gewichts der Ladung besteht aus Eis. Wir rollen jetzt gemütlich, mit der zulässigen Geschwindigkeit von 70 Meilen pro Stunde (ca. 112 km/h), auf dem Highway 95. Dieselbe Geschwindigkeit gilt hier für Pkw.Voll ausgeladen schluckt der Kenworth im Schnitt 31,4 Liter auf 100 Kilometer. Der Doppeltank fasst 900 Liter.
"WENN DU HIER GELD MACHEN WILLST, SPEZIALISIERE DICH"
"Ich liebe diesen Job", gesteht Mike, "alles an ihm. Den Zeitdruck, die Planung, die Logistik und natürlich auch den Kundenkontakt. Nur zu fahren, würde mir nicht reichen. Außerdem ist es völlig anderes Geld. Je mehr Ladestellen ich habe, desto mehr verdiene ich." Mit dem Transport von frischem Fisch könne man doppelt so viel verdienen wie etwa mit Stückgut. "Wenn du hierzulande Geld machen willst, musst du dich spezialisieren." Nur vier Unternehmen transportieren an der Ostküste Fisch, sagt er, schließlich gäbe es auch nur eine begrenzte Menge davon.
Bis Virginia gibt es nur eine Lieferstelle, an der acht Paletten entladen werden, alles andere geht bis an den Endbestimmungsort. Dort wird der Lkw erneut mit Hummer, Austern und speziellen Schwertfischsorten beladen, die im Süden rund um Fort Pierce und Orlando verteilt werden sollen. Karen und Mike fahren di gesamte Tour manchmal zweimal pro Woche.
Inzwischen ist es 2.30 Uhr morgens und wir nähern uns dem "Flying J" Truckstop am Stadtrand von Fort Pierce, wo Mike mich entlässt. Er rollt den Lkw auf die Waage und stellt schmunzelnd fest, dass er ruhig eine Palette mehr hätte laden können. Wir trinken noch einen Kaffee zusammen und ich verabschiede mich. Mike und Karen werden den Kenworth noch weitere 34 Stunden nur von innen sehen.
AUTOR: Hans Köster