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Der Hamburger Freihafen ist passé

15.04.2013 08:00 Uhr
Der Hamburger Freihafen ist passé
Riesiges Logistikzentrum ohne Ruhepause: Hamburger Hafen
© Foto: Felix Jacoby

Hamburg ist auch nicht mehr das, was es mal war: Plötzlich ist der Freihafen passé. Für viele Fahrer und Transporteure bringt das Veränderungen.

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Die Geschichte des Hamburger Hafens beginnt im neunten Jahrhundert mit einem 120 Meter langen Elbanleger. Heute legen an rund 50 Kilometern Kaianlagen jährlich weit über 10.000 Schiffe an, die 2012 über 130 Millionen Tonnen Fracht umgeschlagen haben. Gut zwei Drittel davon sind Stückgut, das wiederum zu über 97 % in Containern verladen.

1888 trat Hamburg dem Zollgebiet des noch jungen Deutschen Reichs bei, dafür proklamierte Kaiser Wilhelm den Freihafen, um den Hanseaten den Außenhandel zu erleichtern. 124 Jahre gab es diese Sonderzone, in der für die dort umgeschlagenen gelagerten Waren keine Zölle und Einfuhrumsatzsteuern zu leisten waren.

Selbst als EU-Mitgliedsland leistete sich Deutschland hier auf knapp 1500 Hektar bis Ende letzten Jahres ein zolltechnisches Ausland. Das wurde mit einem fast 18 Kilometer langen Zaun und sieben mit Zöllnern besetzten Durchgangsstellen vom Inland deutlich abgegrenzt. Jährlich mussten rund zwei Millionen Fahrzeuge kontrolliert werden.

VON HIER AUS STARTEN SCHIFFE IN 170 LÄNDER

Allein auf dem Nadelöhr des Hafens, der Köhlbrandbrücke, sind täglich 33.000 Fahrzeuge unterwegs, ein gutes Drittel davon LKW. Diese Masse ständig zu überwachen, verursachte enormen Aufwand bei immer weniger Nutzen. Denn die Einfuhrzölle zum Beispiel sind im Durchschnitt von 30 % im 19. Jahrhundert auf 3 % derzeit gefallen.

Auch die Städteplaner freuen sich, in ihren Fantasien nicht mehr von Zollschranken gestoppt zu werden. Die alte Speicherstadt hat ihre Umwidmung von der Zollfreiheit zum Zivilgebiet schon seit zehn Jahren hinter sich, mit teilweise wundersamen Ergebnissen. Und die Verkehrsplaner brauchen dringend Raum, um das Verkehrsnetz des zweitgrößten Hafens in Europa für zukünftiges Wachstum weiterzuentwickeln.

Lange war der Schritt angekündigt, im Dezember 2012 gab es schon einen einmonatigen Probebetrieb. Trotzdem missglückte zunächst der offizielle Start zum Jahresbeginn 2013, weil mehrere Faktoren unglücklich zusammenkamen: Eine zeitweilige Störung des Atlas-Datensystems, eine Anhäufung von Containern durch viele Feiertage davor und obendrein noch eine Krankheitswelle beim Zoll sorgten für teils erhebliche Staus und Wartezeiten. Schnell kam die Kritik auf, dass das System nicht gut funktioniere.

Doch wohl nicht nur der Zoll hatte seinen Anteil an den Anlaufschwierigkeiten. Obwohl es im Vorfeld der Auflösung des Freihafens ein wirklich umfangreiches Informationsangebot zu den Veränderungen gab, sowohl gedruckt wie elektronisch (www.zoll.de), hatten viele Disponenten die neue Situation nicht realistisch eingeschätzt. So hatten viele wie gewohnt Containertransporte organisiert, obwohl es noch keine Freistellung oder Zustimmung zum Wechsel des Verwahrortes nach den neuen Regeln gab.

Schnell verstopften wartende LKW, die nicht die Voraussetzungen zum Abholen von Containern erfüllten, die Zufahrten zu den Terminals. Ein großes Problem ist die Umstellung des Zollsystems auch für Transporteure aus dem fremdsprachigen Ausland. Für sie ist es viel schwieriger, sich in das Datensystem einzuloggen und von dort elektronische Statusinformationen zu ihren Zollpartien zu bekommen.

ZOLLENTSCHEIDUNGEN KOMMEN ELEKTRONISCH

Jetzt aber, einige Wochen später, hat sich die Situation schon normalisiert. "So neu war das Thema für viele unserer Kunden nun doch nicht, immerhin ist der Containerterminal Altenwerder schon seit seiner Gründung im Jahr 2002 Seezollhafen, so wie jetzt die anderen Bereiche auch", sagt Thorsten Porath, dessen Zollagentur sowohl für Transporteure wie für Handelsunternehmen tätig ist.

Und er fährt fort: "Für manche Firmen ist die Arbeit durch die Freihafen-Auflösung auch schwieriger geworden. In diesem Bereich sind mehrere hundert Unternehmen angesiedelt, zum Beispiel die Schiffsversorger. Für die war früher die Lagerhaltung und der hafeninterne Transport wesentlich unkomplizierter. Und nicht Ortskundige geraten nach unseren Beobachtungen schneller in Schwierigkeiten, wenn sie mit dem neuen System noch nicht vertraut sind."

Der Großteil der Fahrer, die Güterverkehr mit dem Hafen erledigen, sind Containerchauffeure, die regelmäßig hierher kommen und eine personalisierte Truckerkarte haben. Mit der loggen sie sich an Selbstbedienungsterminals ein. Mehrsprachig geht es durch das Menü. Am Ende dieser Prozedur spuckt ein Drucker die Handlungsanweisungen aus, mit Glück gleich die Freistellung, mit Pech noch die Einladung zu einer Beschau oder Röntgenkontrolle im Zollamt.

Nun gibt es im Im- und Export auch viele Fälle, die sich nicht so leicht nach Schema wie die meisten Containerfrachten bearbeiten lassen. Das kann ein Lastwagen mit Pistazien aus dem Iran sein oder eine überdimensionale Maschine, die per Schwertransport direkt zum Exportterminal gebracht wird, aber vom Zoll noch kontrolliert werden muss. Für solche Spezialitäten gibt es mobile Zollteams, die mit Fahrzeugrechnern ans Atlassystem angeschlossen sind. Solche extra zu bestellende Einsätze kosten natürlich Gebühren.

Günther Losse ist Zolloberamtsrat und Leiter einer Kontrolleinheit. Bis zur Auflösung der Freihafengrenzen war er auch für die Grenzkontrollen an den Landübergängen verantwortlich. Er blickt zurück: "Leerfahrzeuge mussten zum Check anhalten, Durchfahrer mit Brückenschein oder Zwischenschein geprüft werden. Die Kraftfahrer waren genervt wegen der Staus vor den Zollämtern, wir standen bei den Kontrollen ständig in den Abgasen. Da gab es schon mal Gereiztheit. Seit Jahresbeginn ist es damit vorbei, und der Straßenverkehr im Hafen wird von uns nicht intensiver als anderswo in Deutschland kontrolliert."

KONTROLLEN FINDEN NUR BEI VERDACHT STATT

"Dafür geht der Zoll jetzt auf jedes ankommende Schiff, um den zollfreien Bordproviant für die Dauer der Liegezeit im Hafen zu versiegeln. Immer öfter bringen wir auch eine mobile Röntgenanlage für Lastzüge und Container zum Einsatz, als Ergänzung zur stationären Prüfanlage im Zollamt Waltershof", erklärt Oberamtsrat Losse.

Zu den Pionieren des Containertransports vom Hamburger Hafen landeinwärts gehört die Spedition Konrad Zippel. Schon in den frühen 70ern beschaffte das Traditionsunternehmen passende Fahrgestelle. Heute fahren 60 eigene Lastzüge plus 70 bis 80 Truckingunternehmer für Zippel, dazu kommen Bahnverkehre mit eigenen Komplettzügen und Schiffsverladungen.

Geschäftsführer Axel Plaß kommentiert den Wegfall des Freihafens so: "Handgeschriebene Zettel und Zollstempel gibt es nicht mehr, alles nur noch elektronisch. Für manche der älteren Kraftfahrer, die mit Computern bisher nichts zu tun haben, ist das eine Belastung." Vorteile durch Vereinfachung hat die Umstellung laut Projektleiter Marian Suhr bei der Bahnverladung gebracht, wo es nach kurzen Startschwierigkeiten jetzt flüssiger als früher läuft.

Kein gutes Urteil über die neuen Zeiten kommt vom Dispositionsleiter der Zippel-LKW, Tilo Schmitter: "Teilweise läuft es katastrophal bisher, für uns sind die Wartezeiten von 48 Stunden pro Antrag viel zu lang. Wenn dann die Verzollung abgelehnt wird, und sei es nur wegen eines kleinen Zahlendrehers, dann dauert es gleich nochmal 48 Stunden. Außerdem sind in der Anfangszeit viele Anmeldungen vergessen worden."

DAUERMANKO: ENORMER LKW-PARKPLATZMANGEL

Die Stapelfeldt Transport GmbH betreibt 20 Lastzüge, die Seecontainer bewegen. Firmenchef Hans Stapelfeldt engagiert sich bei der Logistik Initiative Hamburg (www.hamburg-logistik.net), einer Gemeinschaftsgründung der Hamburger Wirtschaftbehörden mit örtlichen Firmen und Institutionen. Er sagt: "Als kritischer Unternehmer im Hamburger Transportgewerbe sehe ich jeden Tag Abläufe in der Logistik und Infrastruktur, die Optimierungspotenzial haben. Als Leiter des Arbeitskreises Verkehr habe ich die Aufgabe, kurz-, mittel- und langfristige Projekte im Bereich der Verkehrsinfrastruktur voranzutreiben. Unsere Mitglieder melden uns regelmäßige Verkehrsengpässe, die den Wirtschaftsverkehr belasten. Wir suchen dann nach Lösungen."

Nachdem Truckpilot, ein ursprünglich geplantes Kommunikationssystem zur Optimierung des LKW-Verkehrs im Hafen, keine Zukunft hat, geht an Hans Stapelfeldt die Frage, was kommt: "Jeder Container-Trucker soll die Terminals im Hamburger Hafen nur noch dann anfahren, wenn die Ware gelöscht, freigestellt und verzollt ist. Sonst gibt es riesigen Rückstau wartender Trucks, weil bei einigen der Transportauftrag nicht vollendet werden kann. Diese wichtigen Informationen wollen wir 2013 in Form von Apps für Smartphones anbieten. So können wir den LKW-Containerverkehr im Hamburger Hafen gezielter steuern und beschleunigen."

Ein ernstes Thema, das mit der Leistungsfähigkeit des Hafens eng zusammenhängt, ist der enorme Parkplatzmangel für LKW. Die paar Autohöfe (Parkmöglichkeiten s. Seite 77) können das Problem nicht lösen. Verkehrsplaner fordern künftig weiträumige Standflächen mit Serviceeinrichtungen für die Fahrer, von dort sollen sie per Verkehrsmanagement gezielt und gezeitet zu den Ladestellen geschickt werden.

Hamburg ist eben nicht mehr das, was es mal war, die Stadt will mit Wohnbesiedlung weiter wachsen und den Sprung über die Elbe nach Harburg schaffen. Von der klassischen Seeschifffahrt mit ihren Verladepiers ist durch die "Containerisierung" der Frachten eh nicht mehr viel übriggeblieben.

Wer bei so viel Modernität der ruhmvollen Hafenhistorie nachspüren will, sollte die alte Speicherstadt besuchen, etwa das wunderbare "Maritime Museum" (12 Euro, Koreastraße 1) oder das sehenswerte "Zollmuseum" (2 Euro, Alter Wandrahm 16), je Dienstag bis Sonntag. Das waren Zeiten.

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