Glaubt man der Gleitenden Langfrist-Verkehrsprognose, deren Ergebnisse Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) jüngst vorgestellt hat, wird der Verkehr bis zum Jahr 2051 überall in Deutschland zunehmen, besonders stark im Güterbereich. Im Vergleich zu 2019 soll hier die Verkehrsleistung um die Hälfte steigen, von 679 auf 990 Milliarden Tonnenkilometer. Dabei bleibe der Lkw das dominierende Verkehrsmittel (+ 54 Prozent), während der Güterverkehr auf der Schiene um ein Drittel zulegen soll und die Wasserstraße stagniere.
Ursächlich für diese Entwicklung ist laut der langfristigen Verkehrsprognose der Strukturwandel im Güterverkehr und schlussendlich die Energiewende, denn durch den Umstieg auf erneuerbare Energien, gebe es einen starken Rückgang bei Massen- und Energiegütern wie Kohle, Koks, Mineralölprodukten und Erzen, die bisher vor allem auf Schiene und Wasserstraße transportiert wurden. Zunehmen werde der Straßenverkehr, etwa im Bereich der Stückgüter.
Man stimme dieser Annahme einer sich ändernden Güterstruktur grundsätzlich zu, erklärte der Bundesverband der Deutschen Binnenschifffahrt (BDB), die Schlüsse, die daraus gezogen werden, seien aber die Falschen. „Die zunehmende Umstellung auf strom- und wasserstoffangetriebene Verkehrsmittel und das angekündigte Verbot von Ölheizungen wird zu Rückgängen bei Benzin-, Diesel- und Heizöltransporten führen. Daraus aber abzuleiten, dass sämtliche Güterverkehrszuwächse weit überwiegend bei der Straße stattfinden, halten wir für einen Fehler“, so der BDB.
BDB: Aus der Prognose die richtigen Schlüsse ziehen
Der Verband geht davon aus, dass der containerisierte Warenverkehr im Hinterland der Seehäfen in den kommenden Jahren weiterhin wachsen werde. Diese enormen Gütermengen könnten aber nur über Schiffe und die Güterbahn transportiert werden. Die Industriestandorte in Deutschland, wie sie etwa längs des Rheins anzutreffen sind, werden auch zukünftig auf Verkehrsträger angewiesen sein, die große Mengen an Rohstoffen zuverlässig, hocheffizient und ohne spürbare Belastungen für die Bevölkerung transportieren. „Wenn man der weiteren Deindustrialisierung Deutschlands keinen Vorschub leisten will, muss dieses Thema mitgedacht werden“, so der BDB, der in diesem Zusammenhang betonte: „Güter- und Warenverkehr in Deutschland besteht nicht nur aus Paketdienstleistern, die im Auftrag von Amazon oder Zalando Päckchen ausliefern.“
Es sei daher „kein verkehrspolitisches Wunschdenken, sondern die Aufgabe einer an den Nachhaltigkeitszielen orientierten Verkehrspolitik, Straße, Schiene und Wasserstraße sinnvoll miteinander zu vernetzen und Anreize für eine Verkehrsverlagerung zu setzen“, betonte der BDB. Der Verband nahm damit deutlich Bezug auf die Aussage von Bundesverkehrsminister Wissing, der bei der Vorstellung der Zahlen erklärt hatte: „Ich richte meine Verkehrspolitik an den tatsächlichen Begebenheiten aus, an Zahlen, Daten und Fakten und nicht an politischem Wunschdenken.“
Ohne eine Verkehrslenkung würde zu weiteren Dauerstaus und Flächenfraß kommen, warnte der BDB, der daher forderte: „Der European Green Deal mit den dort genannten Verlagerungszielen im Güterverkehr muss die Richtschnur für das Handeln der Bundesregierung sein. Der Verkehrssektor verstößt bereits jetzt gegen die zulässigen Emissionsgrenzen des Klimaschutzgesetzes.“
Bundesverkehrsminister Wissing müsse aus der Verkehrsprognose die richtigen Schlüsse ziehen und den Dialog für eine wirksame Verkehrswende aufnehmen, erklärte BDB-Präsident Martin Staats. Der „Masterplan Binnenschifffahrt“ biete hierfür einige sehr gute Ansätze, etwa die verstärkte Verlagerung von übergroßen und schweren Stückgütern auf das Wasser oder die Ertüchtigung der Schifffahrt für kleinere Ladungspartien.
VDV: Mehr Gestaltungswille und weniger Trendprognosen
Auf scharfe Kritik war Wissings Aussage beim Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) gestoßen. Der Verband hatte die Langfrist-Verkehrsprognose des Bundesverkehrsministeriums als „Zementierung einer rückwärtsgewandten Verkehrspolitik“ bezeichnet. Was man hier erleben sei das „Gegenteil von fortschrittlicher und die Zukunft gestaltender Verkehrspolitik“, kritisierte VDV-Präsident Ingo Wortmann.
„Anstatt mit entsprechenden Maßnahmen die nötigen Rahmenbedingungen für mehr klimafreundlichen Güter- und Personenverkehr auf der Schiene zu verbessern, lehnt man sich zurück und tut so als wäre das alles unveränderbar. Aber das Gegenteil ist der Fall: Es ist die Aufgabe des Bundesverkehrsministers, die Verkehrspolitik in diesem Land aktiv zu gestalten um den Verkehrssektor für die Erreichung der Klimaschutzziele entsprechend aufzustellen. Und nicht den Status Quo zu zementieren und zu verwalten“, so Wortmann.
Wenn die Prognose zu der Erkenntnis komme, dass die Ziele der Verkehrswende in Gefahr sind nicht erreicht zu werden, dann müsse „man entsprechend stärker gegensteuern“, so der VDV-Präsident, der abschließend erklärte: „Wir müssen als Gesellschaft die Klimaziele auch im Verkehrssektor erreichen, dazu braucht es mehr Gestaltungswillen und weniger Trendprognosen.“ (tb)